Essen. Im Vertrauen auf die Stadt gibt eine Essenerin ihre russische Staatsbürgerschaft ab. Seit 2021 wartet sie auf Einbürgerung – und ist staatenlos.

Elena Vavitsas (35) aus Essen-Kettwig hat in jüngster Zeit viele schlaflose Nächte: Im Vertrauen auf die Stadt Essen hat sie im vergangenen Jahr ihren russischen Pass abgegeben. Doch die versprochene Einbürgerung ist bis heute nicht umgesetzt, die junge Frau bekommt nicht mal einen Termin beim zuständigen Amt. Sie kann sich nur mit dem Führerschein ausweisen, an eine Reise ins Ausland ist nicht zu denken. Sie fürchtete gar, dauerhaft staatenlos zu werden: Denn die offizielle Einbürgerungszusicherung der Zentralen Ausländerbehörde läuft Anfang Dezember aus.

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Ausgestellt wurde die Zusicherung im Dezember 2020. Da hatte Elena Vavitsas die meisten für die Einbürgerung notwendigen Bedingungen erfüllt. „Ich lebe seit 2008 in Deutschland, habe hier eine Familie und 2019 angefangen, die erforderlichen Unterlagen zu sammeln, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.“ Sie hat an der Folkwang Uni studiert, arbeitet als Lehrerin an einer Duisburger Gesamtschule und hat den Einbürgerungstest selbstredend bestanden.

Den russischen Pass gab die Essenerin ab – auf den deutschen wartet sie noch

Folgerichtig gab die Einbürgerungsabteilung der Zentralen Ausländerbehörde den Weg zum deutschen Pass frei: In der auf den 8. Dezember 2020 datierten Zusicherung heißt es, „die Einbürgerung wird für den Fall zugesagt, dass der Verlust der russischen Staatsangehörigkeit und – falls vorhanden – weiterer Staatsangehörigkeiten nachgewiesen wird“. Wenn sich nichts an den „persönlichen Verhältnissen“ von Elena Vavitsas ändere, erhalte sie die deutsche Staatsangehörigkeit.

Also gab die Lehrerin ihren russischen Pass vor knapp einem Jahr ab. Im November 2021 habe sie der Einbürgerungsabteilung den Nachweis geschickt, dass sie ausgebürgert ist. Elena Vavitsas rechnete nun mit der zügigen Einbürgerung – doch sie wartete vergeblich auf eine Antwort auf ihr Schreiben. Im Januar 2022 ging sie persönlich zur Einbürgerungsabteilung, wurde aber weggeschickt: Sie solle einen Termin machen. Ein hoffnungsloses Unterfangen: Telefonisch erreichte sie keinen zuständigen Mitarbeiter, „auf E-Mails wird nicht reagiert“.

Seit Jahren ist die Essener Ausländerbehörde telefonisch kaum zu erreichen, Mails bleiben meist unbeantwortet, auf Termine müssen die Betroffenen monatelang warten.
Seit Jahren ist die Essener Ausländerbehörde telefonisch kaum zu erreichen, Mails bleiben meist unbeantwortet, auf Termine müssen die Betroffenen monatelang warten. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das sind Missstände, die viele Klienten der Essener Ausländerbehörde zermürben, besonders wenn es um existenzielle Fragen geht. Elena Vavitsas wandte sich in ihrer Verzweiflung im Frühjahr 2022 an Oberbürgermeister Thomas Kufen, der sich offenbar der Sache annahm: Am 25. Mai schickte ihr die Zentrale Ausländerbehörde einen Brief, indem es hieß, wegen Umstrukturierungsmaßnahmen komme es „aktuell zu einer Verzögerung bei der Bearbeitung laufender Verfahren“. Man bitte dies zu entschuldigen. Im Übrigen bat die Sachbearbeiterin, Frau Vavitsas möge ihr bitte eine Bescheinigung über den Austritt aus der russischen Staatsangehörigkeit und aktuelle Einkommensnachweise mailen.

Obwohl sie beides schon Ende 2021 eingereicht hatte, schickte sie die Dokumente erneut – und wartete. Als drei Monate später immer noch nichts geschehen war, meldete sie sich in unserer Redaktion und wir fragten beim zuständigen Ordnungsdezernenten Christian Kromberg nach. Der lässt jetzt durch das städtische Presseamt mitteilen, dass die Mitarbeiter des Ausländeramts seit Jahren einer „hohen und anhaltenden Belastungssituation“ ausgesetzt seien, in der sie bemüht seien, „die vorliegenden Anträge effizient zu bearbeiten und schnellstmöglich abzuschließen“.

