Essen. Schauspiel Essen präsentiert Spielplan unter Corona-Vorzeichen. Auf dem Programm stehen auch Bühnenklassiker – von Samuel Beckett bis Oscar Wilde
Es kommt selten vor, dass ein Schauspielhaus schon bei der Spielzeit-Vorstellung halb „ausverkauft“ ist“. Aber so sieht sie nun mal aus, die Platzverteilung unter Pandemie-Vorgaben. Jede zweite Reihe ist schwarz abgehängt, dazwischen viele Zweier- und Einzelsitze mit genügend Freiraum drumrum. 60 bis 90 Zuschauer werden je nach Bestuhlungsvariante in der kommenden Zeit im Grillo-Theater einen Platz finden. Dass die neue Spielzeit 2020/21 unter dem Motto „We Are Family“ steht, darf man in Corona-Zeiten auch als konkrete Einladung verstanden wissen. Denn je mehr Mitglieder eines Haushalts kommen und zusammensitzen dürfen, desto mehr Karten können am Ende vergeben werden.
Freilich wurde das Motto schon ersonnen, als Corona noch nicht die Agenda bestimmte. Doch nun geht es eben um Zusammenhalt und Auseinanderdriften und um die familiär auch nicht ganz neue Erfahrung, dass manches eben anders kommt als geplant. Intendant Christian Tombeil und sein Team stellen sich bis zum Spielzeitstart im September jedenfalls noch auf zahlreiche neue Verordnungen und Corona-bedingte Veränderungen ein: „Es wird spannend.“
Auch ein handfester Beziehungsclinch muss mit Abstand inszeniert werden
So wird die Spielzeit im Grillo nicht wie geplant mit der Uraufführung eines Projekts von Volker Lösch zum Thema Armut eröffnet (die Arbeit soll vermutlich in 2021 nachgeholt werden), sondern mit der wohl berühmtesten aller ehelichen Zimmerschlachten: Wie man Edward Albees hochemotionalen Beziehungsclinch „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ mit gebührendem Abstand inszeniert, das soll der in Essen schon wohlbekannte Regisseur Karsten Dahlem ab dem 9. Oktober zeigen.
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Sex, Lügen und heftige familiäre Verwerfungen erschüttern auch die „Marquise von O . . . “ von Heinrich von Kleist. Einstige Skandalgeschichte und schulische Pflichtlektüre in einem, wird die schon für die aktuelle Spielzeit geplante Inszenierung nun am 19. September in der Casa nachgeholt und von Regisseur Christopher Fromm in ein – womöglich sogar Viren-abweisendes– Schaumbad verlegt.
Von der Großen Depression zum Terroranschlag aufs World Trade Center
Die Premieren im Überblick
Die Marquise von O, Regie: Christopher Fromm, Premiere: 19. September, Casa.
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Regie: Karsten Dahlem, Premiere: 9. Oktober, GrilloTheater.
Gift. Regie: Sophie Östrovsky, Premiere: 10. Oktober, Box.
Der Zauberer von Oz, Regie: Anne Spater, Wiederaufnahme: 7. November, Grillo-Theater.
Endspiel, Regie: Gustav Rueb, Premiere: 4. Dezember, Casa.
Bunbury – Ernst ist das Leben, Regie: Susanne Lietzow, Premiere: 5. Dezember, Grillo-Theater.
Das achte Leben, Regie: Elina Finkel, Premiere: 5. März 2021, Grillo-Theater.
Extrem laut und unglaublich nah, Regie hat Thomas Ladwig, Premiere ist am 29. April 2021, Casa.
Früchte des Zorns, Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, Premiere: 30. April 2021, Grillo-Theater.
Überhaupt bestimmen viele Klassiker die kommende Spielzeit. So tritt der Meister der Pointen und Bonmots, Oscar Wilde, am 5. Dezember mit „Bunbury – Ernst ist das Leben“ auf den Plan. Susanne Lietzow inszeniert die Komödie und entführt das Publikum in die Welt der Dandys.
