Essen-Borbeck. Bahnhofs-Check in Essen: Nach Werden und Essen-West ist jetzt der S-Bahnhof Borbeck an der Reihe. Was unseren Testern auffiel.
„Völlig heruntergekommen“ sei das Bahnhofsgebäude gewesen, als der hiesige Immobilienunternehmer Jürgen Becker es vor 22 Jahren der Deutschen Bahn abkaufte. „Ich habe es damals gekauft, weil ich Borbecker bin“, sagt er. Becker hat viel Geld investiert und eines der schönsten Empfangsgebäude an Rhein und Ruhr geschaffen: mit Decken-Fresken im Jugendstil und einem opulenten historisierenden Ölgemälde. Nach Werden und Essen-West führt uns der Bahnhofs-Check, Teil III, jetzt nach Borbeck.
Taktung
Die S 9, eine der längsten S-Bahnlinien im Verkehrsverbund, steuert den S-Bahnhof Borbeck ebenso an wie der Regionalexpress RE 14 (Essen-Borbeck bzw. -Coesfeld). Beide Linien fahren halbstündlich. Zwischen Borbeck und Steele via Essen Hbf gibt es somit einen 15-Minuten-Takt. Fahrgäste beklagen Verspätungen der S 9.
Anbindung an Bus, Tram, Leihräder
Der Busbahnhof garantiert tagsüber den bequemen Anschluss an etliche Buslinien (140, 143, 160, 170, 185, 186, NE 12 und NE 15) und an die Tramlinie (103 Dellwig - Steele). Zum Centro Oberhausen gibt’s eine Direktverbindung. Auch der Umstieg aufs Metropolrad ist möglich. Ferner gibt es einen Taxistand am Busbahnhof. Auf der anderen Seite, zum Marktplatz hin, hat Taxi Voswinkel seinen Stand. Erfreulich: Die Ruhrbahn hat vor, den Busbahnhof barrierefrei auszubauen und zu modernisieren.
Sauberkeit
Wir nehmen den Bahnhof am Montagvormittag (2. Mai) unter die Lupe. Der Bahnsteig ist übersät mit Zigarettenkippen. Ärgerlich ist auch der ständige Taubendreck. Der Borbecker Gerhard Rietz (51), von Beruf Pfleger in Düsseldorf und Pendler, vermisst als Raucher eine Raucherecke. Wer oben aus dem Aufzug tritt und daneben auf die Gleise schaut, entdeckt eine imposante Müllkippe aus Bier- und Limodosen, Tetrapaks und Flachmännern. „Es könnte ein bisschen sauberer sein, in den letzten Monaten ist es schlimmer geworden“, findet Margarete Deterding, die sich auf den Weg zum Hauptbahnhof macht.
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Die Unterführung zwischen Busbahnhof und Glastür sei früher von der DB gründlicher gesäubert worden, sagen andere. Das 1990 unter Denkmalschutz gestellte Bahnhofsgebäude befindet sich seit gut 20 Jahren im Besitz des Borbecker Immobilienunternehmers Jürgen Becker. Auch er räumt ein, dass die Bahnhofshalle sehr pflegeintensiv sei. DB Regio teilt auf Anfrage mit: „Der Bahnhof wird von unserem Personal fünf Mal die Woche gereinigt. Sollten die Verschmutzungen dauerhaft zunehmen, sind unsere Mitarbeitenden auch häufiger vor Ort.“ Der Bahnhof Borbeck sei weniger stark von Vandalismus betroffen als andere Bahnhöfe. Unterm Strich bleibt festzuhalten: Der private Teil (Bahnhofshalle) wirkt sauberer und gepflegter als der Teil unter DB-Regie.
Service
Tickets gibt’s oben auf dem Bahnsteig, aber auch unten an der Straßenbahnhaltestelle. Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig wünscht sich eine moderne, übersichtlichere Fahrgastinformation. Ein Bahnsprecher verweist auf den „Dynamischen Schriftanzeiger“ (DSA), mit dem die DB Reisende über aktuelle Abfahrtszeiten informiere. „Aus Sicht der DB läuft der DSA unauffällig und ohne größere Störungen.“
Eine beliebte Anlaufstelle rund um die Uhr ist zum Busbahnhof hin der Kiosk „Kök“, den Mahmut Kocak mit seiner Frau betreibt. Die Trinkhalle hat von vier Uhr für bis um 23 Uhr geöffnet: Morgens gibt’s belegte Brötchen und Sandwiches sowie Kaffee, abends das kühle Feierabendbier plus Brühwürstchen.
Fast schon eine Rarität ist die gute alte Bahnhofsgaststätte, der Verein „Zug um Zug“ (ZuZ) betreibt sie in der Bahnhofshalle seit 22 Jahren als Begegnungsstätte. Normalerweise hat sie täglich geöffnet, zuletzt aber nur an den Markttagen Dienstag und Freitag von 7 bis 12.30 Uhr. Am 18. Mai um 16 Uhr gibt’s ein Literaturcafé mit dem Thema: „Immer mit der Ruhe“. Ein feiner Zug: „ZuZ e. V.“ in der schicken Bahnhofshalle morgens zwischen 7 und 8 Uhr wieder ein kostenloses Frühstück für bedürftige Schulkinder. Info: zug-um-zug-ev.de
Eine öffentliche Toilette gibt’s an der Tramhaltestelle.
