Essen-Borbeck. Der Geschäfte-Schwund macht dem Borbecker Zentrum schwer zu schaffen, bald schließt der nächste Laden. Doch es gibt auch Visionen. Eine Analyse.
Das Borbecker Zentrum leidet. Viele inhabergeführte Läden haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschlossen, andere haben ihren Rückzug angekündigt. Wer durch die Straßen bummelt, blickt in einige leere oder abgehängte Schaufenster. Friseure, Wettbüros und Spielhallen gibt es hingegen mehr als genug. Die Zeiten des florierenden Einzelhandels im Stadtteil scheinen Geschichte – wie ist es so weit gekommen und wie kann die Zukunft des Zentrums aussehen? Darauf gibt es in Borbeck verschiedene Antworten. Eine Spurensuche.
Die Kundenfrequenz reicht nicht aus, sagt der Edeka-Chef
„Die Struktur in Borbeck hat sich verändert, die Kundenfrequenz reicht nicht mehr aus“, sagt Manfred Burkowski. Er wird seinen Edeka-Markt an an der Rudolf-Heinrich-Straße 3 schräg gegenüber der Kaufland-Filiale schließen. Ende Juni soll es so weit sein, nach fast 25 Jahren am Standort. Es sei „ein weinendes Auge dabei“, aber die nötigen Investitionen in den Standort passten mit den Umsätzen nicht mehr zusammen. Burkowski setzt auf die größeren und modernisierten Filialen an der Altendorfer Straße und am Wolfsbankring, außerdem auf den noch recht neuen Markt am Krupp-Gürtel.
Es folgt also eine weitere Schließung, viele davon konnten die Menschen in Borbeck-Mitte in den vergangenen Jahren beobachten. Ein Einschnitt war auch das Ende des Fachgeschäfts für Haushaltsgeräte von Familie Balster. Nach rund 60 Jahren entschlossen sie sich zu dem Schritt, weil es keine Nachfolge mehr gab.
Nun wirbt Optik Röcken damit, das älteste noch bestehende Fachgeschäft in Borbeck zu sein. Inhaber Peter Seidel feierte kürzlich mit Gästen das 50-Jährige des Betriebs. Dessen Zukunft sieht er als gesichert, über den Standort macht er sich jedoch zunehmend Gedanken. „Borbeck ging es mal sehr gut, aber die Spirale dreht sich immer schneller abwärts“, so Seidel.
Auf eine einzige Ursache mag diese Entwicklung niemand zurückführen, Herausforderungen wie Online-Handel, die Nachfolge-Frage in inhabergeführten Betrieben und schließlich auch die Corona-Pandemie betreffen Borbeck wie andere Stadtteilzentren auch. Dennoch gibt es Besonderheiten. Im Nachhinein glauben viele, dass der große Umbau von Borbeck-Mitte in den 1970er Jahren ein Nachteil ist. „Unter den Mittelzentren ist Borbeck sehr früh zu einer Fußgängerzone umgebaut worden“, sagt Susanne Asche, Vorsitzende des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins.
Gleich mehrere relativ nah gelegene Einkaufszentren nehmen Borbeck in die Zange
Die Geschäfte entlang dieser Fußgängerzone hatten schon in den 1970er Jahren Konkurrenz durch das Rhein-Ruhr-Zentrum, das in Mülheim direkt an der Stadtgrenze entstand. 1996 eröffnete dann das Centro Oberhausen. Beide Standorte nehmen das Borbecker Zentrum bis heute regelrecht in die Zange, zusammen mit der Essener Innenstadt, dem Limbecker Platz und auch den Geschäften am Wolfsbankring.
„Borbeck-Mitte hat im Vergleich zu anderen Mittelzentren die größten Herausforderungen“, attestiert Citymanagerin Svenja Krämer von der Essen Marketing GmbH (EMG). Dennoch habe es weiterhin eine wichtige Nahversorgungsfunktion. Die Wiederbelebung des alten Hertie-Standortes mit dem Kaufland sei daher „ein wichtiges Pfund“. Es gehe nun darum, die Geschäfte zu halten, die es noch gebe, und wenn möglich die eine oder andere Neuansiedlung zu ermöglichen. Dass die Entwicklung gänzlich umzukehren ist, glaubt auch Krämer nicht. „Wir müssen nicht dem Borbeck von vor 30 Jahren hinterhertrauern, das wird nicht wiederkommen“, sagt sie klar.
„Sofortprogramm Innenstadt“ greift in Borbeck nicht
Der Versuch, leerstehende Ladenlokale über das „Sofortprogramm Innenstadt“ neu zu beleben, ist bisher gescheitert. Rund 300.000 Euro sind insgesamt im Fördertopf für Borbeck. Bis zu 80 Prozent Mietnachlass für maximal 24 Monate können damit gewährt werden, wenn Ladenlokale neu vermietet werden – doch bisher gab es keine einzige geeignete Bewerbung. Bis Ende 2023 sind die noch möglich.
