Ruhrgebiet. Drei ausländische Arbeitnehmer berichten, wie sie nach Deutschland gekommen sind. Die Staatsbürgerschaft spielte dabei keine große Rolle.

Schneller deutsch werden – das ist das Ziel der Bundesregierung. Fünf statt acht Jahre, in manchen Fällen sogar nur drei soll es dauern, bis man die Staatsbürgerschaft bekommen kann. Die Union stemmt sich dagegen. Aber wie sehen es die Betroffenen?

Der Arzt aus Honduras

Drei junge Ärzte aus Honduras beschließen auszuwandern – welches Land wählen sie? „Spanien war die erste Option wegen der Sprache“, erinnert sich Carlos Maradiaga. Aber Spanien wolle ausländische Ärzte an Krankenhäuser zuteilen und sogar die berufliche Spezialisierung vorschreiben, erklärt der 30-jährige Kardiologe, der nun am Marien-Hospital Gelsenkirchen seinen Facharzt macht. „Deutschland hat einen guten Ruf. Und man weiß, hier werden Ärzte am dringendsten gesucht.“

Carlos Maradiaga aus Honduras ist Kardiologe am Marien-Hospital Gelsenkirchen. Er lebt in Essen.
Carlos Maradiaga aus Honduras ist Kardiologe am Marien-Hospital Gelsenkirchen. Er lebt in Essen. © Privat | Privat

Im Mai 2019 begann das „Abenteuer“, wie Maradiaga es nennt. „Wir kamen mit einem Visum für Sprachkurse, das für ein Jahr gültig ist.“ In dieser Zeit mussten die drei Freunde nicht nur die Sprache lernen, um die Fachsprachprüfung der Ärztekammer zu bestehen, sondern auch alle Papiere regeln, um die Kenntnisprüfung für Ärzte absolvieren zu können. Erst ein knappes Jahr später wurde das Fachkräftevisum eingeführt – es hätte wohl auch nicht genützt, denn es setzt ausreichende Deutschkenntnisse voraus.

„Es war ein hohes Risiko“, sagt Maradiaga. „Wir haben vor der Ausreise ein Jahr hart gearbeitet und gespart, um darauf noch ein Jahr in die Sprache zu investieren. Wären wir durchgefallen, hätten wir wieder abreisen müssen.“ Es kam der Stress durch schlecht funktionierende Bürokratie hinzu. „Anfangs mussten wir alles über das Ausländeramt Essen regeln.“ Die Wartezeiten gehören zu den längsten in der Region, meist viele Monate. „Die Mitarbeiter waren auch sehr unhöflich. Erst als wir die Approbation hatten, war das Essener Welcome Center für uns zuständig“ – de facto ein zweites, besser ausgestattetes Ausländeramt nur für qualifizierte Kräfte.

„Als wir herkamen, spielte der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft keine Rolle. Aber ich habe derzeit noch immer die Blaue Karte, also einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus.“ Alles steht unter Vorbehalt. „Es sollte Stipendien geben, bessere Regeln für das Visum und für den unbefristeten Aufenthalt“, findet der Arzt. „Deutschland sollte nicht mit verschränkten Armen daneben stehen, wenn Fachkräfte einwandern wollen.“

Die Produktmanagerin aus Italien

Valeria D'Ignoti aus Turin lebt nun in Essen und entwickelt Lebensmittel, die in jedem Supermarkt zu finden sind.
Valeria D'Ignoti aus Turin lebt nun in Essen und entwickelt Lebensmittel, die in jedem Supermarkt zu finden sind. © Privat | Privat

„Ich habe eigentlich nicht Deutschland gewählt“, sagt Valeria D’Ignoti. „Schon wegen der Sprache. Aber der Job gefiel mir so gut.“ Die 33-jährige Italienerin aus Essen entwickelt Lebensmittel, die in jedem Supermarkt zu finden sind. In Italien machte sie die frustrierende Erfahrung, „dass man nach dem Studium nur Zeitverträge bekam und Gehälter wie eine Auszubildende.“

Die Einwanderung vor sechs Jahren hat sie als EU-Bürgerin als denkbar einfach empfunden. Nur die kulturellen Unterschiede haben Valeria D’Ignoti beschäftigt. „Aber nach zwei Jahren ist mir klar geworden, dass es mir hier gefällt. Jedes Mal, wenn ich nach Italien fahre, fühlt es sich etwas weiter weg an. Mir ist mittlerweile klar geworden, dass dort nicht allein die Leistung zählt, sondern Alter und Kontakte. Das ist in Deutschland anders. Ich habe das Gefühl, hier kann ich auch als junger Mensch vorankommen.“