Wartekomfort
Wartehäuschen sucht der Fahrgast auf dem Bahnsteig vergeblich. Die Sitzbänke sind weder überdacht, noch gegen Wind geschützt. Überdacht ist lediglich der Treppenaufgang. Trotzdem ist es dort an kalten und stürmischen Tagen äußerst unangenehm. Viele Fahrgäste stellen sich dann lieber auf die Treppe. Die Bezirksbürgermeisterin: „Der Wartekomfort in Borbeck-Süd ist besser als in Borbeck.“
Barrierefreiheit
Fahrgäste beschweren sich darüber, dass der Fahrstuhl zu oft außer Betrieb sei. Außerdem sei er meistens dreckig und stinke. Doch DB Regio widerspricht: Im ersten Quartal 2022 habe der Aufzug laut interner Auswertung zu 99 Prozent zur Verfügung gestanden. „Damit hat der Aufzug eine sehr hohe Verfügbarkeit“, so die Bahn. Reisende können den Status des Aufzugs übrigens auf bahnhof.de einsehen oder in der DB-App „Bahnhof live“.
Kinderwagen, Rollator, E-Rolli – das alles passt problemlos in den Aufzug, aber mit einem Fahrrad wird’s echt problematisch. Er ist für Fahrräder viel zu kurz. Wer geschickt ist, wuchtet sein Rad senkrecht in den Aufzug. Mit einem 25 Kilogramm schweren E-Bike ist das allerdings bedeutend schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich. Die unkomplizierte Fahrradmitnahme via Aufzug sollte gerade am Bahnhof Borbeck verbessert werden. Denn genau hier am „Knotenpunkt 82“ des NRW-Radwegenetzes beginnt die asphaltierte Radtrasse „Abzweig Borbeck“, die direkt zum Radschnellweg RS1 führt.
So bewertet der VRR den Bahnhof
Der aktuelle Stationsbericht des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR) gibt dem Bahnhof Borbeck in der Gesamtbewertung den grünen Stern für „ordentlich“. Das ist die zweite von vier Kategorien.
Der VRR bewertet die Fahrgastinformation und die Barrierefreiheit jeweils als „hervorragend“, die Aufenthaltsqualität als „zufriedenstellend“.
Der Bahnhof Borbeck hat laut VRR täglich 3.357 Fahrgäste. Zum Vergleich: Steele 12.686; Essen-West 8.360; Werden 5.120; Altenessen 4.291; Kupferdreh 3.140
DB Regio teilt mit, dass der Bahnhof Borbeck bis 2026 modernisiert und barrierefrei ausgebaut werden soll. Geplant sei der Neubau des Mittelbahnsteiges auf einer Höhe von 76 statt bislang 96 Zentimeter. Auch die Beleuchtung werde erneuert.
Parkmöglichkeiten
Der Bahnhof Borbeck eignet sich gut für Park & Ride: Direkt neben dem Bahnhofsgebäude gibt es einen Parkplatz, hinzu kommt der zweite neben dem Busbahnhof. Und der Marktplatz direkt vor dem Bahnhof bietet von den Markttagen Dienstag und Freitag abgesehen ebenfalls gute Parkmöglichkeiten.
Direkt am Bahnhof können Fahrräder in abschließbaren Fahrradboxen abgestellt werden. Dieses Bike & Ride Angebot ist ein gemeinsames Projekt von VRR, Stadt Essen und Ruhrbahn. Die Vermietung läuft über die Stadt Essen, gebucht werden kann das „Radschloss“ per App über die Ruhrbahn. Autofahrer sollen so zum Umsteigen auf Rad und ÖPNV motiviert werden: mit dem Bike zum Bahnhof, in der Fahrradgarage abschließen und weiterfahren mit Bus, Bahn oder Tram.
Subjektives Sicherheitsgefühl
Die befragten Fahrgäste bewerten die Aufenthaltsqualität im VRR-Stationsbericht 2021 insgesamt als zufriedenstellend. Ärger gab’s in letzter Zeit gelegentlich in der Bahnhofshalle. Eine obdachlose Frau, so heißt es, soll sich im Rausch selbst gegenüber hilfsbereiten Menschen, die ihr morgens belegte Brötchen und einen Kaffee reichen, aggressiv verhalten und sie angeschrien haben. Das ist unangenehm, macht aber aus der Halle längst noch keinen Angstraum. Problematisch soll in den Abend- und Nachstunden eher das Bahnhofsumfeld sein, etwa der Marktplatz. Die Leute der Stadtreinigung EBE sagen: „Hier ist fast immer Ramba-Zamba.“ Auch die Müllmengen, die sie hier beseitigen, nähmen ständig zu. Die EBE-Leute machen die Kioske am Markt mitverantwortlich für die Partystimmung. Sie hätten das ganze Jahr lang rund um die Uhr geöffnet.
Das Fazit
Der Bahnhof Borbeck ist eher ein Ort zum Ankommen als zum Wegfahren. Die zentrale Lage im Ort direkt am Markt, die gute Anbindung an Bus, Tram und Radtrasse sind Pluspunkte. Dass Jürgen Becker („Borbeck zuliebe“) das Bahnhofsgebäude vor dem Zerfall gerettet hat, tut dem Stadtteil gut. Und die Bürger danken es ihm. Dank des rührigen Vereins „Zug um Zug“ hat Borbeck sogar noch eine intakte Bahnhofsgaststätte. Einen dicken Minuspunkt gibt’s für den minimalen Wartekomfort am Bahnsteig. Ebenfalls negativ: der dreckige Aufzug, der leider auch die Fahrradmitnahme im Zug erschwert. Der Bahnsteig wirkt an manchen Tagen ziemlich ungepflegt. Unsere Schulnote: befriedigend.