Gelsenkirchen. Kontrovers diskutiert wird nach der Flutkatastrophe, wann und ob die Behörden die Bürger rechtzeitig gewarnt haben. So warnt Gelsenkirchen.

Bundesweit kontrovers diskutiert wird nach der verheerenden Flutkatastrophe, wann und ob die Behörden die Bürger rechtzeitig gewarnt haben. Für diese Zeitung der Anlass zu fragen, wie die Stadt Gelsenkirchen ihre Bürger auf drohende Unwetter aufmerksam macht und alarmiert hat.

Die Sirenenanlage in Gelsenkirchen wurde so ausgelegt, dass ein flächendeckender Schalldruckpegel von ca. 71 dB(A) an einer Fassade bzw. einer Doppelverglasung erreicht wird. Einige Lautstärkebeispiele aus dem Alltag: 30 dB - Flüstern, eigenes Atemgeräusch; 85 dB -  mittlerer Straßenverkehr;  95 dB - Schwerlastverkehr; 110 dB - Rock-/Popkonzert (mit einigem Abstand zur Bühne); 125 dB: startender Düsenjet in 100 m Entfernung.  
Die Sirenenanlage in Gelsenkirchen wurde so ausgelegt, dass ein flächendeckender Schalldruckpegel von ca. 71 dB(A) an einer Fassade bzw. einer Doppelverglasung erreicht wird. Einige Lautstärkebeispiele aus dem Alltag: 30 dB - Flüstern, eigenes Atemgeräusch; 85 dB - mittlerer Straßenverkehr; 95 dB - Schwerlastverkehr; 110 dB - Rock-/Popkonzert (mit einigem Abstand zur Bühne); 125 dB: startender Düsenjet in 100 m Entfernung.   © Foto: Feuerwehr Gelsenkirchen

Unwetter-Warnung: Gelsenkirchener Retter haben mehr als 30.000 Menschen erreicht

„Wir haben sehr zeitnah Warnungen abgesetzt“, sagt Feuerwehrsprecher Carsten Jost. Am vergangenen Mittwochmorgen sei zunächst eine allgemeine Unwetterwarnung ohne die explizite Nennung von Gelsenkirchen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) eingelaufen. „Auf die amtliche Warnung für die Stadt um 17.03 Uhr haben wir sofort Warnungen über die sozialen Kanäle Facebook, Instagram und Twitter mit Verhaltenstipps herausgegeben. Als Letztes ist die Unwetterwarnung auf Twitter um 17.13 Uhr veröffentlicht worden.“

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Mehr als 30.000 Menschen haben die Retter so nach eigenen Angaben erreicht, vielleicht sogar deutlich mehr, rechne man hinzu, wie oft Beiträge geteilt, retweetet oder mit einem Like versehen worden seien.

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Das Problem: Häufige Warnungen vor Unwetter-Katastrophen führen zu Nichtbeachtung

Brandamtsrat Carsten Jost von der Feuerwehr Gelsenkirchen. Er ist zugleich der Sprecher der Feuerwehr.
Brandamtsrat Carsten Jost von der Feuerwehr Gelsenkirchen. Er ist zugleich der Sprecher der Feuerwehr. © Foto: Martin Möller / FFS

Darin liegt aber auch die Krux: Die Reaktionen auf solche Warnungen, die auch über die Smartphone-Apps „Nina“, „Biwapp“ und „Katwarn“, die Nutzer erreichen, sind nämlich äußerst unterschiedlich. „Manche sind einfach nur dankbar für den Hinweis, andere überschütten uns mit Häme und Beleidigungen“, berichtet Jost und zeigt eine Auswahl von Reaktionen. Tenor nicht selten auch: Für jeden noch so geringen Anlass macht die Feuerwehr ein Fass auf. Die Flutkatastrophe hatte indes verheerende Ausmaße.

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Das führt letztlich dazu, dass solche Alarmmeldungen mit sehr viel Fingerspitzengefühl herausgegeben werden, denn „inflationär verbreitete Warnungen werden von den Menschen sehr schnell nicht mehr beachtet“, berichtet Carsten Jost über die Schwierigkeiten, Aufmerksamkeit zu finden. Erschwerend kommt hinzu: Nicht jeder hat die genannten Warn-Apps installiert auf seinem Handy.

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Gelsenkirchener Feuerwehr: Orientierung an Wetterradar und Anzahl paralleler Einsätze

Alarmübungen an Schulen, Lernkisten der Feuerwehr

Die Warnmeldungen der europäischen Flutbehörde EFAS erhält die Stadt Gelsenkirchen nach Angaben von Stadtsprecher Martin Schulmann nicht, diese Meldungen liefen auf höherer Landes- und Bundesebene ein. Die Behörde hatte am Samstag vor den Unwettern Warnungen abgesetzt. Jetzt wird darüber nachgedacht, das Warnsystem weiter zu verbessern, weil viele kritisiert haben, dass sie kein Alarm erreicht hat.

Alarmübungen an Kitas und Schulen gibt es nach wie vor noch. Die Freiwillige Feuerwehr hält zudem Lernkoffer bereit, mit denen schon kleine Kindern lernen, wie man sich im Notfall verhält und Hilfe ruft. Welche Bedeutung die Heultöne der Sirenen haben, das wissen meist nur noch Rettungsprofis und ältere Menschen.