John Steinbeck Pulitzerpreis-gekrönter Roman „Früchte des Zorns“ gewährt einen Blick in die sozialen und mentalen Abgründe Amerikas in Zeiten der Großen Depression. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer dürfte sie ab dem 30. April 2021 mit den aktuellen Verwerfungen in den USA abgleichen.
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Erfolgsautor Jonathan Safran Foer hat in dem Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ ein weiteres amerikanisches Trauma verarbeitet: Die Terrorattacke auf die Twin Towers am 11. September 2001. Thomas Ladwig, der sich schon mit „Alles ist erleuchtet“ als grandioser Foer-Versteher empfohlen hat, zeigt die Bühnenfassung ab dem 29. April 2021 in der Casa.
Die Geschichte Georgiens verknüpft die Autorin Nino Haratischwili in ihrem 2014 erschienenen Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ mit den anrührenden Porträts von acht außergewöhnlichen Frauen. Die Bühnenfassung in der Regie von Elina Finkel hat am 5. März 2021 im Grillo Premiere.
Schauspiel Essen startet Kooperation mit der Folkwang-Universität
In der Casa trifft man ab dem 4. Dezember auch zwei bekannte Figuren des absurden Theaters. Hamm und Clov, die traurigen Clowns aus Samuel Becketts „Endspiel“, kreisen um Fragen zur menschlichen Existenz und dem Sinn des Lebens. Gustav Rueb inszeniert das Stück (Premiere 4. Dezember).
Trauer, Verlust und die Suche nach dem persönlichen Glück bestimmen auch ein weiteres Zwei-Personen-Stück. „Gift. Eine Ehegeschichte“ stammt von der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans. Sophie Östrovsky inszeniert die Vorlage (Premiere 10. Oktober in der Box). Die kleine Bühne ist auch für eine neue Kooperation mit der Folkwang-Universität der Künste reserviert. Regiestudenten sollen dort nun regelmäßig ihre Abschlussarbeiten zeigen. Damian Popp macht am 6. März 2021 den Anfang.
Das große Kinderstück ist diesmal eine Wiederaufnahme: Die kleine Dorothy macht sich ab dem 7. November mit Vogelscheuche, Blechmann und Löwen wieder auf den Weg zum „Zauberer von Oz“. Das Stück nach dem Kinderbuchklassiker von Lyman Frank Baum war schon in der Spielzeit 2018/19 zu sehen.
Schauspieler proben Wiederaufnahmen mit neuer Abstandsregel
Abstand halten ist derzeit nicht nur im Zuschauerraum angesagt. Die vorgeschriebene Distanz muss auch auf der Bühne beachtet werden. Das gilt auch für die geplanten Wiederaufnahmen von Stücken wie „Der Stein“, „Biedermann und die Brandstifter“, der Romanadaption „Kleiner Mann – was nun?“ und dem Liederabend „After Midnight“.
Eine fertige Inszenierung coronatauglich zu machen, sei allerdings noch komplizierter als eine Neuinszenierung unter den derzeitigen Hygienevorgaben einzurichten, berichtet Schauspiel-Intendant Christian Tombeil.
Gleichwohl will man gewohnte und beliebte Formate der vergangenen Jahre auch weiterhin anbieten. Dazu gehört der „Jazz in Essen“ ebenso wie der „Politische Salon“, Poetry Slam und die „Lesart“-Reihe. Die Theaterpädagogik will Angebote ins Netz stellen, aber auch Begegnungsmomente in kleinen Gruppen schaffen. Allein das traditionelle Spielzeit-Eröffnungsfest Ende August musste man schweren Herzens absagen.
In Planung sind dafür beispielsweise Benefizveranstaltungen für Pflegepersonal, verrät der Intendant. Und der „Wunschbaum“ und die beliebte Freikartenaktion „Der geschenkte Platz“ sollen weiterlaufen. Denn Tombeil fürchtet, dass es in Zukunft noch mehr Menschen geben wird, die sich eine Theaterkarte nicht mehr leisten können
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