Essen. . Der scheidende Planungsamtsleiter Thomas Franke hält den Weiterbau der A52 inzwischen für unrealistisch. Nachdem er den Bau der A52 durch Essen lange Zeit befürwortet hat, glaubt er nun, dass Bürger solche Projekte nicht mehr akzeptieren. Im NRZ-Interview zieht Franke Bilanz.

Beinahe ein Vierteljahrhundert hat er die Stadtplanung in Essen entscheidend mitgeprägt, jetzt heißt es für Thomas Franke Abschied nehmen von seinem Job im Deutschlandhaus: In wenigen Wochen geht der studierte Architekt und Städteplaner, der in der Politik über alle Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen genießt, in Ruhestand.

Eine gute Gelegenheit, in einem großen NRZ-Interview Bilanz zu ziehen – und wohl auch der richtige Zeitpunkt, sich von einem über Jahrzehnte gehegten Plan zu verabschieden: Er habe, so sagte der 65-jährige Franke jetzt der NRZ, lange Zeit für den geplanten Lückenschluss der Autobahn A52 durch den Norden „die Fahne hochgehalten“. Doch inzwischen sei es wohl an der Zeit, die Lage realistisch zu beurteilen, und für Franke bedeutet dies unmissverständlich: „Ich bin überzeugt davon, dass aus dem Plan, die A52 weiterzubauen, nichts mehr wird.“

"Von den Bürgern nicht mehr akzeptiert"

Franke mag sich dabei nicht einmal dahinter verstecken, dass Großprojekte es heute per se schwer haben. Zwar lässt auch er keinen Zweifel daran, dass sein Rückzug ein Stück Kapitulation vor der Skepsis vieler Bürger gegenüber derlei Vorhaben bedeutet: „Ich persönlich glaube nicht, dass diese Autobahn quer durch die Stadt noch durchsetzbar ist. Diese Zeit ist vorbei. Das wird von den Bürgern nicht mehr akzeptiert.“ Und ein Volltunnel über die komplette Strecke sei „mit Sicherheit nicht finanzierbar“.

Der scheidende Leiter des städtischen Planungs- und Bauordnungsamtes hegt mittlerweile aber auch inhaltliche Bedenken gegen das seit den 1980ern diskutierte Mega-Projekt, für das die rot-grüne Landesregierung jüngst die weiteren Planungsmittel strich:

„Was mich persönlich sehr zum Nachdenken gebracht hat, war die Sperrung der A40. Daraus sollten wir Lehren ziehen“, so Franke. Denn offensichtlich sei es im Sommer 2012 ja gelungen, die Lkw-Verkehre ganz massiv zu verlagern. Auch der öffentliche Nahverkehr habe profitiert, und die innerstädtische Ausweichroute war selbst außerhalb der Ferienzeiten keinesfalls überlastet: „Es gibt also Reserven in unserem Straßennetz, die uns auch nicht bekannt waren.“

Erfahrungen aus A40-Sperrung hinsichtlich Alternativen zum A52-Weiterbau auswerten 

Franke plädiert dafür, die Erfahrungen aus dieser A40-Sperrung nochmals hinsichtlich möglicher Alternativen zum A52-Weiterbau auszuwerten. Was der Planungsamtsleiter noch zu sagen hat, lesen Sie im folgenden Interview.

Herr Franke, zum Abschied kommen wir Ihnen mit Brecht, Sie ahnen schon, welcher Spruch…

Thomas Franke: „Ja, mach’ nur einen Plan, sei nur ein großes Licht…“

„...und mach’ dann noch nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht“. Und dazu fällt dem scheidenden Planungsamtsleiter was ein?

Franke: Das Univiertel. Das verfolgt mich seit 23 Jahren mit wenigstens drei Bebauungsplänen, die mal eine vierspurige Straße auf dem heutigen Grünzug vorsahen und mal das Einkaufszentrum von mfi. Von beidem lässt sich sagen: Manchmal ist es besser, Pläne werden nicht realisiert.

Aber wann weiß ein Stadtplaner, dass das, was er da plant, noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist?

Franke: Manchmal haben Sie wie bei mfi aus dem Bauch heraus ein ungutes Gefühl und hoffen darauf, dass es nicht kommt. Und manchmal ist es einfach Versuch und Irrtum.

Und manchmal merkt man sehr spät, dass alles richtig lief…

Franke: Wie beim Krupp-Gürtel: Wir hatten den Vorteil, dass dort keiner wohnte, man hat uns machen lassen, mit großem planerischen Freiraum, weil auch die Interessenlage der Politik ganz gering ausgeprägt war.

