Gelsenkirchen. . In der Selbsthilfegruppe um den evangelischen Sozialpfarrer Dieter Heisig treffen sich Betroffene, die sich mit dem Leben mit Hartz IV und den Problemen einer Lebensrealität am Existenzminimum auseinander setzen. Es geht um die Frage, ob man mit 374 Euro im Monat annähernd vernünftig leben kann.

Sabine ist Single. Sie raucht und besitzt zwei Katzen. Aber: „Ab dem 20. wird es immer ganz knapp. Dann sitzt du in der Klemme. Katzenfutter oder Tabak?“

Auf jeden Fall: finanzielle Ebbe. Sabine lebt vom SGB II-Regelsatz, besser bekannt als Hartz IV. Das heißt: 374 Euro monatlich. Für Nahrung, Hygieneartikel, Kultur, Kleidung ... Irgendwie hat sie es bisher immer geschafft, über die Runden zu kommen. So wie Roswitha. „Mit Hartz IV alleine zu leben, ist schwierig. Okay, ich kann zur Tafel gehen, aber wenn ich da raus komme, fühle ich mich noch mieser“, sagt sie.

Gemeinsam etwas unternehmen und reden

Die beiden Frauen sind aktive Mitglieder der Hartz IV-Selbsthilfegruppe um Sozialpfarrer Dieter Heisig. Bei regelmäßigen Frühstücksgesprächsrunden im Haus des Evangelischen Kirchenkreises werden Neuigkeiten und Meinungen ausgetauscht, aktuelle Themen diskutiert. Nicht in der anonymen Masse Betroffener untertauchen, gemeinsam etwas unternehmen – und, ganz wichtig: reden. Erfahrungen bei der erfolglosen Jobsuche austauschen. Das sind wichtige Elemente der Gruppe, die sich kurz nach der Einführung von Hartz IV gegründet hat und die zwischen 24 und 27 Leute zum festen Kern zählt.

Hier wird, moderiert von Dieter Heisig, durchaus kontrovers debattiert. Zum Beispiel über die von der WAZ in den Raum gestellte Frage, ob man mit 374 Euro annähernd vernünftig leben kann. Während die mit Abstand Jüngste im Kreis, Aufstockerin Marianne, betont, man könne von dem Geld leben, erlebt Rentnerin Maria vor dem Hintergrund eines einst finanziell besser bestellten Lebens die Alltagsrealität ganz anders: „Viele Dinge, die früher selbstverständlich waren, gehen nicht mehr. Das tut weh, besonders, wenn man Enkel hat, aber kein Geld für Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke.“ Manfred nickt bestätigend. „374 Euro, das ist fürchterlich wenig Geld. Aber damit wird ja auch Druck gemacht auf die Leute.“ Klar, sagt da ein Anderer aus der Runde, „durch Hartz IV ist ja auch erst der Niedriglohnsektor geschaffen worden“. Und Albert meint sarkastisch: „Die wollen die Leute damit erniedrigen.“

Arbeitslose bekommen im TV ihr Fett weg

Man fühle sich stigmatisiert, sagt Sabine. Zustimmendes Nicken von allen Seiten. Zustimmung auch, als die Medien für „jahrelange einseitige Berichterstattung“ über Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger ihr Fett weg kriegen. Allen voran der bekannte Kölner Privatsender und seine Doku-Arien über das vermeintlich wahre Leben am Existenzminimum: „Dick, faul, Messie.“ Die Realität für das Gros der SGB II-Bezieher sehe allerdings anders aus.

Beispiel Anna. Seit dem 1. Dezember 2011 ist sie arbeitslos. bis dahin war die Gelsenkirchenerin mit Schwerbehindertenausweis als Küchenhilfe bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Acht „Eigenbemühungen“ um einen Job muss sie jeden Monat nachweisen. Bisher hat sie es geschafft, „und ich habe die Unterlagen immer persönlich abgegeben“. Allerdings blieben ihre Bemühungen ohne Erfolg. „Das ärgert mich unheimlich, dass man den Leute, die motiviert sind, die arbeiten wollen, Steine in den Weg legt.“ Was einer aus der Runde mit der Bemerkung quittiert: „Die suchen 25-Jährige mit zwei Kindern und 15-jähriger Berufserfahrung!“ Da können die meisten aus Heisigs Gruppe nicht mithalten. Das Durchschnittsalter liegt bei geschätzten 50 Jahren.