Essen. Großer Andrang auf Einbürgerungen: 7000 Anträge sind in Arbeit. Wer einen Antrag abgeben will, wartet über ein Jahr auf Termine im Ausländeramt.
Rebar Jahwar ist seit acht Jahren in Deutschland, er hat einen Kiosk in Werden, seine Frau arbeitet als Erzieherin, mit den beiden Kindern leben sie in einer eigenen Wohnung: Nun möchte sich der Iraker einbürgern lassen und hat daher im Sommer 2023 um einen Termin beim Ausländeramt gebeten. Erhalten hat er einen am 9. September 2024.
Für Jahwar, der den deutschen Pass auch nutzen möchte, um seinen schwerkranken Vater im Irak zu besuchen, ist das ein Drama. Ein Einzelfall ist es nicht, wie Ordnungsdezernent Christian Kromberg einräumt: Es gebe aktuell einen Run auf Einbürgerungen, weil so viele Personen antragsberechtigt seien, wie es „nie zuvor der Fall war“. Und: Die Lockerungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes könnten die Überlastung vor Ort bald „dramatisch“ verschärfen.
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Nach noch geltender Rechtslage ist eine Einbürgerung nach acht Jahren möglich. Daher melden sich bei den Ausländerbehörden im ganzen Land derzeit die Menschen, „die auf dem Höhepunkt der Migrationswelle 2014/15 den Weg zu uns gefunden haben“, wie Kromberg erklärt. „Für Essen bedeutet das, dass etwa 7000 Personen einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, der sich in Bearbeitung befindet.“ Ein- bis anderthalb Jahre dauere es jeweils, bis ein Antrag bearbeitet ist.
Im Jahr 2023 wurden fast 2000 Menschen in Essen eingebürgert
Im Jahr 1993 seien in Essen 247 Personen eingebürgert worden, im Jahr 2003 waren es 308 Personen, 2023 schon fast 2000. „Anhand dieser Zahlen lassen sich die wachsenden Herausforderungen der Einbürgerungsbehörde im Laufe der Jahre ablesen“, sagt Kromberg. Man habe die Stellenzahl in dem Bereich bereits aufgestockt, weitere Besetzungen geplant: Am Ende solle sich „der bisherige Personalkörper mehr als verdoppeln“. Auch für die „täglich an der Belastungsgrenze arbeitenden Mitarbeitenden“ sei das ein Signal. Doch es brauche Zeit, bis man messbare Erfolge sehen werde.
In Essen leben 1700 Menschen mit einer Duldung
Lange Zeit mussten sich alle gut 1700 Essener, die in Deutschland nur geduldet sind, alle drei Monate beim Ausländeramt melden, auch wenn sie seit vielen Jahren hier lebten. Das trug erheblich zum Arbeitsaufkommen der Behörde bei. Inzwischen können die Termine individueller verwaltet werden, wie Ordnungsdezernent Christian Kromberg erklärt. „Grundsätzlich ist die Geltungsdauer der Duldung gesetzlich nicht mehr beschränkt und auch ansonsten nicht gesetzlich festgelegt.“ In Essen werden Duldungen jetzt auf zwischen ein und sechs Monate befristet.
Die Ausländerbehörde entscheide im Einzelfall „nach pflichtgemäßem Ermessen“, wie lange die Duldung gilt. Dabei spiele zum Beispiel eine Rolle, wie lange ein „Abschiebungshindernis“ – etwa eine schwere Erkrankung – voraussichtlich bestehen werde. Solche Fälle müsse das Amt engmaschig begleiten.
Dabei habe man die altbekannte Überlastung der Behörde zuletzt in den Griff bekommen, betont der Dezernent, und bei der Terminvorlaufzeit für ausländerrechtliche Angelegenheiten „hervorragende Fortschritte“ gemacht. Wer sich in Essen anmelden oder einen Aufenthaltstitel verlängern wolle, erhalte „in der Regel innerhalb von zwei Wochen“ einen Termin.
Das Einbürgerungsrecht sei vom Aufenthaltsrecht jedoch „derart verschieden“, dass dieser Bereich personell wie organisatorisch völlig abgetrennt sei. „Wenn am heutigen Tag dort ein Termin vergeben wird, so fände dieser im März 2025 statt.“ Der lange Vorlauf betrifft viele Menschen, die wie Rebar Jahwar ihren Antrag auf Einbürgerung erst abgeben wollen. Vermutlich handle es sich um noch einmal rund 7000 Betroffene, schätzt Kromberg. „Zur Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes“ bearbeite man ihre Anliegen in der Reihenfolge des Eingangs.
Stadt: Entscheidungen über Einbürgerung ist in der Regel nicht existenziell für Betroffene
Wer sich einbürgern lassen wolle, habe im Regelfall ja einen sicheren Aufenthaltstitel und Zugang zum Arbeitsmarkt. Hier seien die Entscheidungen daher üblicherweise „weitaus weniger existenziell“ als im Aufenthaltsrecht, wo man auch „kurzfristige Notfalltermine“ vergebe. Trotzdem seien Fälle denkbar, bei denen eine verzögerte Einbürgerung zu persönlichen Nachteilen führen könnte. „Die Stadt ist selbstverständlich bestrebt, Priorisierungen vorzunehmen“, betont Kromberg. Angesichts der Vielzahl der Betroffenen sei es jedoch aufwendig, „solche Fälle herauszufiltern“.
Der Essener Unternehmensberater Friedhelm Liers hatte schon im August 2023 in einem Brief an Oberbürgermeister Thomas Kufen auf die Notlage seines Freundes Rebar Jahwar hingewiesen. In der Antwort habe ihm die Stadt nur einen „langen, mühsamen Weg“ aufgezeigt. Und auch Dezernent Kromberg sieht nun keine Chance, Jahwars Einbürgerung so zu beschleunigen, dass dieser – wie erhofft – im April zum kranken Vater reisen kann. Schon die vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung könne so schnell nicht gelingen.
Ohne deutschen Pass in den Irak zu fahren, sei indes auch nicht ratsam, mahnt Kromberg: „Herr Jahwar ist anerkannter Flüchtling und hat glaubhaft vorgetragen, in seiner Heimat persönlich verfolgt zu werden. Vor diesem Hintergrund können Reisen in seine Heimat zum Verlust dieser Eigenschaft führen.“ Die Situation des Familienvaters sei „sehr traurig“, helfen könne die Ausländerbehörde hier nicht.
Neue Bundesgesetzgebung verschärfe die Lage erheblich, so die Stadtverwaltung
Kromberg fürchtet, dass Einbürgerungen in Zukunft noch schleppender bearbeitet werden können: Mit der jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes verkürze sich die Anwartschaftszeit von acht auf fünf Jahre: „Das sorgt dafür, dass zeitgleich drei zusätzliche ,Jahrgänge’ an Einbürgerungsinteressenten antragsberechtigt werden.“ Weil jetzt außerdem die doppelte Staatsangehörigkeit generell möglich gemacht werden solle, gehe er davon aus, dass sich bald auch eine Vielzahl der hierzulande lebenden Türken um die Einbürgerung bemühen würden. Allein für Essen rechne er mit einer „Antragszahl im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich“.
Die Neuregelung verschärfe die Lage dramatisch und trage „in keinerlei Weise zu einer Entspannung bei“. Dabei sei die Stadt schon jetzt mit Untätigkeitsklagen konfrontiert, weil sie vorgeschriebene Fristen nicht einhalte. Beschleunigt werde die Bearbeitung so nicht: „Auch eine gerichtliche Anordnung lässt sich nur umsetzen, wenn das Personal dafür vorhanden ist.“
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