Essen. Musik ist ihr Leben: Die Essener Cäcilie Hagedorn wird 99 Jahre alt. Nun bekam sie eine neue Herzklappe – und hat noch viele Pläne.
So oft im Leben hat sie auf der Bühne gestanden. Nun feierte Cäcilie Hagedorn-Benzler im Elisabeth-Krankenhaus „Premiere“, wie die 98-Jährige selbst sagt: Mit einer neuen Herzklappe blickt die Essener Schauspielerin und Sängerin voll Freude ihrem Geburtstag entgegen.
Am 30. Oktober wird sie 99 Jahre alt und ihren Ehrentag erstmals mit der neuen Aortenklappe feiern. Die Bioprothese wurde ihr erst vor wenigen Tagen im Elisabeth-Krankenhaus in Essen erfolgreich eingesetzt.
Essener Herzexperte wandte schonende Methode an
Dr. Thomas Schmitz, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Elisabeth-Krankenhaus, ist Experte für interventionelle Kardiologie und hat den Eingriff über eine Schlagader in der Leiste der Patientin per Katheter durchgeführt: Ohne den Brustkorb zu öffnen, wurde der TAVI-Aortenklappenersatz der Hochbetagten eingesetzt. Die vier Buchstaben stehen für den englischen Fachbegriff dieses Verfahrens, „Transcatheter aortic valve implantation“, kurz TAVI.
Die angewandte Methode gilt als schonend und wird wegen guter Resultate nicht nur bei Patienten mit höherem OP-Risiko angewandt. Die Prothese dient als Ersatz für die Aortenklappe, eine von vier Herzklappen. Sie trennt die linke Kammer von der Aorta und wirkt als Ventil, denn sie sorgt dafür, dass das Blut nur zur Aorta fließt, der großen Hauptschlagader.
„Als ich gehört hatte, dass sich mir diese Möglichkeit bietet, habe ich zugegriffen“, erzählt Hagedorn über die schnelle Entscheidung für den minimalinvasiven Eingriff. Ältere Essener kennen sie als „Cilli“. Die gebürtige Oberschlesierin stand lange als professionelle Revue-Künstlerin und Sängerin auf der Bühne.
Schon mit 18 stand sie auf der Bühne – mit 98 freut sie sich auf weitere Auftritte
Schon mit 18 startete sie ihre Karriere. „Hier im Krankenhaus war das allerdings meine Premiere“, sagt sie schmunzelnd und blickt interessiert zu Chefarzt Dr. Schmitz, der ihr bei einem Besuch ein älteres Modell einer Aortenklappe zeigt. „Heutige Bioprothesen sehen etwas anders aus. Dieses ist aus der Anfangszeit“, so der Fachmann.
Mit einem flexiblen Schlauch, dem Katheter, werde eine Ersatzklappe über die Arterie bis zum Herzen geschoben und da platziert, wo sich die defekte Herzklappe befindet. Dann falte sich die Prothese auf. Der Eingriff findet unter lokaler Betäubung der Patienten statt, einer Art „Dämmerschlaf“ und wird per Magnetresonanztomografie (MRT) und Sonographie (Ultraschall) verfolgt.
Eingriff wird fast 600 mal im Jahr durchgeführt
Der erste TAVI-Eingriff weltweit wurde im Jahr 2002 gefeiert, also vor rund 20 Jahren. In Deutschland ist diese schonende Methode seit 2007 verfügbar. Seit 15 Jahren führe man die Behandlung in der 1985 gegründeten Klinik für Kardiologie und Angiologie am Elisabeth-Krankenhaus durch, wo jährlich insgesamt rund 17.000 Patienten stationär und ambulant versorgt werden, wie Dorothee Renzel erläutert, Pressesprecherin des Krankenhauses. Etwa 580 TAVI-Behandlungen zähle man pro Jahr in der Fachklinik, einem dafür zertifizierten Zentrum.
