Essen. Tausende Einbürgerungsanträge in Essen werden nicht fristgerecht bearbeitet, das Amt ist überlastet. Immer mehr Betroffene ziehen vor Gericht.
Der Ansturm auf die Einbürgerung bringt das Essener Ausländeramt aktuell an seine Grenzen – und das schlägt sich nun auch beim Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen nieder: Viele Betroffene sehen nicht ein, dass sie ein Jahr oder länger auf einen Termin bei der Behörde warten müssen und strengen eine Untätigkeitsklage bei dem dafür zuständigen Gericht in Gelsenkirchen an.
Tausende Mails ans Essener Ausländeramt sind unbearbeitet
Nach noch geltender Rechtslage ist eine Einbürgerung nach acht Jahren möglich. Daher melden sich bei den Ausländerbehörden bundesweit nun die Menschen, „die auf dem Höhepunkt der Migrationswelle 2014/15 den Weg zu uns gefunden haben“, erklärte der Essener Ordnungsdezernent Christian Kromberg schon im Februar. „Für Essen bedeutet das, dass etwa 7000 Personen einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, der sich in Bearbeitung befindet.“
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Die Zahl derjenigen, die sich gern einbürgern lassen wollen, dürfte noch erheblich höher liegen. Nach derzeitigem Stand fordern rund 13.000 Ausländer in Essen einen deutschen Pass, erklärt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit Verweis auf Essener Stellen. Es könnten sogar noch weit mehr sein, sagt Dezernent Kromberg auf unsere Nachfrage: Die Behörde sei mit der Bearbeitung tausender Mails im Rückstand. Gut möglich, dass die Antragszahl auf über 20.000 klettert, wenn erst alle Mails gesichtet sind.
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Die Überlastung der Behörde dürfte sich weiter verschärfen, wenn bald das neue Einbürgerungsgesetz in Kraft tritt: Dann können Anträge, als Deutscher anerkannt zu werden, schon nach fünf Jahren gestellt werden. Dass diese Anträge innerhalb der gesetzlichen Fristen entschieden werden, ist indes mehr als unwahrscheinlich. Schon jetzt dauere es ein- bis anderthalb Jahre, bis ein Antrag bearbeitet sei, räumt Kromberg ein. Nach dem Gesetz haben die Antragsteller jedoch spätestens nach drei Monaten den Anspruch, dass ihre Forderung beschieden wird. Die Behörde muss den Antrag prüfen, zustimmen oder ablehnen. Geschieht das nicht, können Betroffene eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen erheben. Allein, oder mit Anwalt.
Viele sind das Warten auf die Einbürgerung leid – und klagen
Mehr und mehr Betroffene beschreiten diesen Weg. So sei die Zahl der Klagen auf Einbürgerung zuletzt stark gestiegen, sagt das Gericht. Waren es im Jahr 2022 noch 37 Klagen, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 85. Bis Ende April 2024 sind bereits 51 Klagen zur Einbürgerung eingegangen. „Ein Großteil davon sind sogenannte Untätigkeitsklagen, die erhoben werden können, wenn die Behörden nicht fristgerecht über Anträge entscheiden“, heißt es beim VG.
Auf diese Zahlen wies Wolfgang Thewes, Vorsitzender Richter und Pressesprecher des Verwaltungsgerichts, jüngst hin. In Essen und anderen Kommunen sei es bisher gängige Praxis, dass die Einbürgerungswilligen beim örtlichen Ausländeramt einen Antrag stellen. Dort aber sei der Arbeitsdruck offenbar so groß, dass jemand, der im November 2023 um einen Antragstermin gebeten hat, erst im April 2025 zum Zuge kommt. Mit Blick auf die Frist für eine Untätigkeitsklage sei das ein enormes juristisches Problem. Hinzukomme, dass im Gesetz eine persönliche Vorstellung nicht zwingend vorgeschrieben sei.
Richter hat Verständnis für die überlastete Behörde
Richter Thewes hat sogar ein gewisses Verständnis für die Essener Behörde: Ein Antrag auf Einbürgerung sei komplex, und im persönlichen Gespräch ließen sich Fragen schneller klären. Denn es muss beispielsweise geprüft werden, wie lange sich der Betreffende in Deutschland aufhält, ob er straffrei geblieben ist, ein ausreichendes Einkommen und eine eigene Wohnung hat. Oft sind langwierige Nachfragen bei anderen Behörden notwendig.
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Welche – menschlichen und juristischen – Probleme damit verbunden sind, zeige der Fall einer 46-Jährigen, die aus Ghana stammt und bereits seit 2007 in Deutschland und seit langem in Essen wohne. Sie hat sechs Kinder, von denen zwei noch minderjährig sind. Zwei ihrer Kinder sind bereits Deutsche. Weil bisher in der Regel nur Deutscher werden konnte, wer seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft abgab, kehrte die Ghanaerin ihrem Heimatland vor zwei Jahren den Rücken zu. Doch ihre Hoffnung auf eine schnelle Einbürgerung erfüllte sich nicht. Vielmehr ist sie seither staatenlos, hat keine Papiere und kann nicht reisen. Ihr Schicksal rührt auch das Gericht, das aber erst aktiv werden kann, wenn die Stadt Essen den Fall inhaltlich aufbereitet hat. Und Zwangsgelder gegen die Kommune scheinen den Richtern nicht das geeignete Mittel.
Ein Silberstreif am Horizont könnte sich allenfalls zeigen, wenn sich Richter, Vertreter der Stadt, Klägerin (mit oder ohne Anwalt) zu einem Erörterungstermin treffen würden. Sofern dann auch alle Fragen zu Einkommen, Straffreiheit und Wohnung geklärt sind, wäre eine Lösung denkbar.
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