Essen. Wenig Geld, wenig Platz, Sprachbarrieren: Essenerin Nahla Qaidy hatte einen schwierigen Start. Wie sie trotzdem auf Kurs ins Jura-Studium ist.
Nahla Qaidy (19) bringt ihr Umfeld zum Staunen. Sie räumt in der Schule Bestleistungen ab, sie studiert nebenbei schon Jura, gibt Nachhilfe und engagiert sich ehrenamtlich – und das alles bei schwierigen Startbedingungen. Die Schülerin kam erst 2015 mit ihrer Familie aus dem Irak nach Deutschland. Sie hat viele Schulwechsel hinter sich, muss sich zu Hause den Platz mit sechs Geschwistern teilen, und das Geld ist auch knapp in der Familie.
Trotzdem steuert Nahla auf ein sehr gutes Abitur zu und hat als „Ruhr-Talent“ ein Schülerstipendium bekommen. „Meine Eltern hatten nicht die Chance, einen Schulabschluss zu machen und haben mir immer vermittelt, dass die Schule sehr wichtig ist“, sagt die 19-Jährige. Für sie ein großer Ansporn, um immer wieder über sich hinauszuwachsen.
Essenerin Nahla (19): „Mein Traumberuf ist Richterin“
In ihrer Schullaufbahn hat sie schon sechs verschiedene Schulen besucht, seit knapp drei Jahren lernt sie an der Gesamtschule Nord in Vogelheim. Hier fällt Nahla durch ihr Talent auf – und durch ihren Willen, das Beste zu machen aus den Bildungschancen, die sie bekommt. „Sie gibt Vollgas, ist zuverlässig und fleißig“, sagt Oberstufenleiterin Marion Faber-Ziegler. Nahla möchte im kommenden Jahr ihr Abitur machen und dann Jura studieren. „Mein Traumberuf ist Richterin“, sagt sie. An der Ruhr-Universität Bochum besucht im Rahmen eines Schülerinnenstudiums bereits eine Vorlesung.
Woher sie die Zeit dafür nimmt, darüber können Außenstehende manchmal nur rätseln. Denn Nahla hat als Oberstufenschülerin einen vollen Stundenplan, muss Hausaufgaben machen und für Prüfungen lernen wie alle. Zusätzlich bessert sie ihr Taschengeld mit Nachhilfeunterricht in Mathe und Deutsch auf, ist in der Ehrenamts-AG ihrer Schule aktiv, gehört zum erweiterten Vorstand der jesidischen Jugend in Nordrhein-Westfalen, hat bei der „Young Caritas“ eine Smartphone-Sprechstunde für Seniorinnen und Senioren betreut.
Schülerin bekommt Stipendium als „Ruhr-Talent“
Zeit räumt Nahla auch den Angeboten ein, die ihr als „Ruhr-Talent“ über das Stipendienprogramm offen stehen. „Die Ruhr-Talente und die Kontakte außerhalb der Schule haben mir sehr geholfen, meine Deutschkenntnisse und mein Allgemeinwissen zu verbessern“, sagt sie. Außerdem habe sie so Freundschaften knüpfen können, denn es seien viele Gleichgesinnte aufeinandergetroffen – Jugendliche wie sie, die von außen betrachtet erst einmal nicht die besten Bedingungen für einen erfolgreichen Bildungsweg haben.
„Wir definieren Talent nicht im Sinne von Hochbegabung“, erklärt Robin Gibas, Leiter des Schülerstipendienprogramms „Ruhr-Talente“. „Es geht um Jugendliche, die aus nicht idealen Gegebenheiten das Beste rausholen und engagiert sind.“ Bei vielen seien die Wohnverhältnisse beengt, sie hätten keinen eigenen Schreibtisch und manche müssten auch zum Einkommen der Familie beitragen.
Das muss Nahla nicht, aber beengte Wohnsituationen kennt sie. „Mit sechs Geschwistern zu Hause hat man nicht immer Ruhe, um zu lernen“, sagt Nahla, die sich Zimmer und Schreibtisch teilt. Durch das Stipendium hat sie Laptop und Drucker bekommen, außerdem ein Bahnticket, um die vielen Bildungsangebote im Ruhrgebiet nutzen zu können. Rund 500 Ruhr-Talente gibt es aktuell und etwa 600 Alumni. Durch Schulen wie die Gesamtschule Nord, die sich an der NRW-Talentförderung beteiligen, werden immer wieder neue entdeckt.
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