Essen. Essens Integrationsratsvorsitzender ist zurückgetreten. Grund: der Umgang des Ausländeramts mit seinem Schwiegervater (81). Das sagt die Stadt.
Mit einer sehr persönlichen Begründung ist der Vorsitzende des Essener Integrationsrats, Miguel González Kliefken jetzt überraschend zurückgetreten. Auf der Sitzung am Mittwoch (16. 11.) erklärte er seinen Schritt mit dem Umgang der Ausländerbehörde mit seinem 81 Jahre alten Schwiegervater. „Das müssen wir uns nicht länger antun“, betont der CDU-Mann auf Anfrage. Seine Familie leide unter dem Vorgehen des Amtes und erwäge daher sogar, die Stadt zu verlassen.
Hintergrund sei ein Besuch seines Schwiegervaters, der aus Venezuela stammt und dort bis heute lebt. Wie schon häufiger zuvor, war der 81-Jährige Ende 2021 für drei Monate nach Essen gereist, um seine Tochter und ihre Familie zu besuchen. „Kurz vor der Rückreise ist er erkrankt. Wir gingen zum Arzt, der Gleichgewichtsstörungen feststellte und meinem Schwiegervater riet, diese erst abzuklären und den gebuchten Flug nicht anzutreten.“
Da er Angst hatte, der 81-Jährige könne auf dem Flug eine Gehirnblutung erleiden, habe er das Ausländeramt gebeten, ihm für zusätzliche zwei Wochen ein Visum auszustellen, sagt González Kliefken. Damit sei er gescheitert: Die Behörde habe seinem Schwiegervater sogar unterstellt, sie über seine Reiseabsichten getäuscht zu haben. „Es hieß, er sei schon mit der Absicht gekommen, hier Arztbesuche zu machen. Das sei anders als von ihm angegeben, kein touristischer Anlass.“
Essener Ausländeramt habe 81-Jährigem mit Abschiebung gedroht
Diese Argumentation sei abwegig: Sein Schwiegervater habe sich auch vor der Abreise aus Venezuela dort untersuchen lassen. In seinem Alter wolle er bei einem Flug kein Risiko eingehen. Im Übrigen dürften venezolanische Staatsbürger zweimal im Jahr für drei Monate in den Schengenraum einreisen. „Er war völlig legal hier. Seinen Arztbesuch haben wir privat bezahlt. Wir hatten vor seiner Reise auch eine Kostenübernahmeerklärung abgegeben, so war sichergestellt, dass er dem deutschen Staat in keinem Fall finanziell zur Last fallen würde.“
Stadtsprecherin Silke Lenz erklärt dazu, dass man lediglich „unterschiedliche Wege besprochen habe, wie der Aufenthalt in Deutschland zu bewerten sei“. So mache ein Besuch für touristische Zwecke für „90 Tage eine visafreie Einreise“ möglich. „War der Hintergrund seines Besuchs eine ärztliche Behandlung in Deutschland, hätte vor Antritt der Reise ein Visum beantragt werden müssen.“ Allerdings hätte bei beiden Varianten „ein qualifiziertes ärztliches Attest eine aufschiebende Wirkung für eine Ausreise“ gehabt. Ein solches Attest sei jedoch nicht vorgelegt worden. „Der Kontakt mit der Ausländerbehörde wurde stattdessen abgebrochen.“
Laut Stadt habe es zuvor mehrfach Gespräche gegeben, in denen man versucht habe, „Lösungswege aufzuzeigen“. Miguel González Kliefken hat keine solchen Angebote in Erinnerung. Vielmehr habe das Ausländeramt dem seinem Schwiegervater mit Abschiebung gedroht. Das habe den 81-Jährigen so verängstigt, dass er auf einen sofortigen Rückflug drängte. „Wir haben dann eine Begleitperson organisiert, weil wir in Sorge waren, dass es unterwegs zu einem medizinischen Notfall kommt.“
Vorsitzender des Integrationsrates fühlte sich hilflos
Sein Schwiegervater sei zum Glück wohlbehalten in der venezolanischen Heimat angekommen, traue sich aber bis heute nicht, seine Familie in Deutschland zu besuchen, sagt González Kliefken. Ihn selbst habe der Umgang mit dem alten Mann so bewegt, dass er privat ein Rechtsgutachten bezahlt habe. Vor einigen Tagen habe er es erhalten: Es stütze seine Auffassung, dass die Vorwürfe gegen seinen Schwiegervater ungerechtfertigt waren – und habe ihn nun zu seinem Rücktritt bewogen. Er wisse, dass das von ihm beauftragte, von einem Verwaltungsjuristen erstellte Gutachten rein privat sei und keinerlei Rechtsverbindlichkeit habe. Es habe ihn aber ebenso wie die Einschätzung eines Fachanwalts bestärkt.
