Gelsenkirchen-Erle. Die Kirche in Gelsenkirchen soll Mitte November aufgegeben werden. Für Gemeinde-Mitglieder wie Elsbeth Wallmeier wird dies ein schwerer Tag.
Am Wochenende in die Kirche zu gehen: Das war für Elsbeth Wallmeier immer selbstverständlich. Vor dem Gottesdienst am Sonntag, 15. November, in St. Suitbert an der Surkampstraße im Berger Feld würde sie sich aber am liebsten drücken, so schmerzhaft wird er wohl für sie: Das Gelsenkirchener Gotteshaus mit dem dreifach gefalteten, an ein Zelt erinnernden Dach wird an jenem Tag geschlossen, nach 54 Jahren. Die 79-Jährige hat jedes einzelne miterlebt – und das Gemeindeleben mitgestaltet.
„Als mein Mann und ich 1963 in unsere erste gemeinsame Wohnung zogen, wurde gerade der Pfarrsaal gebaut. Wir hatten den Baufortschritt täglich vor Augen, weil wir nur fünf Minuten entfernt zu Hause waren“, berichtet die dreifache Mutter. „Der Bischof Hengsbach hat ja damals überall neue Kirchen bauen lassen. Für uns war es eine tolle Sache, mit St. Suitbert eine ,eigene’ Kirche vor der Haustür zu bekommen. Ob zur Messe, ins Pfarrheim oder in die Kita: Wir hatten kurze Wege.“
Kirchbauvereins-Mitglieder sammelten Geld für Gelsenkirchener Gotteshaus
Sie weiß noch genau, wie Mitglieder des 1962 gegründeten Kirchbauvereins von Haus zu Haus zogen und Geld sammelten für den Eigenanteil, den die Gemeinde zur Errichtung der Gebäude beizusteuern hatte. 650.000 Mark betrugen am Ende die Gesamt-Baukosten für das Gotteshaus. Es war aber der Kindergarten, der im Juni 1963 zuerst fertiggestellt wurde, im September folgte der zunächst als Notkirche genutzte Pfarrsaal. Die Kirche, deren Entwurf auf den Architekten Paul Günther aus Buer zurückging, wurde im Mai 1966 geweiht. Charakteristisch neben dem „Zeltdach“: die Glasbeton-Fenster der erfolgreichen Künstlerin Hildegard Bienen aus Marienthal, die auch das Bronzerelief an den Türen schuf.
Dabei sind es nicht nur besondere familiäre Ereignisse wie die Taufen und Erstkommunion-Feiern ihrer drei Töchter oder ihre eigene Silberhochzeit mit ihrem Mann Heinz (79), die Elsbeth Wallmeier mit St. Suitbert verbindet. „Wir sind mit anderen Familien aus der Gemeinde zu einer festen Gemeinschaft zusammengewachsen. Das war schon schön, mit jungen Leuten in der gleichen Situation Erfahrungen zu teilen“, sagt sie und meint damit auch: Glauben zu leben.
Kirche und Gemeinde war fester Bestandteil des Familienlebens
Wegen ihrer Mitgliedschaft im Familienkreis, im Kirchenvorstand (1983 bis 1999) und später im Gemeinderat von St. Barbara waren Kirche und Gemeinde für sie nie nur ein fester Sonntags-Termin, sondern zentraler Bestandteil ihres Familienlebens. So bedauert sie es auch, dass ihre monatliche Kaffeerunde, die sie vor 25 Jahren (nicht nur) für Alleinstehende ins Leben rief, nun ein Ende findet („mit knapp 80 möchte ich nicht mehr morgens um 7 Uhr Brötchen holen und alles vorbereiten“).
„Dass das Gotteshaus jetzt geschlossen wird, tut uns richtig weh. Ich verstehe ja, dass man kein Geld mehr hat. Aber wenn jetzt nur noch Finanzielles im Vordergrund steht und nicht mehr so sehr wir Gläubigen…. An Besuchern hat es in St. Suitbert eigentlich nicht gemangelt“, meint sie. „Vielleicht hätte ich damals, als sich die Entwicklung in den 1990er-Jahren abzeichnete, doch anregen sollen, von jedem Gottesdienst-Besucher zwei Euro Eintritt zu nehmen. Dann hätte man das Aus vielleicht vermeiden können.“
Pfarrei St. Urbanus will das Grundstück vermarkten
Wie berichtet, wird St. Suitbert – wie etwa schon St. Bonifatius in Erle, St. Ida in der Resser Mark und zuletzt St. Konrad in Middelich – im Zuge des Pfarrei-Entwicklungsprozesses aufgegeben. Hintergrund sind Mitgliederschwund, Priestermangel, Bedeutungsverlust der Kirchen und die prognostizierte Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung der Pfarreien.
St. Barbara, zu der St. Suitbert als Filialkirche gehört, „nein, das ist nicht unsere Kirche, da fühlen wir uns nicht heimisch“, sagt die 79-Jährige sehr direkt. Gut, sie fährt noch Auto und will auch dort zur Messe gehen, wenn es ihre Gesundheit und die Corona-Situation erlauben. „Aber ob das so oft sein wird wie früher in St. Suitbert? Die Gemeinschaft mit den anderen, die nicht so mobil sind, die fehlt.“
Wer kein Auto hat und nicht gut zu Fuß ist, der müsse den Bus zur St.-Barbara-Kirche nehmen. „Aber das wollen in der Pandemie die wenigsten.“ Der Fahrdienst, den die Gemeinde bei einer Entspannung der Infektionslage erwäge, sei schließlich noch unsicher. So bleibe Älteren oft nur, die Sonntagsmesse im Fernsehen zu verfolgen. Junge Leute wiederum seien mobiler und hätten sich zu einem Großteil bereits nach St. Barbara orientiert. „Denen fällt die Schließung der Kirche offenbar nicht so schwer wie uns.“ Das aus dem Grundstück wird, ist noch unklar. Die Pfarrei plant die Vermarktung des Geländes. Der Kindergarten soll bestehen bleiben.
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