Die Retter orientieren sich am Farbschema des Wetterradars. Je dunkler die rote Farbe bis hin zu einem tiefen Violett, desto höher das Niveau der Bereitstellung. Und die Zahl der Kräfte. Das Wetterradar zeigte am Mittwoch aber nur „rot“ an. Bei den angesagten 25 bis 40 Litern Regen pro Quadratmeter und Stunde, kleinkörnigem Hagel und Windböen mit bis zu 75 Stundenkilometern war der Direktionsdienst der Feuerwehr aber noch weit entfernt davon, „den Ausnahmezustand für Gelsenkirchen anzunehmen“, so Jost.

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Leiten lässt sich die Feuerwehr bei ihren Entscheidungen auch von der Anzahl parallel verlaufender Einsätze. Die gab es am Flut-Mittwoch hier aber gar nicht. Bei mehr als 20 parallelen Einsätzen sähe die Sache anders aus, dann wären gemäß dem „Einsatzkonzept Unwetterlagen“ (40 Seiten umfassend) mehr und mehr Einsatzkräfte von Freiwilliger und Berufsfeuerwehr zusammengezogen worden. Sturm Ela war solch ein Ereignis – gut 1500 Einsätze beschäftigen die Retter mehr als zwei Wochen, als das Radar tags darauf schon wieder von Violett auf Grün umschaltete.

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Alle 39 Sirenen in Gelsenkirchen sind einsatzbereit, wäre im Ernstfall benutzt worden

Das sind die Sirenenwarntöne. Regelmäßig finden Warntage statt, an denen die Anlagen getestet werden. Gelsenkirchen verfügt über 39 solcher Sirenen, 42 werden es am Ende des Netzausbaus sein. Kosten: rund 700.000 Euro.
Das sind die Sirenenwarntöne. Regelmäßig finden Warntage statt, an denen die Anlagen getestet werden. Gelsenkirchen verfügt über 39 solcher Sirenen, 42 werden es am Ende des Netzausbaus sein. Kosten: rund 700.000 Euro. © Foto:Funke Grafik

Hätte sich ein unheilvolleres Unwetter abgezeichnet, dann „hätten Stadt, Feuerwehr und Polizei außerdem mit Einsatzwagen in den Straßen Lautsprecherdurchsagen gemacht“, erklärt Carsten Jost die Vorgehensweise der Einsatzkräfte bei stärkerer Gefahrenlage. Auch das gerade erst modernisierte Netzwerk aus Sirenen wäre benutzt worden.

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„39 Sirenen sind bereits aktiv und einsatzbereit“, so Jost. Drei Geräte fehlten noch, sie würden bald installiert. Einzig der letzte Zipfel des Stadtsüdens ist noch nicht ausreichend zu beschallen. Das Alarmsystem hat die Stadt 700.000 Euro gekostet. Eine Investition in die Zukunft, denn Extremwetterereignisse werden Wissenschaftler zufolge zunehmen.

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Einschätzung zu Cell Broadcasting: Stabiles Handynetz ist Grundvoraussetzung

Mit gemischten Gefühlen blicken die Profi-Retter auf das derzeit viel diskutierte „Cell Broadcasting“, mit dem es möglich ist, Direktnachrichten auf Mobiltelefone zu senden. Es soll auch in Deutschland eingeführt werden. Experten hatten dies schon seit längerem gefordert. Bei Katastrophen kann es Leben retten.

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„Das setzt aber ein flächendeckendes stabiles Handynetz voraus“, weist Carsten Jost auf mögliche Schwachstellen hin. Im optimalen Fall sollte die Warnung ja vor dem Ereignis erfolgen. Somit sollten die Handynetze auch noch korrekt funktionieren. Im weiteren Verlauf kann das dann allerdings anders aussehen. Entscheidend sei aber grundsätzlich, dass das Handy zum Zeitpunkt der Warnung überhaupt an und in Reichweite ist. Sonst gingen wertvolle Vorwarnzeit und Reaktionsmöglichkeit verloren – beispielsweise bei Senioren, eine vulnerable Gruppe.

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Warn-App „Nina“: Direkter Kanal zu Radio und TV, Alarm-Laufband einblenden möglich

Skepsis gibt es auch gegenüber dem Diskussionsvorschlag, künftig Warnungen bundesweit und zentral über die Warn-Apps zu steuern. Jost erklärt, warum: „Derzeit können wir zeitnah bei lokalen Ereignissen warnen und informieren, zuletzt noch in der Nacht von Montag auf Dienstag, als in Heßler ein Bäckereibetrieb brannte und es zu einer starken Rauch- und Geruchsbelästigung kam.“ Im Falle einer ausschließlich zentralen Alarmierung, würde den einzelnen Leitstellen diese Möglichkeit genommen werden, was zu einem Zeitverzug führen könnte. Bund und Land haben auch jetzt schon die Möglichkeit im Bedarfsfall zentral Warnmeldungen abzusetzen, was sich während der Pandemie auch eindeutig bewährt hat.“

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Denn: Schon jetzt bietet Nina weitreichende Möglichkeiten, Bürger zu alarmieren. „Man kann von uns aus regionale und überregionale Medien erreichen, je nach Gefahrenlage, eine Warnung ins Programm mit aufzunehmen“, sagt der Feuerwehrsprecher. Ninas Macht reicht sogar soweit, unabhängig davon, ob ein Medium der Warnung Beachtung schenkt und einen Beitrag dazu veröffentlicht, „ein Laufband mit einer akuten Eilmeldung einblenden“.

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