Würden Sie so weit gehen zu sagen: Und weil man uns hat machen lassen, ist es besonders gut geworden?

Franke: So weit würde ich nicht gehen. Die Grundprinzipien haben wir zwar in der Tat durchgedrückt: den Berthold-Beitz-Boulevard, den Grünzug Richtung Altendorf, die Flächen, die bebaut werden sollten. Aber bei der Rahmenplanung hat doch keiner damit gerechnet, dass Thyssen-Krupp wieder zurück nach Essen kommt. Sie können höchstens andersrum sagen: Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das überhaupt gedacht wurde. Sie können nicht alles vor- und durchplanen bis zur letzten Schraube, Sie müssen auch vieles offen lassen für Veränderungen. Das ist ja das Schöne an unserem Beruf: Wir machen Zukunftsgestaltung, und da können Sie mit Glück vielleicht drei bis fünf Jahre nach vorne gucken, mehr nicht.

Und wenn sie nicht voraus-, sondern zurückschauen auf 23 Jahre Stadtplanung: Würden sie sagen, das meiste ist doch gut gegangen?

Franke: Ja, das gilt gerade für die letzten 10, 15 Jahre. Da sind viele Projekte angestoßen worden, die man heute auch überregional vorzeigen kann.

Kurioserweiser also in einer Zeit, da die Stadt sagen musste: Wir sind so klamm, wir können nicht selbst investieren, wir müssen uns zurücknehmen. War das gar der Grund?

Franke: An guter Stadtplanung sind immer ganz viele beteiligt, das ist ein Konzert, und wir spielen nur einen Teil der Partitur. Aber das Ergebnis spricht für sich: Zeche Zollverein mit der Adelung zum Weltkulturerbe, der Krupp-Gürtel und dazu die rasante Wohnungsbauentwicklung der letzten Zeit. Was wir dort im gehobenen Segment erleben, ist für uns fast unfassbar – Penthousewohnungen für 1,2 Millionen Euro, die sofort weg sind. Das Univiertel, der Seebogen in Kupferdreh, die Seepromenade in Kettwig – hochpreisige Projekte, die von der Bodenplatte aus wegverkauft werden.

Was können Sie denn tun, um diesen Trend zu verstetigen?

Franke: Ganz einfach: Flächen bereitstellen. Aber das ist ja politisch sehr umstritten und hat beim Regionalen Flächennutzungsplan dazu geführt, dass die Politik Flächen strich, die die Verwaltung vorgeschlagen hatte.

Was Sie sehr grämt?

Franke: Ja, denn das sind Entwicklungspotenziale, die erst einmal nicht mehr zur Verfügung stehen. Schade. Das zeugt von einer gewissen Mutlosigkeit. Extrembeispiel ist ja unser „Stuttgart 21“, die „Grüne Harfe“.

Ist man mit Protesten heute schneller bei der Hand als früher, oder täuscht die Wahrnehmung?

Franke: Sagen wir mal so: Wenn wir in den 1990er Jahren im Norden bauten, haben wir als Planer sogar Beifall gekriegt. Aber schon damals war es so: Wenn wir im Süden mal etwas planten – was selten genug vorkam, da herrschte ja fast ein Baustopp, wenn man so will – war immer Randale.

Das klingt, als hätte sich kaum etwas geändert.

Franke: Nicht viel. Großprojekte, denke ich, sind heute kaum noch durchsetzbar, siehe der Weiterbau der A52.

Wunsch "wachsende Stadt" zu werden ist da 

Wenn sie von einer mutlosen Politik sprechen, sehen Sie das ja weniger als planerisches, denn als psychologisches Problem. Dabei ist der Wunsch, „wachsende Stadt“ zu werden, durchaus da. Dennoch gelingt es uns nicht, den Einpendler-Überschuss nachhaltig abzubauen.

Franke: Das ist in Essen zugegebenermaßen ziemlich extrem, gleichwohl muss man das Ruhrgebiet aber auch als polyzentrischen Raum begreifen.

Übertreiben wir es mit dem Wunsch, alle hier ansässig haben zu wollen?

Franke: Ein bisschen, ja. Da ist eine Menge Kirchturmsdenken dabei. Wenn jemand die Ruhrgebiets-Problematik drauf hat, wenn jemand weiß, wie diese Region tickt, wie man sie organisieren muss, ist es letztlich egal, ob der in Dortmund, Mülheim, Gelsenkirchen oder Essen wohnt.

Sagen Sie das jetzt, weil Sie selbst Dortmunder sind?