Mit knapp 99 Jahren sei Cäcilie Hagedorn die bisher älteste Patientin, sagt Dr. Schmitz, der sich über die schnelle Genesung der alten Dame freut. Für den Besuch hat sie sich hübsch zurechtgemacht. „Keine große Maske“, sagt sie. „Da würden Sie mich gar nicht erkennen, aber ein bisschen Farbe braucht es für den Auftritt in der Lokalpresse.“
Als Wirtin von „Cillis Milljöh“ begrüßte sie Künstler und Medienvertreter
In den Zeitungen war sie oft präsent. Und pflegte Kontakte zu Journalistinnen und Journalisten von NRZ und WAZ. „Günther Hagedorn, mein erster Mann, war politischer Karikaturist unter NRZ-Chefredakteur Jens Feddersen.“ 14 Jahre lang betrieb Hagedorn in Rüttenscheid die Mitte der 1960er Jahre eröffnete Kultkneipe „Cillis Milljöh“, ein Treff für Medienvertreter und Künstler.
Mit 95 Jahren sang sie selbstironisch „Der erste Lack ist ab“. Im Privatfernsehen. Mit dem Schlager der deutschen Schauspielerin Grethe Weiser hatte sie sich als Kandidatin bei der Sat.1-Casting-Show „The Voice Senior“ beworben. Orchester, Licht und die Atmosphäre vor großem Publikum in ihrer alten Heimat Berlin hätten sie beeindruckt, sagt sie zu diesem Erlebnis. „Doch die junge Jury konnte mit meiner Musik leider nichts anfangen.“ So landete sie nicht in der Siegerrunde, doch Aufhören war keine Option. Auch wenn sie „Im stillen Winkel“ wohne, wie die Patientin humorvoll hinzufügt.
Gebürtige Berlinerin fühlt sich auf der Margarethenhöhe wohl
Auf der Margarethenhöhe fühle sie sich seit Jahren zuhause. Dort kennt man die aktive Seniorin, die so gern über ihr bewegtes Leben und die glänzende Bühnenkarriere plaudert. Die reicht bis zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele im NS-Staat zurück: Am 1. August 1936 tanzte sie als Zwölfjährige beim Begrüßungsspektakel mit und habe mit ihren dunklen Haaren gar nicht ins Bild gepasst. Ein Jahr zuvor war das Beamtenkind mit den Eltern aus der Provinz in die Hauptstadt gezogen, in eine Wohnung mit Balkon an der Oldenburger Straße, im beliebten ersten Stock („Belle Etage“).
„Ich war immer eine Tingeleuse“, blickt die Künstlerin zurück, „auch wenn es das nicht im Duden gibt.“ Als 18-Jährige tingelte sie mit der Band „Eine Stunde Heiterkeit“ sogar an die Kriegsfront, um die deutschen Wehrmachtssoldaten zu unterhalten. „Das haben wir bis ganz zum Schluss gemacht“, erinnert sie sich. In schwarzen Netzstrümpfen tanzte und sang Hagedorn vor und während des Zweiten Weltkriegs auch in Berliner Clubs.
Nach dem Krankenhausaufenthalt macht sie neue Pläne
„Ich war noch nicht bereit zu gehen“, kommentiert sie den jüngsten Krankenhausaufenthalt. „Die Neugierde hatte mich gepackt. Wenn es noch etwas gibt für mich, dann will ich das.“ Einen Plan hat sie bereits: weiter Schlager zu „chansonieren“. Noch ein erfundenes Wort, aber „Cilli“ erklärt, was sie meint. Alte Schlager ansprechend vortragen und Leute beim Singen direkt ansprechen. Nicht nur als Mitglied des Ensembles der „Volxbühne Mülheim“ trällert sie berlinerisch „Ham Se nich nen Mann für mich?“ Beschwingt und voller Lebensfreude.
Mit der Awo-Unterhaltungsgruppe „Die Herbstzeitlosen“ tourte sie ehrenamtlich durch Seniorenheime, sorgte mit Musik von anno dazumal für Glücksmomente. Auch sie selbst genießt das Bühnenlicht. „Bald möchte ich wieder auftreten“, betont sie – und ihre Augen leuchten.
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