Gelsenkirchen. . Karin Welge ist davon überzeugt, dass die vorhanden arbeitsmarkpolitischen Instrumente nicht mehr ausreichen. Deshalb steht sie hinter dem Gelsenkirchener Appell an Bund und Land. Sie will die gesellschaftliche Balance wieder herstellen, Menschen eine Chance geben, die zurzeit keine haben.
Was einheitliche Lebensverhältnisse in der Stadtgesellschaft Gelsenkirchen angeht, ist das Gleichgewicht aus dem Ruder gelaufen. Tiefe Gräben hat der Strukturwandel hinterlassen.
Sozialdezernentin Karin Welge macht es auch anhand von Zahlen deutlich: „Wir haben in Gelsenkirchen 75.000 versicherungspflichtige Arbeitsplätze. Demgegenüber stehen 258.000 Menschen. Knapp 45.000 von ihnen sind inzwischen auf SGB II angewiesen.“ Von der Gruppe am Existenzminimum sind 32.000 über 18 Jahre alt.
Balance herstellen
„Wir haben ein erhebliches strukturelles Delta, das an den exorbitanten Arbeitsplatzverlust im Zuge des Strukturwandels anknüpft“, sagt Karin Welge. Gemeinsam mit Vertretern maßgeblicher Organisationen und Vereine sowie der Kirche hat die Stadt vor der Sommerpause ein Zeichen gesetzt. Besser: einen Hilferuf Richtung Land und Bund formuliert. Den Gelsenkirchener Appell. Welge: „Das zentrale Problem ist, wir müssen dem Bund klar machen, dass die Welt hier nicht mehr nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten funktioniert. Wir bitten um die Chance, die Balance wieder herzustellen.“
Das Ziel: 1000 zusätzliche Stellen im sozialen Arbeitsbereich. Und zwar für Menschen, die nach der Schule noch nie eine Chance hatten. „Diese Menschen sollen wieder Teil eines Ganzen sein. Wir wollen sie auf den Weg bringen und sie stabilisieren“, so die Sozialdezernentin.
Umschichtungsdebatte führen
Wenn Menschen nicht im regulären Arbeitsalltag seien und auch im Umfeld niemanden hätten, der den ideellen Wert regelmäßiger Beschäftigung vorlebe, „dann sind sie nicht mehr stark und mobil“. Genau diese Zielgruppe hat Welge im Blick. Sie sollen die Chance auf eine Arbeit haben, „die für die Menschen selbst und für die Stadt werthaltig sind“.
Man habe sich vorgenommen, so Welge, bis Mitte Oktober ein Programm aufzulegen. Wo Menschen arbeiten können, wie ihr Einsatz – und vor allem: von wem – finanziert wird. Schon bei der Vorstellung des Appells hieß es, die Stadt würde sich an der Finanzierung der Arbeit in der Form beteiligen, dass sie die Kosten der Unterkunft einbringt. Welge: „Wenn wir etwas an der Situation verändern wollen, müssen wir auch diese Umschichtungsdebatte führen.“
Zentrale Frage: „Wo haben wir die Arbeitsplätze?“
Keine Aufgabe zu haben, keine Verantwortung zu tragen ... „Unsere Sorgenkinder sind Familien, in der lange keiner mehr Arbeit hat“, sagt Karin Welge. Dabei neige sie nicht der romantischen Einschätzung zu, dass die Leute mit sinnhafter Beschäftigung in kurzer Zeit fit für den Arbeitsmarkt sind. „Sie brauchen ein hoch anspruchsvolles Coaching.“
Die große Herausforderung bei der Umsetzung des Gelsenkirchener Appells sei nach Worten Welges aber tatsächlich eine Antwort darauf: „Wo haben wir die Arbeitsplätze?“ Sie könne sich beispielsweise Einsätze im Bereich Nachbarschaftshilfe vorstellen, meint die Dezernentin.
Sozialausschussvorsitzender Lutz Dworzak (SPD) hatte unlängst nachgefragt, ob es erste konkrete Ergebnisse nach der Präsentation des Appells gebe. Für die nächste Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales hat er daher um einen Bericht gebeten.
Termin der Sitzung: Mittwoch, 12. September.