Gelsenkirchen. Von Kulturschätzen, Abschieden und Neuanfängen: Barbara Kloubert, Klaus Ellenbeck und Jürgen Bergmann stellen „Kirchen in Gelsenkirchen“ vor.
Grabstätten in Gelsenkirchen und den Menschen, die dort beigesetzt wurden, haben sie sich 2018 gewidmet. Ein Jahr später dann den lokalen Straßennamen, 2020 ging es weiter mit „Lese-, Heimat-und Bilderbüchern“ über Bulmke und Rotthausen. Kurzum: Barbara Kloubert, die ehemalige Studienrätin, und Klaus Ellenbeck, Ingenieur im Un-Ruhestand, waren in Sachen Gelsenkirchener Geschichte schwer aktiv. Die Freude an der Recherche, Entdeckergeist und die Freude an gemeinsamen Projekten sind ihr Antrieb. Nun haben sie Eigenverlag nachgelegt und wieder den Blick auf die gesamte Stadt gerichtet, genauer: ihre Gotteshäuser.
Gelsenkirchener Autoren-Paar treibt Freude an gemeinsamen Projekten an
„Kirchen in Gelsenkirchen“ ist das jüngste Werk des Autoren-Paares. Bildlich haben sich die Autoren diesmal verstärkt und Jürgen Bergmann mit ins Boot geholt. Bergmann hat als ambitionierter Fotograf nach eigener Auskunft „alle Straßen der Stadt“ abgelichtet, vor allem aber per Drohne aus der Vogelperspektive sämtliche historischen Gelsenkirchener Sehenswürdigkeiten fotografiert. Der Fundus für „Kirchen in Gelsenkirchen“(20 Euro) war also groß. Entstanden ist ein 160-Seiten-Buch, das interessante Blickwinkel eröffnet, zahlreiche Fakten liefert, überraschende Details offenbart und auch Erinnerungsarbeit leistet. Denn etliche der Kirchen, die hier zwischen den Buchdeckeln Platz gefunden haben, sind längst aus dem Gelsenkirchener Stadtbild verschwunden.
Durchaus detailverliebt sind die Autoren das Projekt angegangen. Auch wenn die Textpassagen kurz gehalten sind, ist der Informationsgehalt durchaus hoch. Ein Ausriss über Daten, Zahlen und Fakten:
Bistums-Wechsel und alte Preußen
Die katholischen Kirchen in Buer und Horst gehörten bis 1958 zum Bistum Münster, die in Alt-Gelsenkirchen zum Bistum Paderborn. Dann wurden sie dem neuen Essener Ruhrbistum zugeordnet. Acht katholische Kirchen in Gelsenkirchen wurden erst nach diesem Datum gebaut. Die evangelischen Gotteshäuser gehören zum evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid. Kirchenkreise wurden als Element der kirchlichen (Selbst)-Verwaltungsorganisation in Preußen nach dem Wiener Kongress 1815 eingeführt.
Von der Kirchen-Hochzeit bis heute
Mit der Stadt und ihren Einwohnern (1959 erreichte die Einwohnerzahl mit 391.745 ihren historischen Höchststand) wuchsen auch die Gemeinden. Der Höhepunkt war um 1970 erreicht. 26 evangelische und 36 katholische Kirchen wurden damals gezählt, dazu noch mit St. Joseph in Bulmke eine katholische Klosterkirche des Oblatenordens.
19 katholische Kirchen im Stadtgebiet werden als Haupt- oder Filialkirchen noch regelmäßig als Gottesdienstorte genutzt, 20 sind es auf evangelischer Seite. Außer Betrieb oder ganz geschlossen sind zehn katholische und sechs evangelische Kirchen. Geschichte sind die katholischen Kirchen St. Ida, Christus König, St. Hedwig und St. Pius. Abgerissen wurden bislang drei evangelische Gotteshäuser: Martin-Luther-Kirche, Johanneskirche und Petrihaus.