Die kolumbianische Arbeiterin

Im September hatte Andrea Trujillo ihren Einbürgerungstermin in Mülheim, nach zwölf Jahren in Deutschland. Doch sie hat ihn sausen lassen. Die Familie ist zurückgekehrt nach Spanien, nach Malaga, in die Heimat ihres Mannes. „Wir haben viel Rassismus erlebt“, sagt die Kolumbianerin, die nun auch den spanischen Pass hat. „Wir haben immer gearbeitet: Ich in Fabriken, mein Mann hat in Restaurants gekocht. Unsere Tochter ist zur Musikschule gegangen, zum Tennis und in den Schwimmverein. Aber die meisten Deutschen setzen dich gleich mit denen, die herkommen, um Sozialhilfe und Kindergeld zu kassieren.“

Andrea Trujillo aus Kolumbien (seit einiger Zeit mit spanischem Pass) hat schlechte Erfahrungen gemacht mit Rassismus. Sie hat zwölf Jahre in Mülheim gewohnt, nun lebt die Familie wieder in Malaga, Spanien.
Andrea Trujillo aus Kolumbien (seit einiger Zeit mit spanischem Pass) hat schlechte Erfahrungen gemacht mit Rassismus. Sie hat zwölf Jahre in Mülheim gewohnt, nun lebt die Familie wieder in Malaga, Spanien. © Privat | Privat

„Nachbarn haben mir ,Scheißausländerin’ hinterhergerufen und uns fälschlich bei Behörden denunziert“, sagt Trujillo. Unsere Tochter wurde in der Schule gemobbt. Auf der Arbeit habe ich nur zehn Euro pro Stunde bekommen, während deutsche Kolleginnen 16 Euro verdient haben. Als ich meinen Chef darauf ansprach, sagte er: Nächstes Jahr. Aber im nächsten Jahr sagte er: Du bist Ausländerin und wirst immer den Kürzeren ziehen.“

Die Verdienstmöglichkeiten hatten sie einst gelockt, heute sagt Trujillo: „Mit weniger Geld ist das Leben in Spanien besser für uns.“ Wegen der Tochter seien sie länger geblieben, wegen ihr wollte sie Deutsche werden. „Hätte das früher geklappt, hätte sich vielleicht unser Verhältnis zu den Institutionen entspannt. Aber wir hatten immer das Gefühl, dass die Polizei, das Jugendamt, die Schule, dass alle immer nur den Deutschen glauben.

Info: Ist der deutsche Pass besonders gefragt?

In den letzten Jahren ist die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland recht konstant geblieben. Für Spitzen sorgten 2019 der Brexit und 2021 die Einbürgerung vieler Syrer. Bei besonderen Integrationsleistungen verkürzt sich schon heute die Frist von acht auf sechs Jahre. Dazu zählen gute Sprachkenntnisse, schulische oder berufliche Leistungen und bürgerschaftliches Engagement. Betrachtet man den Anteil der im Land lebenden Ausländer, die sich einbürgern lassen, liegt der EU-Schnitt bei 2 Prozent. Deutschland befindet sich mit 1,1 Prozent im hinteren Drittel, NRW noch ein wenig darunter.

Welche Rolle spielt die Wartezeit, bis eine Einbürgerung möglich ist?

In Italien etwa müssen Ausländer zehn Jahre im Land gelebt haben, bis sie die Staatsangehörigkeit erwerben können. Dennoch lassen sich hier überdurchschnittlich viele Menschen einbürgern. In Frankreich dagegen muss man nur fünf Jahre gelebt haben (so wie es nun für Deutschland vorgeschlagen ist) – dennoch liegt das Land mit 1,7% unter dem EU-Schnitt. Auch in den Niederlanden, den USA oder Kanada kann man schon nach fünf Jahren Staatsbürger werden.

Welche Rolle spielt die Arbeit?

4,5 Millionen von 10,4 Millionen Ausländern in Deutschland sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dies entspricht 43,2 Prozent und liegt höher als der Beschäftigtenanteil in der Gesamtbevölkerung von 40,6 Prozent. Nach einer Erhebung, warum Ausländer in Europa bleiben, hatten die meisten Nicht-EU-Bürger einen Titel aus familiären (36%) oder beruflichen Gründen (20% Arbeit und 4% Ausbildung). Asyl machte 9% aus, der Rest fiel unter Sonstiges.