Franke: Ich sage das, weil ich die Debatte kleinkariert finde. In Berlin-Mitte würde doch keiner hinterfragen, warum Sie in Spandau wohnen.

Es ist ja auch ein Problem unseres Wohnungsmarktes.

Franke: In der Tat: Ein Hauptproblem, mit dem man sich demnächst dort wird herumschlagen müssen, sind die Bauten der 1950er und 1960er Jahre. Von den 320.000 Essener Wohnungen stammen etwa ein Drittel aus dieser Zeit.

Unsere „Plattenbauten“?

Franke: Genau. Viele davon sind verscherbelt worden und gehören heute Investorengesellschaften. Nicht den berüchtigten „Heuschrecken“ wie vielfach in Dortmund. Dennoch: Die was machen müssten an ihrem Wohnungsbestand, die machen nichts. Auch die Frage: Wo kann man Bestände abreißen und neu bauen, können Sie mit denen kaum diskutieren.

Immerhin gibt’s den Allbau.

Franke: Gott sei Dank, ja. Der geht ins Risiko und zeigt etwa am Niederfeldsee in Altendorf, wie es laufen kann. Auch die Wohnungsgenossenschaften, die räumlich mit Essen verhaftet sind, engagieren sich, aber sonst…

Das hört sich an, als wären wir auch fast 70 Jahre nach Kriegsende noch dabei, den planerischen Wildwuchs von einst zu „reparieren“.

Franke: Diese Phase haben wir im Ruhrgebiet in der Tat noch lange nicht überwunden. Aber das liegt auch in der Entwicklung begründet, die einst explosionsartig vonstatten ging. Die kann nicht zu harmonischen Ergebnissen führen, da haben sie zwangsläufig Brüche und Widersprüche. Zudem hat die Verkehrsplanung die Stadtplanung stark dominiert, man wollte die autogerechte Stadt. Auch ich habe noch Vertreter der alten Garde im Amt erlebt, mit denen rang man um jede Fahrspur.

Damals wurde mit Flächen geaast, heute fehlen sie an allen Ecken und Enden.

Franke: So ist das. Es fehlt das Geld, um perspektivisch einen anständigen Grundstücksvorrat anzulegen, unsere Vorgänger bekamen das noch hin – siehe Univiertel: Das war eine kluge Entscheidung die benachbarten Grundstücke um die einstige Markthalle Zug um Zug aufzukaufen. Steuern können wir heute noch beim Verkauf von Flächen, wenn wir Infrastruktur aufgeben, Schulgrundstücke etwa. Dazu haben wir eine Flächenkonferenz organisiert, die alle Ämter einbindet. Ansonsten sind wir auf Dritte angewiesen. Es gibt kaum noch Angebots-Bebauungspläne wie früher. Damals saßen hier Planer, die haben sich irgendwas ausgedacht, und so sehen die Pläne auch manchmal aus. Heute machen wir Bebauungspläne, die in der Regel mit Investoren zusammen entwickelt werden. Mit dem Spagat, deren berechtigte Interessen zu sehen, aber eben auch die öffentlichen.

Fällt es Ihnen schwerer als früher, zu Investoren auch mal Nein zu sagen?

Franke: Sicher nicht, denn für dieses Nein werde ich auch bezahlt. Gerade beim Thema Einzelhandel haben wir oft Nein sagen müssen, wir haben stadtweit 40 Aufstellungsbeschlüsse eingestielt und mehr als ein Dutzend Bebauungspläne entwickelt, um den Einzelhandel aus Gewerbegebieten herauszuhalten. Mittlerweile zahlt sich das aus.

Nachdem Sie bittere Erfahrungen haben machen müssen.

Franke: Ja, klar, da geht’s um Klagen, wir haben Prozesse verloren und auch mal Schadensersatz gezahlt.

Ihre größte Niederlage?

Franke: Das Mini-Einkaufszentrum an der Altendorfer, Ecke Haedenkampstraße, das war ein Fehler. Da haben wir auch viel Geld zahlen müssen.

Nicht wenige sagen: Das Einkaufszentrum Limbecker Platz war ein großer planerischer Sündenfall.

Franke: Nicht, was die Ansiedlung an diesem Ort betrifft. Unsere Sorge lautete ja: Was passiert, wenn nichts passiert? Das wäre der deutliche Niedergang der ganzen Ecke gewesen. Mit dem Center ist die Kaufkraftziffer gestiegen, es gab viele Investitionen bis hinauf zur Kettwiger, die befürchteten Leerstände blieben aus. Dennoch: Städtebaulich bin ich mit der Fassade nicht zufrieden. Das Material ist zu schlicht, nicht wertig genug, und vielleicht hätte man auch mehr darauf dringen müssen, die Limbecker Straße in ihrem Verlauf zu belassen und durchs Gebäude zu ziehen.

