Essen. Weil sie ein hohes Brustkrebsrisiko hat, wählt eine Essenerin eine radikale OP. Sie folgt damit Hollywoodstar Angelina Jolie. Ihre Geschichte.
Hollywoodstar Angelina Jolie machte vor zehn Jahren Schlagzeilen, weil sie sich vorsorglich beide Brüste hatte abnehmen lassen. Auch die Essenerin Claudia Meyer hat genetisch bedingt ein enorm hohes Brustkrebsrisiko und sich daher zu einer radikalen Operation entschieden. Nicht jeder habe dafür Verständnis, sagt die 39-Jährige, doch für sie zählt nur eins: „Ich habe einen kleinen Sohn, für den ich noch viele Jahre da sein will.“
Lukas war sieben Jahre alt, als seine Mutter einen verdächtigen Knoten in ihrer Brust ertastete. Das war im Juni 2021, eine Vorsorge mit unauffälligem Befund lag erst zwei Monate zurück. Dennoch habe sie nicht gezögert: „Ich bin sofort zur Ärztin statt zur Arbeit gefahren.“ Die Gynäkologin schickte sie zum Ultraschall, wenige Tage später erfuhr sie, dass sie triple-negativen Brustkrebs hat, eine besonders aggressive Variante. Behandelt wurde dieser am Brustzentrum der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM).
Essenerin bekam 16 Chemotherapie-Termine verschrieben
16 Chemotherapien wurden ihr verschrieben, die Behandlung begann wenige Wochen später. „Die meisten Frauen haben Sorge, ihre Haare zu verlieren, ich hatte die größte Angst vor Übelkeit.“ Doch bei jedem der je vierstündigen Chemo-Termine habe sie eine „Wundertablette“ bekommen, die gut gewirkt habe. Belastend sei die Behandlung dennoch gewesen: „Das Schlimmste waren immer die Aufbauspritzen nach der Chemo, danach brannte mein ganzer Körper.“
Trotzdem habe sie lange weiter als Haushaltshilfe gearbeitet und sei auch später nie liegen oder auch nur zu Hause geblieben: „Schon wegen meines Sohnes bin ich jeden Tag rausgegangen, auf den Spielplatz, zum Schwimmen...“ Eine heftige Zeit, zumal ihr Partner damals einen Burnout hatte.
Gentest brachte neue Verunsicherung
Nach der fünften Chemo sei der Tumor verschwunden gewesen, sie habe jedoch alle bis auf die beiden letzten Termine durchgezogen: „Ich wollte ganz sicher sein.“ Dann brachte ein Gentest neue Verunsicherung: Claudia Meyer hat eine Mutation des Gens BRCA1: Damit ist nicht nur ihr Brustkrebsrisiko erhöht, sondern auch das für Eierstockkrebs. „Dabei gab es in meiner Familie nie Krebs.“
Es sei schwierig gewesen, verlässliche Informationen zu der Erkrankung zu bekommen, aber nach einiger Recherche war für sie klar: „Ich lasse nicht nur die erkrankte, linke Brust abnehmen, sondern auch die rechte. Es sollte alles weg sein.“ Am Nikolaustag 2021 fand die Brust-OP statt, Anfang 2022 ließ sie auch Eileiter und Eierstöcke entfernen.
Sie versprach ihrem kleinen Sohn, gegen den Krebs zu kämpfen
Wenig später starb ihr Schwiegervater an Lungenkrebs, ihr Sohn Lukas verlor seinen geliebten Opa. Claudia Meyer treten noch heute die Tränen in die Augen, wenn sie erzählt, wie Lukas sie fragte: „Mama, musst Du sterben?“ Sie versprach ihm: „Ich werde kämpfen und noch viele Jahre für Dich da sein.“
Schon darum sei die Mastektomie (Brust-Entfernung) für sie „die beste Entscheidung“ gewesen, und sie sei von Anfang an offen damit umgegangen, habe ihre Narben gezeigt. „Ich fühle mich wohl, wie ich bin.“ Nicht alle Ärzte hätten das verstanden: „Immer wieder wurde ich gefragt, ob ich nicht einen Brustaufbau machen möchte.“
Angesichts der vielen Brustkrebs-Patientinnen wundert sie sich, dass spezielle Kleidung schwer erhältlich und sehr teuer ist: „Außer im Sanitätshaus bekommt man nirgends einen BH mit Taschen für die Prothesen. Und ein Sport-Top mit Einlagen kostet 70 Euro!“ Auch deswegen entschied sie sich früh gegen jeden Brust-Ersatz: Ihre Brust-Prothesen liegen meist im Schrank; den Kompressions-BH mit Watteeinlagen hat sie nur anfangs getragen. „Viele Frauen haben offenbar Angst, angesprochen zu werden. Ich gebe gern Auskunft. Und ich möchte anderen Frauen Mut machen.“
Prothesen hätten beim Stand-up-Paddling platzen können
Schwierig sei es nur, hübsche Klamotten zu finden, die zu ihrer neuen Figur passen: „Kleidung für Frauen ist oft ausgeschnitten, soll das Dekolleté betonen.“ Als sie im Urlaub das erste Mal nach der OP schwimmen ging, trug sie einen Badeanzug mit Prothesen und zupfte ständig an sich herum, und beim Stand-up-Paddling dachte sie: „Wenn ich falle, platzen die Prothesen.“ Sie entschied sich lieber für ein Bandeau.
