Essen-Margarethenhöhe. . Die heute 91-jährige Cilli Hagedorn, die als Revue-Sängerin und Kneipenwirtin bekannt wurde, zeigt uns ihr bewegtes Leben in Bildern.
Erst öffnet Cilli Hagedorn die Tür zu ihrem gemütlichen Zuhause auf der Margarethenhöhe, wenig später zu einem Lederkoffer voller Erinnerungen und ihrem Herzen: „Komm’se rein, nenn’se mich Cilli“, sagt die 91-Jährige, die als Revue-Sängerin und Kultwirtin der Rüttenscheider Kneipe „Cillis Milljöh“ in Nachkriegsdeutschland die Bühnen und Menschen im Sturm eroberte.
Eigentlich wollte sie mit uns über ihre Erinnerungen an Hitlers Propaganda-Olympia 1936 sprechen, die sie als Zwölfjährige hautnah miterlebte, als Kind für die Eröffnungsfeier instrumentalisiert wurde. Doch das Leben der begnadeten Sängerin ist viel zu spannend, zu bunt und zu laut, um den Fokus allein auf dieses düstere Geschichtskapitel zu legen.
Berliner Dialekt als Kind aus Schlesien vor dem Spiegel geübt
Cilli kocht Kaffee – stark und schwarz – plaudert dabei ohne Atempause. Ihr Berliner Akzent mogelt sich immer wieder ins Ruhrdeutsch, „den habe ich damals vorm Spiegel trainiert, als wir aus Oberschlesien nach Moabit kamen. Meine Mitschüler haben mich für mein polnisches Deutsch gehänselt“, sagt Cilli, die als Elfjährige 1935 nach Berlin zieht. Ihr Vater ist Beamter, die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Belle Etage mit kleinem Balkon an der Oldenburger Straße empfindet die Familie als großen Luxus. „An meiner Schule wurden damals Mädchen für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele gesucht“, erinnert sich Cilli, die schließlich ausgewählt wird, „obwohl ich mit meinen dunklen Haaren und Augen eigentlich so gar nicht in das propagierte Idealbild eines deutschen Mädchens passte.“
Aus dem weißen Stoff und dem Schnittmuster, die man ihr aushändigt, näht ihre Mutter schließlich das Kleid, das sie ebenso wie hunderte andere Mädchen zur Eröffnungsfeier der Spiele 1. August 1936 im Olympiastadion trägt. Gemeinsam bilden sie die olympischen Ringe, eine Choreographie, bei der alles „überorganisiert war“, wie sich Cilli erinnert: „Keen Schritt links, keen Schritt rechts, immer nur geradeaus. Da wurde nichts dem Zufall überlassen, das fand ich schrecklich“, sagt Cilli, die dennoch Gefallen am Auftritt vor dem großen Publikum findet, den Applaus und die Aufmerksamkeit genießt.
Auftritte für die Soldaten
Der Entschluss, ihr Leben Tanz, Gesang und Schauspiel zu widmen, können selbst die Kriegsgräuel nicht kippen. Mit ihrer Combo „Eine Stunde Heiterkeit“ reist sie selbst zu den Kriegsfronten, singt dort für Soldaten. Die letzten Kriegsmonate erlebt sie in Berlin, wo sie mit italienischen Musikern in einem Keller Schutz sucht. „Aber selbst da haben wir gesungen und Musik gemacht. Das war gut gegen die Angst, als die Bomben fielen.“
Bereits vier Tage nach Kriegsende wird sie auf ein Künstlergesuch aufmerksam: Cilli zögert keine Sekunde, steht wenig später auf der Bühne im Femina-Palast, der später einen der bekanntesten Jazzclubs beherbergen soll. Die junge Cilli reizt schnell ein neues Abenteuer: Mit einer Gesangspartnerin gründet sie das „Duo Scarlett“, gelangt über ihre guten Kontakte nach Italien. Gemeinsam treten sie in Triest und Bologna, später auch in Rom auf. „Eine wundervolle Zeit“, sagt Cilli, „ich war ständig verliebt.“
Nächstes Konzert im Chorforum
Ihre wahre Liebe aber findet sie bei ihrer Rückkehr nach Berlin. Dort lernt sie den Karikaturisten Günther „Tüte“ Hagedorn kennen. Dessen guter Freund Jens Feddersen wird wenig später Chefredakteur der NRZ, bittet seinen Kumpel um Unterstützung in Essen. „So kamen wir 1961 hierher“, blickt Cilli zurück, die ihre guten Qualitäten als Gastgeberin schließlich beruflich nutzt: An der Rüttenscheider Straße eröffnet sie 1968 die Kultkneipe „Cillis Milljöh“, die sich zum angesagten Treffpunkt der Medien- und Künstlerszene entwickeln soll. „Wir haben das Leben immer geliebt“, sagt Cilli, die diese Einstellung beibehalten hat.
Vor sechs Jahren tritt sie sogar in der Vox-Castingshow X-Faktor auf. Und auch heute kommt es für sie nicht in Frage, ihrer geliebten Bühne den Rücken zu kehren: Aktuell laufen die Proben für ihr nächstes Konzert am 11. September im Chorforum, wo sie mit der Gruppe „German Silver Singers“ auftritt.