Die frühen Gelsenkirchener Gründungen
Der Überlieferung nach verfügte die Äbtissin Theophanu des Essener Damenstifts zwischen 1000 und 1050 den Bau einer ersten Kirche – prägend für den Stadtnamen. „Geilistirinkirkin“ wurde bereits 1908 von Franz Darpe als „Kirche (am Bach) der üppigen Stiere“ gedeutet. Um 1250 war Gelsenkirchen vermutlich bereits selbstständige Pfarrei. Die erste, dem Heiligen Georg geweihte Kirche, wurde um ein romanisches Chorhaus erweitert. Die Reformation hielt - spät – um 1615 Einzug. Der protestantische Kurfürst von Brandenburg setzte gegen die Äbtissin aus Essen einen protestantischen Pfarrer für die Georgskirche durch. Die Katholiken teilten sich, nicht immer ohne Streitigkeiten und Rivalitäten, das Nutzungsrecht der Kirche bis 1843. Dann konnten sie mit St. Augustinus eine eigene Kirche bauen. In Buer gab es wohl bereits um 1160 eine Pfarrei, ab 1200 entstand der Vorgängerbau der heutigen Kirche St. Urbanus. Urkundlich erwähnt wird Hippolytus in Horst erstmals 1411, die erste Pfarrkirche wurde um 1590 auf der Vorburg des Horster Schlosses gebaut.
Von St. Urbanus zu St. Pius
65 Gotteshäuser stellen die Autoren vor, weitgehend chronologisch geordnet nach dem Baujahr der heutigen Kirchen. Den Anfang macht St. Urbanus (1893 eingeweiht), am Ende steht St. Pius in Hassel mit seiner vergleichbar kurzen Geschichte: Der Grundstein wurde am Eppmannsweg 1971 gelegt. Ein Jahr später am 11. November wurde der Neubau, markant in Erinnerung durch die 1978 aufgestellte und erhaltene sogenannte Jungfrauenstele, eingeweiht. 2014 wurde die Kirche bereits profaniert und abgerissen. Am Eppmannsweg wurde ein Seniorenzentrum gebaut.
Die dienstälteste Kirche
In der heutigen Form entstand die evangelische Bleckkirche in Bismarck 1889. Damals wurde der Vorgängerbau erweitert. Er entstand 1735. Damit ist die Kirche im Ursprung die älteste erhaltene Kirche im Stadtgebiet. Die „Kirche der Kulturen“, seit 1995 Ort ambitionierter Kulturarbeit, beherbergt auch ein Renaissance-Schmuckstück. 1738 wurde der Altar aus der Schlosskapelle von Schloss Grimberg in der Kirche aufgestellt. Das 1574 aus einem einzigen Stein gefertigte Altarbild zeigt Christus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern.
Die Kirche und der Kampf der Kumpel
Die Apostelkirche an der Horster Straße ist die älteste evangelische Kirche in Buer. Zur Einweihung 1893 bekam die Gemeinde eine Bibel mit Goldschnitt überreicht, signiert von der letzten Kaiserin Auguste Viktoria. Berühmt wurde das Gotteshaus als „Kirche der Solidarität“ 1997. Die Gemeinde unterstützte damals den Kampf der Hugo-Belegschaft um ihre Arbeitsplätze. Die Kirche wurde von Kumpeln und Mitstreitern für 40 Tage symbolisch besetzt.
Jung geblieben mit „Gleis X“
Als romanische Basilika wurde ab 1894 die katholische Liebfrauenkirche in der Neustadt errichtete. 2019 wurde der letzte reguläre Gottesdienst gefeiert. Doch die Liebfrauenkirche bleibt - seit 2013 – „Gleis X“. In Bahnhofsnähe ist sie Jugendkirche im Bistum Essen.