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Ihr Partner habe ihre Entscheidung für die Abnahme beider Brüste sofort verstanden: Hauptsache der Krebs sei gebannt. „In unserer Partnerschaft hat sich nichts geändert.“ Ihrem Sohn habe sie alles immer kindgerecht erklärt; so sei es für ihn normal, dass sie nun keine Brüste mehr habe. „Er hatte nur Sorge, dass seine Freunde lachen, wenn seine Mutter eine Glatze hat.“ Sie trug darum oft Mütze.
Krankheit und Tod beschäftigen die ganze Familie
Das Thema Krebs beschäftigt die ganze Familie: Als klar war, dass auch ihre Schwester den tückischen Gendefekt hat, ließ auch diese sich die Eierstöcke entfernen, geht nun häufiger zur Brustkrebsvorsorge. Claudia Meyer möchte alle Frauen ermuntern, die Termine wahrzunehmen. „Und ich möchte ihnen zurufen: ,Macht auch mal einen Ultraschall.’“ Damit wäre ihr Tumor wohl schon bei der Vorsorge im April 2021 entdeckt worden.
Heute ist sie krebsfrei, als gesund gilt sie erst nach fünf Jahren. Bis dahin muss sie alle drei Monate zur Kontrolle. Danach frage ihr Sohn jedes Mal: „Wie war Dein Termin?“ Der Achtjährige spreche viel über Tod und Krankheit. Es helfe ihm, dass er seit August 2022 zur Therapie beim Verein „Menschenmögliches“ gehe, der Kinder krebskranker Eltern unterstützt. „Er ist ruhiger geworden, kommt von den Terminen immer fröhlich nach Hause.“
Beim Fotoshooting zeigt sie ihre Narben – und ihre Stärke
Auch Claudia Meyer wirkt bemerkenswert stark, obwohl sie durch die Eierstock-OP nun schlagartig in den Wechseljahren ist und keine Hormone nehmen darf, um etwa diese abzumildern. Sie geht ins Fitnessstudio, merkt, wie gut der Sport ihr tut. Und kürzlich hat „Menschenmögliches“ ein Fotoshooting für sie organisiert: Mit frischem Haarschnitt posiert sie da in enger schwarzer Hose und offenem Hemd: eine Frau mit Narben, eine attraktive Frau.
Gendefekt erhöht Brustkrebsrisiko erheblich
Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 60.000 Frauen neu an Brustkrebs und 10.000 Frauen an Eierstockkrebs. Bei fünf bis zehn Prozent von ihnen liegt die Ursache für den Krebs in ihren Genen. Für die Entstehung von Brust- und Eierstockkrebs sind vor allem Veränderungen in diesen zwei Genen verantwortlich: BRCA1 und BRCA2 (Breast-Cancer-Gene = Brustkrebsgen). Hat eine Frau eine Mutation in einem dieser Gene, ist ihr Risiko für Brust- und Eierstockkrebs stark erhöht.
Die US-Schauspielerin Angelina Jolie machte im Jahr 2013 bekannt, dass sie den Gendefekt in sich trage und ihre Mutter mit 56 Jahren an Brustkrebs gestorben sei. Jolie ließ sich daher vorsorglich beide Brüste abnehmen, später auch Eierstöcke und Eileiter entfernen.
Triple-negativer Brustkrebs ist eine sehr aggressive Brustkrebs-Variante und muss umgehend behandelt werden.
Der 2011 gegründete Verein „Menschenmögliches e.V.“ unterstützt Menschen, die schwer erkrankt sind oder keine Hoffnung auf Heilung haben. Infos: https://menschenmoegliches.de/
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