Essen. Unter den klammen Stadtkassen leiden die Bürger. Die Kommunen versuchen ihre Haushalte auszugleichen, können dabei aber immer weniger für die Erneuerung ihrer Infrastruktur tun. In Essen stehen Sanierungen für 30 Millionen Euro auf der Liste, aber sie stauen sich.
Mitte Juli ist es so weit. Die Alfredstraße wird auf einer Länge von gut zwei Kilometern saniert. Für die 38.000 m2 Asphalt zwischen Krawehlstraße und A 52 gibt die Stadt vier Millionen Euro aus. Viel mehr als diese Maßnahme ist buchstäblich nicht drin, allein mit ihr ist der Topf für das Straßenerneuerungsprogramm 2013 nahezu ausgeschöpft. Dabei stehen weitere Sanierungen für 30 Millionen Euro auf einer Maßnahmenliste, in der besonders erneuerungsbedürftige Straßenabschnitte aufgelistet werden. Sie stauen sich.
Aber nicht nur sie. Auch die städtischen Immobilien sind trotz 70 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II zum Teil in renovierungswürdigem Zustand. In einer Verwaltungsvorlage vom Dezember 2012 heißt es: „Das Instandhaltungsverzeichnis der Immobilienwirtschaft beinhaltet ein Volumen an erkanntem Modernisierungs- und Sanierungsbedarf von rund 123 Millionen Euro“. Dazu kommt ein „Modernisierungsstau“, so Messe-Chef Egon Galinnis, von mehr als 100 Millionen Euro für die Ertüchtigung der Messe.
Nachholbedarf in vielen Bereichen
Längst macht in Kommunen das Wort „Investitionsstau“ die Runde. Er resultiert aus den Sparbemühungen der Städte, die sich anschicken, ihre Haushalte auszugleichen, aber immer weniger für die Erneuerung ihrer Infrastruktur tun können.
Das gilt auch für Essen. Die Verkehrsbetriebe taxieren ihren Erneuerungsbedarf auf 350 Millionen Euro. Auch in anderen Bereichen gibt es Nachholbedarf: bei der Stadterneuerung, bei Kindertagesstätten, Schulen, Sportstätten und Bädern sowie Kultureinrichtungen. „Eine Bewertung der Rückstände wurde nicht vorgenommen“, heißt es bei der Stadt. Es dürfte ein dreistelliger Millionenbetrag sein. Zumal der demografische Wandel, so das Ergebnis einer von der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Auftrag gegebenen Untersuchung, für einen „erheblichen Investitionsbedarf in Um- und Rückbau“ von öffentlichen Einrichtungen hervorruft.
Etwa im Sport- und Bäderbereich. In einer Verwaltungsvorlage hieß es 2012 dazu: „Die finanzielle Situation der Sport- und Bäderbetriebe stellt jetzt schon eine Mangelwirtschaft dar. Nicht alle notwendigen Instandsetzungen können durchgeführt werden, was zu einem wachsenden Sanierungsstau führt.“
Mit diesen Problemen steht die Stadt nicht alleine da. Christian Schramm, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, mahnt: „Bei Schulen, Straßen und öffentlichen Gebäuden wird seit Jahren eher geflickt als grundlegend renoviert.“ Auf 128 Milliarden Euro wird der Investitionsstau von Kommunen und Kreisen geschätzt, so die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Das Deutsche Institut für Urbanistik befragte 526 Städte, Gemeinden und Landkreise nach ihrer Einschätzung der Lage. Auch Essen beteiligte sich daran.
Zu wenig Investitionen und zu viele Aufgaben
Zu wenige Investitionen und zu viele Ausgaben für den laufenden Betrieb. Das ist ein Kardinalproblem der Kommunen. KfW-Chefvolkswirt Dr. Jörg Zeuner erwartet einen Ausweitung der Kassenkredite, die momentan noch günstig zu haben sind. Aber: „In dem hohen Kassenkreditbestand liegt ein Risiko. Steigen die derzeit niedrigen Zinsen, erhöhen sich schnell die Ausgaben.“ Und mit den Investitionen wird es noch schwieriger.