Der Krankenstand ist hoch und viele Mitarbeiter verlassen die Ausländerbehörde

Dass die Geduld der Betroffenen trotz dieses Bemühens stark strapaziert wird, räumt die Stadt ein: „Derzeit kommt es leider grundsätzlich zu einer Verzögerung bei der Terminvereinbarung und auch bei der Bearbeitung laufender Verfahren in der Einwanderungsabteilung.“ So gebe es ein „erheblich gesteigertes Interesse an Einbürgerungen“. Wie schon im Schreiben vom Mai weist die Stadt auf Umstrukturierungsmaßnahmen hin, sowie auf einen – auch coronabedingt – hohen Krankenstand und den Wechsel von Fachkräften in andere Dienststellen: All das verschärfe die Bearbeitungsrückstände, verlängere die Wartezeiten auf einen Termin.

Einbürgerung: Gesetzgeber will „Mehrstaatigkeit“ vermeiden

Die Stadt Essen erklärt, dass die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit eine Grundvoraussetzung für eine Einbürgerung ist (§ 10 Abs. 1 , Nr. 4 Staatsangehörigkeitsgesetz). Da laut Gesetz eine „Mehrstaatigkeit“ unbedingt vermieden werden solle, nehme man in Kauf, dass nach der Ausbürgerung „regelmäßig eine vorübergehende Staatenlosigkeit eintritt“. Dies sei seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Der für den Betroffenen unangenehme Schwebezustand sei unvermeidlich: Habe er seine Ausbürgerung nachgewiesen, müsse man prüfen, ob er weiterhin alle anderen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfülle. So mache man aktuelle Sicherheitsabfragen, um sicherzustellen, „dass keinerlei strafrechtlich relevante Erkenntnisse einer Einbürgerung entgegen stehen“.

Zwischen Aus- und Einbürgerung lägen in Essen erfahrungsgemäß drei Monate. Für diese Zeit könnten Betroffene notfalls beim Ausländeramt einen Reiseausweis für Staatenlose als Ersatzdokument beantragen.

Man weise die Einbürgerungsbewerber aber per „Zwischenmitteilung“ auf längere Bearbeitungszeiten hin und erläutere ihnen dies bei „persönlichen Vorsprachen“ – sofern sie denn einen Termin erhalten. Auch versuche die Einbürgerungsabteilung, Abläufe zu optimieren und neue Mitarbeiter zu gewinnen.

Die geschilderte Situation habe auch zu der Verzögerung im Fall Vavitsas geführt. Ihrer Mail an OB Kufen vom Mai 2022 habe man zwar entnommen, „dass eine Entlassung aus der russischen Staatsangehörigkeit mittlerweile erfolgt ist und die Unterlagen an die zuständige Mitarbeiterin übersandt worden seien“. Nur sei „die Kontaktaufnahme zu dieser Kollegin gescheitert“, weil diese länger krank war und ausfiel. Es scheint, dass niemand deren Fälle übernahm.

Übernahm niemand die Fälle der erkrankten Kollegin?

Offenbar waren auch die 2021 eingereichten Unterlagen nicht auffindbar: Darum wohl bat man die Lehrerin Ende Mai um erneute Zusendung. Am 2. Juni seien die Dokumente eingetroffen, sagt die Stadt nun. Ab da habe man das Verfahren fortsetzen können – und könne „erfreulicherweise mitteilen, dass mittlerweile final über den Antrag entschieden worden ist“. Sprich: Nach weiteren drei Monaten – und einer aktuellen Presseanfrage – soll Elena Vavitsas nun im September einen Termin erhalten, bei dem ihr die Einbürgerungsurkunde endlich ausgehändigt wird: In den nächsten Tagen bekomme sie Post.

Bei den seit Juni verstrichenen drei Monaten handelt es sich laut Stadt um die derzeit übliche Wartezeit. Dass die mit einer „vorübergehenden Staatenlosigkeit“ verbunden sei, könne man beim Einbürgerungsverfahren nicht vermeiden. Man wisse, wie unbefriedigend dieser „Schwebezustand“ für die Betroffenen sei und versuche daher, das Verfahren „schnellstmöglich“ abzuschließen. Im Falle von Elena Vavitsas waren das neun zermürbende Monate. Zur jetzigen Wende sagt sie: „Ich bin sprachlos vor Freude.“