Folgt man der Stadt, wäre das Drama vermeidbar gewesen: „Die Verlängerung des Aufenthaltes wäre rechtlich möglich gewesen“, sagt Sprecherin Silke Lenz. Doch habe die Familie die „Vermittlungsversuche“ der Stadt nicht wahrgenommen. Miguel González Kliefken hat die Behörde nicht vermittelnd erlebt, vielmehr habe er sich hilflos und ausgeliefert gefühlt: „Als Deutscher und Vorsitzender des Integrationsrates, der regelmäßig mit dem Ausländeramt zu tun hat. Wie ergeht es erst Menschen, die keine solchen Zugänge haben wie ich?“ Ihnen bleibt wohl oft nur der im Zweifelsfall kostspielige und zeitraubende Rechtsweg. So sagt die Stadt auch in diesem Fall: „Die Familie González Kliefken hätte darüber hinaus einen Rechtsbeistand in Anspruch nehmen können.“
Der Rücktritt sei ihm schwergefallen
Einen Rechtsstreit hat Miguel González Kliefken, der dem Integrationsrat seit achteinhalb Jahren vorsitzt, zwar vermieden. Trotzdem könne er das Gremium nicht länger leiten: „Ich kann nicht mehr unvoreingenommen mit der Ausländerbehörde zusammenarbeiten. Das gehört aber zu dieser Aufgabe.“ Als Privatmann erwäge er sogar, aus Essen fortzuziehen, um künftig nicht mehr mit dem hiesigen Ausländeramt konfrontiert zu sein.
Die Mitglieder des Integrationsrates hätten am Mittwoch mehrheitlich bestürzt reagiert, sagt González Kliefken, der die Sitzung nach seinem Rücktritts-Statement verließ. Er habe anschließend viele mitfühlende Reaktionen erhalten. „Es ist mir sehr schwergefallen, dieses Amt aufzugeben.“ Er betonte auch, dass er bei der Umstrukturierung des Ausländeramtes, das seit vielen Jahren als hoffnungslos überfordert gilt, durchaus gute Ansätze sehe. „Andere Integrationsleistungen der Stadt sind zum Teil sogar herausragend.“
CDU und Grüne bedauern den Rücktritt
Die Stadt bestätigt, dass sowohl dem Ausländeramt als auch der Stadtspitze die Vorwürfe von González Kliefken bekannt waren. Oberbürgermeister Thomas Kufen erklärte am Freitag (18. 11.) auf Anfrage, dass er dessen Rücktritt sehr bedauere: „Ich danke ihm für seine engagierte ehrenamtliche Arbeit. Er hat mir im Gespräch dargelegt, dass es sich um eine sehr persönliche Entscheidung handele. Das habe ich zu respektieren.“
Die Fraktionen von CDU und Grünen bedauern in einer gemeinsamen Mitteilung den Rücktritt von Miguel González Kliefken als Vorsitzender des Integrationsrates. „Wir bedanken uns für sein persönliches Engagement im Interesse der Anliegen der Menschen“, schreiben die Fraktionen. Den konkreten Fall würden die Politiker jedoch nicht kennen, „und wir können ihn deshalb nicht bewerten.“ Die Lage der Ausländerbehörde, die „seit längerem enormen Belastungen ausgesetzt“ sei, nehme man aber sehr ernst.
Ahmad Omeirat, integrationspolitischer Sprecher der Ratsfraktion der Grünen, sagt: „Herr González Kliefken hat unbestreitbare Verdienste als langjähriger Vorsitzender des Integrationsrates erworben.“