Dass sich abseits dessen ein neuer Blumenladen angesiedelt hat, freut Klaudia Ortkemper, die Vorsitzende des Initiativkreises Centrum Borbeck (Cebo). „Einige weitere neue ansprechende Geschäfte wären der Wunsch“, sagt sie. Mit Festen und verkaufsoffenen Sonntagen, Blumenschmuck und mehr versuchen die Geschäftsleute, die Aufenthaltsqualität zu steigern und Publikum nach Borbeck-Mitte zu holen. Auch wenn zu ihrem Ärger hier ein Stiefmütterchen ausgerissen und da Schleifenbänder zerschnitten würden, machten sie weiter.
So gibt es einige in Borbeck, die sich für ihren Stadtteil engagieren, ihn nicht aufgeben wollen. Diese Kräfte zu bündeln, ist eine der Aufgaben von Walter Frosch. Seit 16 Jahren ist er Moderator des Masterplans Borbeck. „Oft müssen wir dicke Bretter bohren“, sagt er. Bis einzelne Projekte umgesetzt würden, brauche es oft viel Geduld, viele Besprechungen und Begehungen, oft fehlten Personal und Geld.
Kritik an der Parksituation im Zentrum
Ein Problem sei die Immobiliensituation, so Frosch. Viele Eigentümer wohnten selbst nicht im Stadtteil. So sei es oftmals schwer, Aufmerksamkeit und Unterstützung zu gewinnen: „Von zehn Eigentümern, die wir anschreiben, sind vielleicht noch drei private Besitzer, die sich auch zurückmelden.“ Es bleibe nichts anderes übrig, als auf diese zu setzen, wenn man etwas bewegen wolle.
„Die Immobilienbesitzer, die noch in Borbeck wohnen, sind bemüht“, sagt Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig. Dazu zählt auch Jürgen Becker, der nicht nur mehrere Wohn- und Geschäftshäuser, sondern auch den Bahnhof und die Alte Cuesterey besitzt. Die prominenten Gebäude will er erhalten, öffnet sie für soziale und kulturelle Zwecke. Bei der Vermietung seiner Immobilien habe er bisher kaum Schwierigkeiten, sagt Becker. „Ein Problem sind eher Müll und Schmierereien“, sagt er. „Den Bahnhof können wir täglich reinigen.“
Eigentümer wie er ziehen deshalb gerne mit Ehrenamtlichen an einem Strang, die sich für Sauberkeit, Sicherheit, Aufenthaltsqualität und Zusammenleben einsetzen – die Stellschrauben eben, an denen sie drehen können. Wenn sie könnten, würden viele die Parksituation und die Verkehrsführung ändern. Sie glauben zum Beispiel, dass es ein Fehler war, die direkte Zufahrt von der Borbecker Straße über die Marktstraße auf den Neuen Markt für Pkw zu unterbinden. „Das hat Borbeck wirklich den Hals gebrochen“, sagt Bezirksbürgermeisterin. Und viele Geschäftsleute wünschen sich mehr zentrale und wenn möglich kostenlose Parkplätze.
Frage nach der Zukunft: „Wir müssen uns als Dienstleistungszentrum verstehen“
43 bewirtschaftete Parkplätze werden durch den Umbau des Busbahnhofs wegfallen, nach einem Ausgleich wird noch gesucht, doch aus Sicht von Ortkemper und anderen ist es eine weitere Einschränkung zum Nachteil des Zentrums. Grundsätzlich willkommen ist der Umbau aber ebenso wie die Aufwertung des Neuen Marktes aus Fördermitteln. Viele derer, die die Entwicklung Borbecks beobachten und sich mit viel Herzblut engagieren, teilen die Ansicht, dass Aufenthaltsqualität und Erreichbarkeit entscheidend sind.
An eine Rückkehr zu belebten Einkaufsstraßen, an denen sich ein Fachgeschäft ans nächste reiht, glauben die wenigsten. Was also tun mit den leerstehenden Flächen in den Erdgeschossen? „Wir müssen uns als Dienstleistungszentrum verstehen“, sagt Masterplan-Moderator Walter Frosch. Neben der Nahversorgung, einigen Läden, Cafés und Eisdielen sieht er Soziales und Gesundheit als entscheidend an.
Als Beispiel führt er die Umnutzung des früheren Haushaltswaren-Geschäfts der Familie Balster an. Dort ist jetzt eine Kita zu finden. „So kann man mit Eigentum auch zum Wohle Borbecks umgehen“, findet Frosch. Mit gemeinsamem Einsatz von Eigentümern, Geschäftsleuten, Vereinen und Politik könne eine neue Form des Stadtteilzentrums entstehen – so die Hoffnung für Borbeck.
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