Gladbeck. Die Gladbeckerin Emmi Helene Steckel begeht am 20. September ihren 102. Geburtstag. Im Gespräch mit der WAZ plaudert die Seniorin über ihr Leben.
Während die Trauer-Zeremonien in London für Queen Elisabeth II., die immerhin 96 Jahre geworden ist, über den Fernsehbildschirm laufen, öffnet Emmi Helene Steckel in Gladbeck ihre Wohnungstür für Besuch. Die zierliche Frau im Rollstuhl hat die Königin altersmäßig locker getoppt. Die Seniorin begeht nämlich am 20. September ihren 102. Geburtstag. Mit der WAZ plaudert Emmi Helene Steckel aus ihrem Leben.
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Das begann in Gladbeck – und ihrer Geburtsstadt ist die heutige Seniorin, bis auf wenige Intermezzi, bis heute verhaftet geblieben. „Die Zeit vergeht immer schneller, das kann ich Ihnen flüstern“, sagt Emmi Helene Steckel mit einem Augenzwinkern – übrigens nicht hinter Brillengläsern. „Ich bin kerngesund“, behauptet das Persönchen mit der schlohweißen Kurzhaar-Frisur, setzt jedoch hinzu: „Meine ich wenigstens.“ Sie müsste wohl vielleicht mal zum Ohrenarzt.
Die Gladbeckerin erinnert sich gut an ihre Kindheit: „Ich war ja so ein verwöhntes kleines Mädchen!“
Die fast 102-Jährige hat sich einen Tag vor ihrem Geburtstag für ihre Besucher ein türkisfarbenes Shirt mit Glitzer angezogen, das ein kleines bisschen royal wirkt. Eine Farbe, wie sie bestimmt auch Königin Elisabeth II. gefallen hätte. Nur eine Hose in Beige, die hätte diese niemals in der Öffentlichkeit getragen. Aber die Gladbecker Seniorin ist nicht mehr gut zu Fuß, und im Mittelpunkt stehen will sie eigentlich auch nicht so gerne. Als jedoch der WAZ-Fotograf für eine Aufnahme vor ihren Füßen niederkniet, muss die „Gladbeckerin durch und durch“ doch lachen und freut sich. Ein zauberhaftes Lächeln lässt ihr zartes Gesicht leuchten.
Das geschieht auch, wenn sie gedanklich in die Vergangenheit zurückgeht. Von Kindesbeinen an habe sich die Aufmerksamkeit ihrer Familie auf sie konzentriert, erzählt sie: „Ich war ja so ein verwöhntes kleines Mädchen. Ich durfte ja gar nichts machen“, erzählt die Seniorin. Heute noch schwärmt Steckel von ihren Eltern. Sie zeigt auf den Buffetschrank, auf dem alte Fotos stehen. „Papa war ein fabelhafter Kerl! Und meine Mama...“ Da fehlen der Noch-101-Jährigen die Worte. Sieben Tanten, Schwestern des Vaters Karl, seien ebenfalls stets zur Stelle gewesen. „Da hieß es Emmiken hier, Emmiken da.“ Zu sehr zu verhätscheln, das sei auch bestimmt nicht gut, denkt sie inzwischen.
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Weil der Vater aus beruflichen Gründen nach Holland gehen musste, habe sie dort die Schule besucht. Erinnerung: „Als wir nach Gladbeck zurückkehrten, konnte ich deutsch sprechen, aber nicht so gut schreiben. Der Rektor an der Pestalozzischule hat mich dann geprüft, um meine Kenntnisse festzustellen.“
Einzelkind zu sein, habe aber nicht nur Vorteile, sagt sie. Dass geschwisterlose Mädchen und Jungen einen zweifelhaften Ruf als verzogen und schwierig haben, das habe die kleine Emmi Helene schon zu spüren bekommen. Aber „ich hatte eine gute Jugend“.
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„Im ersten Weltkrieg war ich noch ganz klein. Dann kam Adolf. Mit 18 Jahren war ich im Arbeitsdienst, bin zur Wehrmacht als Nachrichtenmeldehelferin gegangen und war in Brüssel stationiert, da habe ich meinen Mann kennengelernt“, berichtet die Seniorin. Der Ukraine-Krieg wecke Erinnerungen, doch die schiebe sie beiseite.
Im Jahre 1944 habe sie standesamtlich und in der evangelischen Christuskirche geheiratet. Hausfrau sei sie als Mutter zweier Töchter gewesen, habe ihren Führerschein gemacht, zudem als Verkäuferin gearbeitet: bei Karstadt und … „Ich komme gerade nicht drauf.“ All diese Namen und Daten! Die Gladbeckerin: „Das ist so lange her, das verschwindet allmählich alles.“ Handarbeiten habe sie früher gerne angefertigt: Westen, Pullover, Röckchen „für meine Mädchen“ gestrickt.
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Unvergessen sind die Kochkünste der Mutter. Bei „Durcheinander“ lief dem Mädchen das Wasser im Munde zusammen: Erbsen, Linsen, Grünkohl, Graupen. „Kälberzähnchen hat sie mein Vater genannt.“ Alles, „was Mutti gekocht hat“, würde sie sich heutzutage wünschen. Aber, so seufzt die Seniorin: „Das war einmal. Jetzt schmeckt nichts mehr so.“ Dabei rollt sie sachte in ihrem Rollstuhl hin und her, nachdenklich meint sie, dass selbst das Fernsehprogramm nicht mehr so schön wie früher sei: „Nur Gequatsche und Gequassel.“ Keine nette Sendung wie einst beispielsweise mit Peter Frankenfeld – schade.
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Emmi Helene Steckel, die ihre ersten Lebensjahre an der Hermannstraße verbrachte, lebt allein in ihrer Wohnung in Gladbeck, bekommt Unterstützung von einem Pflegedienst, die Mahlzeiten werden geliefert. „An und für sich wollte ich ja ins Heim“, aus diesen Plänen sei auch wegen der Corona-Pandemie nichts geworden: „Seitdem bin ich hier ganz allein.“ Angehörige seien größtenteils weggezogen, ins Schwabenländle der Liebe wegen, nach Hamburg, Bremen, Salzgitter. Ein Enkelkind hat Emmi Helene Steckel, und einen Urenkel: Timmy, „der ist jetzt 23 geworden, ein ganz lieber Kerl“.
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Das Schicksal schlug etliche Male zu. Der erste Ehemann starb. Emmi Helene Steckel musste die ältere ihrer beiden Töchter ebenfalls zu Grabe tragen. Ohne ihren zweite Ehemann, Erich Steckel, lebt die Gladbeckerin seit 1968. „Ein Knall“, und alles sei anders: „Das ist schon schlimm.“ Verwandte, Freunde, Bekannte, sie leben nicht mehr: „Es ist nicht schön, alt zu werden, wenn um einen herum alle sterben.“