Gladbeck. Skandale führen dazu, dass immer mehr Menschen der katholischen Kirche den Rücken kehren. Nicht so zwei junge Gladbecker. Sie haben gute Gründe.
Enthüllte Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen; Skandal-Fakten, die unter der Decke gehalten werden; Geistliche als Täter, über die der Mantel des Schweigens gebreitet wird; der emeritierte Papst Benedikt XVI., der verspätet Unwahrheiten bekennt. Wer kann angesichts solcher Nachrichten denn noch Mitglied in der katholischen Kirche bleiben? Zwei junge Männer aus Gladbeck kennen diese Frage. Sie sind jedoch trotz der Negativ-Schlagzeilen nicht ausgetreten – aus guten Gründen.
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Tobias Sanders ist Messdiener in Heilig Kreuz Butendorf – und das seit nunmehr 15 Jahren. In diesem Stadtteil ist er groß geworden. Wie bereits seine Schwester (31) und sein Bruder (27) versieht der 25-Jährige seinen Dienst am Altar. Dieses Ehrenamt fand und findet er fabelhaft – es ermöglicht ihm, „teilweise am kirchlichen Leben mitzuwirken“. Mit einem Schuss Humor erzählt der 25-Jährige, der das Heisenberg-Gymnasium besucht hat: „In der Schule war es ziemlich uncool zu sagen, dass man sich in der Kirche engagiert. Das muss man stark durch andere Eigenschaften kompensieren. Zum Beispiel, indem man besonders lustig oder charmant ist. Man wird nicht gefeiert, wenn man sagt: Ich bin Messdiener.“
Skandalnachrichten machen den Gladbecker Messdiener Tobias Sanders betroffen
Vermeintlich „uncool“ in Augen Gleichaltriger zu sein, ist das eine – einer Gemeinschaft anzugehören, die Schimpf und Schande auf sich geladen hat, das andere. Die Missbrauchsnachrichten und das ganze Drumherum dieser Ungeheuerlichkeiten „machen erst einmal betroffen und schockieren“, sagt Sanders. Erst recht, wenn jemand, wie der 25-Jährige, in einer christlich orientierten Familie aufgewachsen ist. „Ich bin ein gläubiger Mensch“, sagt Sanders freimütig über sich, „ich glaube an Gott, ein Leben nach dem Tod, dass jemand über uns wacht.“ Und er glaubt an christliche Werte, nach denen er erzogen wurde und die er vermitteln will. „Der entscheidende Punkt ist die Gemeinschaft, in der Menschen miteinander in Kontakt kommen, etwas gemeinsam machen.“
Eine Ansicht, die Leon A., der seinen vollständigen Namen nicht veröffentlich sehen will, teilt. Mit Unterbrechungen ist er seit seiner Kindheit bei den Pfadfindern St. Josef, inzwischen Gruppenleiter. „Ich bin recht katholisch aufgewachsen“, sagt A., der in der Josefschule das ABC, Rechnen und mehr lernte, später zum Ratsgymnasium wechselte. Kommunion, Firmung, Traditionen und Feste wie Fronleichnam – sie gehen Katholiken in Fleisch und Blut über. „Diese Wurzeln geben mir viel Halt in persönlichen Strukturen“, so der 25-Jährige.
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Sein Credo: „Kirche fußt auf Gemeinschaft. Gemeinschaft füllt Kirche mit Leben.“ A. kritisiert, „dass sich die Kirche von ihren Grundsätzen entfernt“ habe: „Das geht so nicht weiter!“ Und der 25-Jährige legt nach: „Die Kirche gibt sich als moralische Instanz, ihre mittelalterlichen Machtstrukturen sind überholt. Sie muss sich erneuern.“ Das Kirchenrecht – „absolut überholt“; die Strukturen – „verkrustet“. Veränderungen – Fehlanzeige. Die Crux aus seiner Sicht: „Die Menschen an der Basis haben keine Möglichkeiten, etwas zu bewegen, weil die Machtstrukturen Entwicklungen erschweren.“
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Er unterscheidet zwischen der übergeordneten Institution und Kirche vor Ort. Die kleine Gemeinde habe wenig mit der Amtskirche zu tun. Das Ehrenamt vor Ort macht ihm „unglaublich viel Spaß“: „Daraus kann Gutes wachsen.“
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Zusammengehörigkeit, Freundschaft, aufeinander achtgeben, diese Werte liegen Tobias Sanders am Herzen. Halt gut miteinander umgehen, Stichwort „Nächstenliebe“. Also zutiefst christliche Gebote. Doch dazu zählt auch Vergebung. Der Gladbecker Messdiener sagt klipp und klar: „Papst Benedikt hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, seine Fehler spät eingeräumt.“
Aus Engagement kann Gutes entstehen
Der 25-Jährige erzählt, dass er bisweilen gefragt werde: „Fühlst Du Dich nicht schlecht in der katholischen Kirche?“ Die Antwort: „Nein, weil ich durch das, was ich mache, etwas Positives tun kann.“ Und dann erläutert er seinen Standpunkt. Die Kirche stehe in der Verantwortung. „Die Täter müssen strafrechtlich belangt werden.“
Austritte stark nachgefragt
Ein Missbrauchsgutachten für das Münchner Erzbistum berichtet von 497 Opfern. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. wurde der Falschaussage überführt.
Die Skandal-Nachrichten treiben offenbar viele Menschen aus der katholischen Kirche. So stellte das Amtsgericht Gladbeck in den Tagen direkt nach den Enthüllungen eine hohe Nachfrage nach Austrittsterminen fest.
Damit nicht genug. Sanders pocht wie A. darauf, dass veraltete Strukturen in der Kirche zu „überarbeiten seien“. „Kirche muss sich öffnen!“ Dazu könnten alle Mitglieder beitragen. Wann ein Wandel geschieht – weiß der Himmel! Denn um Veränderungen zu schaffen, „müssen dicke Bretter gebohrt werden, sehr dicke“: Sanders macht sich keine Illusionen über die Erfolgsaussichten. Er meint: „Die Kirche tut sehr viel dafür, um Unverständnis zu verbreiten.“ Missstände „müssen wir ansprechen“, Aufklärung hält er für wichtig.
Junge Gladbecker: „Frauen in der katholischen Kirche? Ja, bitte!“
Wäre eine Konversion für Sanders eine Alternative? „Mir ist nie der Gedanke gekommen, evangelisch zu werden.“ Gegenfragen: „Muss es denn eklatante Unterschiede, eine harte Grenze zwischen Christen geben? Genügt es nicht, einfach Christ zu sein?“
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Beide Männer betonen: „Frauen in der katholischen Kirche? Ja, bitte!“ Weitere Mauern würde Sanders einreißen: keine Unterscheidung zwischen Geschlechtern, Nationalitäten, sexueller Orientierung. „Wir hätten eine schönere Welt, wenn das so wäre. Ich hoffe, dass das Verständnis dafür in den nachfolgenden Generationen wächst.“