Politik hat das Projekt beschlossen 

Am Ende mögen Sie sich trösten, dass ohnehin die Politik das Projekt beschlossen hat. Ist es schwierig für Stadtplaner, sich mit der eigenen Fachmeinung Gehör zu verschaffen?

Franke: Nein, das glaube ich nicht. Die Möglichkeiten der Verwaltung werden auch von ihr selbst oft unterschätzt. Wenn Sie eine Entscheidung der Politik gut, klug und nachvollziehbar vorbereiten, kriegen Sie das in 80, 90 Prozent politisch beschlossen – über die Parteigrenzen hinweg.

Ein Grundvertrauen in die Qualität politischer Entscheidungen haben Sie also durchaus?

Franke: Nee, umgekehrt: Wenn die Politik unsere Arbeit als qualitätvoll erachtet, fällt es ihr auch leichter, dieser zu folgen. Man sollte als Verwaltung nicht den Fehler machen, bang zu lauschen: Was will wohl die Politik? Sondern umgekehrt selbst Impulse setzen. Sie erinnern sich an diesen wunderbaren Satz, „Willi, gib‘ mir ein Signal…!“

...gemeint war damals der mächtige SPD-Fraktionschef Willi Nowack…

Franke: ...so zu handeln, halte ich für völlig falsch. Unser Job ist es, Themen fachlich vor- und so aufzubereiten, dass es der Stadt dient und die Politik das mittragen kann. Das ist ein Geschick, das man entwickeln muss.

Und doch kann alles schief gehen – wie beim verschlimmbesserten Hochhaus an der Kruppstraße.

Franke: Das stimmt. Es war ein Fehler von uns, die Diskussion über Bauvarianten in den Planungsausschuss zu verlagern, das hätten wir anders organisieren müssen, das ist uns entglitten. Aber wir haben Glück gehabt, dass der Entwurf nicht gebaut wird…

...sondern stattdessen ein Bau für das Logistikunternehmen Schenker, auf den man sich mit Blick auf die Architektur nur freuen kann.

Franke: Und das ohne Wettbewerb, für den wir sonst oft kämpfen. Wobei man ja sagen muss: Wir sehen in so herausragenden Objekten ja nur die Spitze des Eisbergs. Bei uns laufen 3000 Bauanträge im Jahr durch, das ist ein Massengeschäft, und was die Kollegen uns manchmal anbieten… naja.

Das lehrt uns was?

Franke: Dass Sie die Diskussion über gute Architektur mit beeinflussen müssen. Das hat der Arbeitskreis Essen 2030 gut kultiviert, die wirklich wichtigen Fälle noch mal auf eine Diskussionsplattform zu hieven. Wir müssen auch sicher eine differenziertere Bürgerbeteiligung anbieten, mehr als das Standardprogramm.

Was auch Personal bindet.

Franke: So ist es. Personal, das wir eigentlich nicht haben. Das ist ein Problem.

In welcher Hinsicht?

Franke: Einmal mit Blick auf die Überalterung. Im Planungs- und Bauordnungsamt sind von rund 140 Leuten ganze vier unter 35. Wie wollen Sie Zukunft gestalten mit Leuten, die beruflich gesehen mehr Vergangenheit als Zukunft haben? Gerade hier brauchen Sie Leute mit frischem Wissen aus den Unis, die immer mal wieder den Laden aufmischen, die etwas infrage stellen. Die müssen selbst noch erleben können, was sie da planen. Ich habe da auch ein Unverständnis dafür, wie problemlos Messeprojekte durchgewinkt werden oder ein Stadion für einen viertklassigen Verein. Und wir sind nur dazu da, ausgequetscht zu werden.

Manche formulieren dennoch: Von den Planern muss mehr kommen.

Franke: Jaja, wir können uns viel ausdenken, aber das muss auch einer ausfüllen. Wir hatten auch schon mal einen Wissenschaftspark durchgeplant – keiner ist gekommen. Und denken Sie daran, wie lange wir das Univiertel als Filetstück angeboten haben. Lange Zeit war’s nur Gammelfleisch. Manche Dinge muss man halt liegen lassen, nur nicht mit Provisorien zupflastern, die man hinterher nicht mehr wegkriegt. Eine Stadt planen heißt auch: Geduld haben.