Immerhin gibt es Lichtblicke. „Bei uns gibt es keinen Investitionsstau“, heißt es bei den Stadtwerken. Das Unternehmen habe kontinuierlich in seine Netze für Strom, Wasser und Abwasser investiert, allein 2011 etwa 29,5 Millionen Euro. Allerdings: Angesichts der Energiewende und der „wachsenden Bedeutung dezentraler Netze und Anlagen“ ist in der Branche die Rede von einem Sonderinvestitionsbedarf. Investitionen, die sich auch ganz schnell aufstauen können.
"Infrastruktur ist in die Jahre gekommen"
Mehr als 70 Kilometer Schienenwege für U-Bahn und Straßenbahn liegen im Stadtbereich Essens. Zu einem großen Teil liegen sie dort schon lange. „Unsere Infrastruktur ist in die Jahre gekommen“, sagt Evag-Sprecher Nils Hoffmann. Und der Erneuerungsbedarf ist groß. Auf 350 Millionen Euro allein in den nächsten zehn Jahren schätzt ihn das hiesige Verkehrs-unternehmen.
Mit 90 Prozent von Bund und Land gefördert
Geld, das die subventionierte Gesellschaft ebenso wenig hat wie die Stadt. Einst wurde der Bau von Schienen, Signalanlagen und Oberleitungen in den 1970er Jahren auf Basis der Entwicklungsplanung Ruhr mit 90 Prozent von Bund und Land gefördert. Heute müsste wieder Geld aus Düsseldorf und Berlin fließen. Aber: „Die Fördersystematik hat sich geändert“, so Hoffmann. Gefördert werden nur Verbesserungen im System, aber keine Erneuerungen. Und schon gar nicht mit bis zu 90 Prozent, obwohl die finanzielle Situationen der Kommunen im Vergleich zu den 70er Jahren schlechter geworden ist.
Bis 2019 gilt das aktuelle Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Auf neue Schwerpunkte setzen gerade die Kommunen im Ruhrgebiet bei seiner Novellierung. „Denn alleine können Evag und die Stadt die notwendigen Investitionen nicht stemmen“, sagt Nils Hoffmann.
Nötig ist auf absehbare Zeit etwa eine Modernisierung des großen Stellwerks am Hauptbahnhof. „Das funktioniert noch mit Relaistechnik und wir haben es jetzt mit relativ geringem Aufwand geschafft, die gesamte Anlage noch einmal zu ertüchtigen.“ Wenn in den nächsten Jahren nicht modernisiert werde, „dann fährt kein Fahrzeug mehr durch den Tunnel“.
Ohne öffentliche Förderung Geld für Investitionen
Gleichwohl gibt die Evag auch ohne öffentliche Förderung Geld für Investitionen aus. So hat sie 27 Niederflur-Straßenbahnen bestellt, modernisiert zur Zeit für 30 Millionen Euro ihre Hauptwerkstatt und zwei Betriebshöfe und baut die S 109-Route nach Frohnhausen aus. Auch das ist notwendig, ersetzt aber nicht die Modernisierung von Schienensträngen, von Oberleitungen oder Bahnsteigen.
Weiter angestiegen sind die Kassenkredite, mit denen eine Kommune ihre Liquidität sichert, auch in Essen im vergangenen Jahr. Sie wuchsen nach Angaben des Statistischen Landesamts IT.NRW 2012 um 7,9 Prozent auf mittlerweile 2,328 Milliarden Euro.
Gemeinsam mit den langfristigen Verbindlichkeiten für Investitionen in Höhe von etwa 916 Millionen Euro stiegen die kommunalen Schulden damit auf nunmehr knapp 3,25 Milliarden Euro.
Jeder Essener trägt 5668,65 Euro Schulden
Umgerechnet trägt damit jeder Essener eine Schuldenlast von 5668,65 Euro – 220,83 Euro pro Einwohner mehr als ein Jahr zuvor. Beigetragen zu dieser Veränderung hat vor allem der deutliche Anstieg der Kassenkredite. Gesunken um knapp 4,9 Prozent sind dagegen die Investitionskredite. Von 2014 an, so sieht es der im Rahmen des Stabilitätspakts aufgestellte Haushaltssanierungsplan vor, sollen sowohl die Investitions- als auch die Liquiditätskredite reduziert werden.