Essen-Stoppenberg. 90 Prozent der Familien, deren Kinder die Essener Lernhäuser des Kinderschutzbundes besuchen, beziehen Transferleistungen. Ein Besuch.

Seit über 50 Jahren setzt sich der Essener Kinderschutzbund mit seinen Angeboten für benachteiligte und schutzbedürftige Kinder und Jugendliche sowie für hilfesuchende Eltern ein. Die Hilfe beginnt vor der Geburt in der Zusammenarbeit mit Hebammen, begleitet Kinder über Kitas bis zum Schulabschluss. Wo es in der Schule hapert, helfen seit über 20 Jahren die vier Essener Lernhäuser. Zu weiten Teilen spendenfinanziert und für die Nutzer kostenfrei. Doch die Finanzierung stellt den Kinderschutzbund vor gewaltige Herausforderungen.

Essener Lernhäuser verknüpfen Sozialpädagogik mit lerntherapeutischem Angebot

Standorte sind Altenessen, Borbeck, Stadtmitte und auf Zollverein. Die Angebote für aktuell 200 Essener Kinder reichen von der Hausaufgabenbetreuung über Sprachförderung, Berufsvorbereitung sowie Eltern- und Familienbegleitung bis zu Freizeitangeboten. Das können auch Ferien auf dem Reiterhof sein. Um die 40 Ehrenamtliche unterstützen die Lernhäuser.

Das Lern-Haus Zollverein an der Martin-Kremmer-Straße verknüpft seine sozialpädagogische Arbeit mit einem lerntherapeutischen Angebot. Der Tag beginnt dort um 12.30 Uhr mit den Grundschülern: „Sie sollen erst einmal runterkommen. Es gibt einen Snack. Wir kümmern uns ums Lernen, sind aber nicht die Schule. Bei uns kann man sich erst einmal hinhocken und ein Puzzle machen“, erklärt Leiterin Ilka Schremmer.

Das Lernhaus des Essener Kinderschutzbundes an der Martin-Kremmer-Straße in Essen-Stoppenberg.
Das Lernhaus des Essener Kinderschutzbundes an der Martin-Kremmer-Straße in Essen-Stoppenberg. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ab 16 Uhr seien die Schüler der weiterführenden Schulen an der Reihe. Die 57-Jährige ist ausgebildete Therapeutin für integrative Lerntherapie, unterstützt Kinder in 1:1-Sitzungen, die eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, Dyskalkulie oder eine Lernbehinderung haben: „Die Schulen schaffen es nicht. Ich kann die Kinder begleiten im Einzel-Setting, baue eine Beziehung auf. Die Kinder sind der Boss. Ich bin nur der Assistent. Da lösen sich Blockaden und die Kinder trauen sich, über ihre Schwächen zu sprechen.“

Kinder sollen in Essener Lernhäusern gestärkt werden

Ein Grundschüler legt Buchstabenkarten zu Wörtern. Er tut sich spürbar schwer, ist umso stolzer, das Ziel zu erreichen. Ilka Schremmer lobt ihn und ist selbst ein wenig baff: „Das war vor einigen Wochen noch undenkbar.“ Kleine Fortschritte, die der Therapeutin für integrative Lerntherapie Mut machen: „Es geht darum, die Kinder zu stärken. Ihnen ist durchaus bewusst, dass sie etwas nicht können, was anderen leicht fällt.“ Sie arbeite ressourcenorientiert: „Das kannst du. Und das bauen wir aus. Ohne jeden Druck.“

Sandra Grande, pädagogische Fachkraft begleitet Tugba (7) und Jolien (9) im Essener Lernhaus bei den Hausaufgaben.
Sandra Grande, pädagogische Fachkraft begleitet Tugba (7) und Jolien (9) im Essener Lernhaus bei den Hausaufgaben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Professor Ulrich Spie ist Vorsitzender des Kinderschutzbundes in Essen: „Es gibt zwei wesentliche Schlüssel, um Kinder zu fördern. Da ist die Gesundheit, die gerade bei sozial schlechter gestellten Kindern gefährdet ist. Da ist aber auch die Bildung. Nur wenn beides funktioniert, machen Kinder ihren Weg.“ Er betont: „Bildung passiert in den ersten sechs Lebensjahren und dann fängt die Schule an.“ Wir bieten keine Nachhilfe, vielmehr spielerisches Lernen fürs Leben. Eine Mischung aus Sozialberatung, Eigenmotivation, Mut machen. Kinder wollen lernen.“

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Lernhäuser wollen Kinder unabhängig von der Herkunft stärken

Martin Hollinger koordiniert die vier Lernhäuser: „Wir wollen Perspektiven aufzeigen.“ Wobei die den jungen „Klienten“ kaum zugestanden würden: „90 Prozent unserer Kinder sind von Transferleistungen abhängig. Aber uns gelingt es, die Armutsspirale zu durchbrechen.“ Alle Kinder sollen dieselben Chancen auf eine gute Bildung haben. Und zwar egal, woher sie kommen, wie viel Geld oder welchen Beruf ihre Eltern haben oder welche Sprache sie sprechen. Hollinger wirbt energisch dafür, keine Talente zu übersehen, nur weil sie im „falschen“ Stadtteil wohnen: „Wir können es uns doch überhaupt nicht leisten, diese Kinder zu verlieren, sie vorzeitig abzuschreiben. Alle Kinder haben Stärken. Vielleicht kommt der nächste Einstein aus Katernberg?“

In den Essener Lernhäusern soll Bildung für alle Kinder zugänglich gemacht werden, unabhängig der Herkunft.
In den Essener Lernhäusern soll Bildung für alle Kinder zugänglich gemacht werden, unabhängig der Herkunft. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ulrich Spie wird nachdenklich: „Unsere Lernhäuser wollen Bildung für Kinder zugänglich machen.“ Rund sieben Prozent der Schüler in Essen schaffen keinen Abschluss? Spie vermeldet dagegen: „Unsere regelmäßigen Teilnehmer machen alle ihren Schulabschluss.“ Aber man fühle sich von der Politik allein gelassen: „Alle führen an, wie wichtig die Bildung sei. Gleichzeitig sind Angebote wie die unseren nicht öffentlich gefördert.“ So sei es ein ständiger Kampf für den Kinderschutzbund, Angebote wie die Lern-Häuser aufrecht zu erhalten.

„Die Finanzierung war vom ersten Tag an ein Problem. Hier auf Zollverein bieten wir zusätzlich Therapie an, aber auch das ist nicht finanziert.“ Es gehe nicht ohne Spendenzuwendungen der Bevölkerung, ohne Partner: „Aber Stiftungen, die uns mit Anschubfinanzierungen helfen, spüren alle die wirtschaftliche Schieflage. Es wird für uns immer schwerer. Dabei müssten wir mehr Lernhäuser haben und nicht weniger.“

Hier kann gespendet werden

Wer die Arbeit des Kinderschutzbundes unterstützen möchte, findet auf der Homepage www.dksb-essen.de mehrere Möglichkeiten. Wichtig sind ehrenamtliche Helfer, die die Kinder auf ihrem Bildungsweg begleiten. Privatpersonen und Firmen können Mitglied werden, Geldspenden können generell helfen, sind aber auch für ganz bestimmte Projekte möglich.

Im Kinderkleiderladen „Kleiner Elefant“ an der Gerswidastraße 1-3 a werden Sachspenden wie einwandfreie Baby- und Kinderkleidung, hochwertige Kinderspielsachen sowie Gesellschafts- und Lernspiele entgegen genommen.

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