Das sportlichste Gotteshaus
Der Titel geht ganz klar an St. Joseph in, natürlich, Schalke! Das Bau-Grundstück schenkte der Industrielle Friedrich-Grillo (seinen Namen trägt der Platz gegenüber) der damaligen Gemeinde. 1894 wurde die Basilika fertiggestellt. Vor den Schalker Heimspielen wird hier blau-weiß geflaggt, steht das Gotteshaus an der Kurt-Schumacher-Straße (nicht nur) gläubigen Fans offen, auch wenn hier bereits 2019 die letzte offizielle Messe gelesen wurde. Kick in der Kirche: Franz Kohle, Pfarrer von 1952 bis 1973 und Schalke-Fan, ließ vom Gelsenkirchener Künstler Walter Klocke ein Kirchenfenster gestalten. Es zeigt den heiligen Aloisios von Gonzaga: mit Fußball am Fuß.
Außer Dienst und ohne Perspektive?
Mariä Himmelfahrt in Rotthausen entstand 1894 als dreischiffige Basilika. 1898 wurde der 70 Meter hohe Turm erbaut. Nach Kriegsschäden wurden die Türme verkürzt wieder aufgebaut. Was mit der Kirche, die 2007 außer Dienst gestellt wurde, geschehen soll, ist immer nochoffen: Eine Wohnnutzung wäre vorstellbar.
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Geschlossen ist seit 2020 auch St. Suitbert an der Surkampstraße in Erle. Das Gelände, auf dem 1963 zunächst eine Notkirche eröffnet wurde, soll vermarktet werden. Heilig Geist in Schaffrath und St. Bonifatius in Erle sind ebenfalls längst entwidmet. An der Cranger Straße wurde der Abriss für einen Discounter debattiert, am Ende fand sich hier eine andere (Teil)-Lösung. Die Bäckerei Zipper hat an den Kirchenbau ein Café angedockt und plante, die Backstube in die Kirche zu verlegen. Ungewiss ist die Zukunft von St. Georg in Schalke. An der Franz-Bielefeld-Straße wurde am 2. Februar 2019 die letzte heilige Messe gefeiert. In der Sanierungszeit des Musiktheaters im Revier probte das Ensemble unter anderem in der 1908 eingeweihten dreischiffigen romanischen Basilika.
Offen ist auch die Zukunft der evangelischen Auferstehungskirche in der Neustadt. Der massive Sakralbau mit dem wuchtigen Turm wurde 1911 fertig. Bestechend ist die Jugendstilausstattung im Innenraum. Seit 2012 steht das Gebäude leer. Ideen für eine Wiederbelebung (Wohnheim, Indoor-Sport) gab es, doch letztlich keine zündenden Ideen.
St. Theresia in Hassel, 1960 konkretisiert und 2007 geschlossen, soll neu genutzt werden. Doch sowohl die Pläne für eine Kita oder einen Supermarkt waren zuletzt massiv umstritten.
Außer Dienst ist auch seit 2006 die 1967 erbaute Paul-Gerhard Kirche in Ückendorf. Kirchturm und Kirchenschiff sollen in eine Wohnungsbau-Anlage integriert werden. Das Projekt zieht sich bereits über ein Jahrzehnt.
Die wohnlichste Kirche
An der Biele 1 in Hassel wandelte sich die 1955 eingeweihte evangelische Markuskirche nach der Entwidmung 2014 gründlich: Das Presbyterium hatte sich bereits 2013 für einen Architekten-Entwurf zur Umnutzung entschieden. Realisiert wurden ein Wohnhaus im Kirchenschiff. Die zehn Wohnungen wurden ab Mai 2017 bezogen.
Die größte Baustelle
Zweifellos ist das Heilig Kreuz in Ückendorf: Der Sakralbau, der auffälligste Entwurf unter den 33 Kirchenhäusern, für die der Architekt Josef Franke verantwortlich zeichnete, wurde 1929 eingeweiht. Die Kirche an der Bochumer Straße gilt als herausragendes Monument des Backsteinexpressionismus. Besonders auffällig sind das aus Backstein gemauerte Kruzifix an der Front und die Parabelform des Innenraums. 2007 wurde in Heilig Kreuz die letzte Messe gefeiert. Seit 2019 ist das ehemalige Gotteshaus Großbaustelle und Millionenprojekt der Stadterneuerung. Als herausragender Veranstaltungsort soll die Kirche bis 2022 ein weiterer Ankerpunkt im Kreativquartier Ückendorf werden.
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