Gladbeck. . Schauspieler Marco Spohr lieh Gladbecker Soldaten des 1. Weltkriegs seine Stimme. Zu lesen im Buch „Auf ein frohes Wiedersehen, liebe Mutter“.

Es ist, als ob Franz Riesener leibhaftig spräche. „Gott behüte ihn und führ ihn gesund wieder zurück.“ Wie ein Flehen schweben die Worte des Mannes im VHS-Raum, der als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog. Aus dem Munde des Schauspielers Marco Spohr aus Hagen kommt diese eindringliche Bitte des Gladbecker Gefreiten (Jahrgang 1887), der an seinen Bruder Hugo denkt.

Historische Quellen für die Nachwelt

Der Mime leiht an diesem Donnerstagabend Soldaten des Ersten Weltkriegs seine Stimme. Die zitierten Männer aus Gladbeck haben ihre Erlebnisse und Erinnerungen für die Nachwelt festgehalten – und damit wichtige Quellen der Zeit vor gut 100 Jahren hinterlassen. Die Aufzeichnungen bilden ein großes Kapitel in dem gerade erschienenen Buch „Auf ein frohes Wiedersehen, liebe Mutter“ (Zitat Franz Rieseners), das Stadtarchivarin Katrin Bürgel und Historiker Dr. Ludger Tewes herausgebracht haben.

Im Handel und Stadtarchiv

Das Buch „Auf ein frohes Wiedersehen, liebe Mutter, Kriegskultur und Erfahrungshaltung im Amt Gladbeck 1914-1918“ von Katrin Bürgel und Ludger Tewes ist im Klartext Verlag Essen erschienen.

Die erste Auflage umfasst 600 Exemplare. Das 424 Seiten starke Buch mit vielen Abbildungen und Karten kostet 19,95 Euro.

Der Band ist im Buchhandel (ISBN 979-3-8375-1579-4) und im Stadtarchiv (Neues Rathaus) erhältlich.

Im VHS-Haus freut sich Leiter Dietrich Pollmann über das starke Interesse, rund 70 Besucher warten gespannt auf die Buchvorstellung. Unter ihnen sind Margot Brinkhaus und Markus Griepentrog, Familienangehörige des Soldaten Wilhelm Heinrich Brinkhaus, der seine Kriegserlebnisse schilderte. Im Auditorium sitzen auch Stefan Riesener und Klaus Haufe, Nachkomme von Ernst Haufe, der ebenfalls Erinnerungen aufs Papier brachte. Schon die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Jahre 2014, eine Kooperation mit der hiesigen WAZ-Lokalredaktion, war stark frequentiert, so Pollmann.

Erschütternd und drastisch

Und auch Gladbecker, die mit Familienfotos diese Schau unterstützt haben, hören gebannt, wie Spohrs volle, eindringliche Stimme Buchstaben zum Leben erweckt, Emotionen transportiert. Das Grauen auf den Schlachtfeldern und das Chaos in der Gefühlswelt werden trotz der großen zeitlichen Distanz greifbar – auch wenn es kaum Worte gibt für das, was Brinkhaus, Riesener und Haufe ertragen mussten. Dann tauchen vor dem geistigen Auge brennende Dörfer auf; bluten Verwundete, schreien und weinen Menschen. Es lässt wohl kaum einen Zuhörer kalt, wenn die Schreiber über Elend, Regengüsse, Tod und Ängste im Schützengraben berichten. Bei manch drastischer Beschreibung könnte einem das Blut in den Adern gefrieren. Bei rührenden Zeilen eines unbekannten Verfassers an seine „liebe Mutter“: ein Kloß mit Hals, „sei stolz, lieb Mütterlein!“ Eine Besucherin sagt später, nach dem Vortrag, leise: „Das hätte mein Kind sein können.“

Was mag beispielsweise der grauhaarige Herr mit dem Bart denken, dessen Blick gen Boden gerichtet ist? Wie erstarrt wirkt der Zuhörer. Sind seine Gedanken vielleicht bei einem Ahnen, der auf den Schlachtfeldern Flanders sein Leben lassen musste. Familiengeschichte ist an diesem Abend präsent.

Katrin Bürgel, Leiterin des Stadtarchivs Gladbeck und Mitautorin des Buches, ging auf die Konsequenzen des Ersten Weltkriegs an der Heimatfront ein.
Katrin Bürgel, Leiterin des Stadtarchivs Gladbeck und Mitautorin des Buches, ging auf die Konsequenzen des Ersten Weltkriegs an der Heimatfront ein. © Thomas Schmidtke

Aus der Perspektive des Menschen anno 2017, der rückblickend das Kriegsgeschehen im Überblick betrachten kann, rufen fast treuherzige Hoffnungen Schauder hervor. Mucksmäuschenstill ist es während der kurzen Pausen im Vortag, nur das Surren des Projektors liegt in der Luft. Das „Idyll: The Banks of Green Willow“ aus dem Jahre 1913 erklingt vom Band – täuschend heiter. Der Engländer George Butterworth, geboren 1885, komponierte das Stück; er fiel im Jahre 1916 an der Somme.

Wieviel brutaler sind da die Worte Kurt Tucholskys in seinem Gedicht „Krieg dem Kriege“: Morden, zermalmte Knochen, Qual wie ein Tier, Tod.: „Ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen. Werden die Menschen es niemals lernen?“