Essen. . Das Schauspiel-Essen hat sich nach dem Pariser Charlie Hebdo-Attentat nun einem Stück über die Angst vor Terror und Gewalt gewidmet: „Wir sind die Guten“.
Wir sind die Guten!?! Der Satz darf in Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung im Grillo-Theater als Fest- wie als Fragestellung gelesen werden, manchmal kommt er auch wie ein Hilferuf über die Bühne: Was, bitteschön ist an unserer aufgeklärten, multikulturell-aufgeschlossenen, Satire-erprobten, bisweilen freilich zu übersteigerter Hysterie und Paranoia neigenden westlichen Lebensweise auszusetzen, dass wir plötzlich all das in Gefahr sehen müssen: unsere Wertvorstellungen, Meinungsfreiheit, Demokratie? Unter dem Eindruck des Pariser Charlie Hebdo-Attentats hat das Schauspiel Essen den Spielplan umgeworfen und Mark Ravenhills Kurzdramenzyklus aufgenommen.
Anschlag auf die Lego-Moschee
Schmidt-Rahmer macht daraus eine starke, politisch-provokante, manchmal zynisch-zugespitzte, bisweilen aber auch thematisch überfrachtete Gratwanderung an die Grenzen von Toleranz, Liberalismus und multikultureller Verständigung. Ravenhills 2007 entstandene Minidramen-Sammlung dient dabei nur noch als Grundlage, die der Regisseur mit Material aus You-Tube-Videos von Interviews mit Pegida-Anhängern bis zu Reden radikaler Salafisten-Prediger collagiert und dann zwecks Brechung vom überzeugenden Ensemble nachspielen lässt. Daniel Christensen lässt den islamfeindlichen Überwachungs-Fanatiker, der sogar die Lego-Moschee seines Sohnes eintritt, da plötzlich unheimlich intensiv in eine säbelschwingende Terroristen-Karikatur kippen. Irgendwann steigert sich diese grelle Szene in einen grotesken Aufmarsch der Deutschlandfahnen-schwenkenden Wutbürger und Integrations-Extremisten in schwarz-rot-goldener Burka.
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Darf die Kunst das alles so hemmungslos überzeichnen? Sie muss, sagt Schmidt-Rahmer. Auch wenn der IS-Kämpfer schon vor der Theater-Tür steht, was in den Video-Einspielungen allerdings eher kurios als bedrohlich daherkommt. Auf der großen, fast leeren Grillo-Bühne hockt der vermeintliche weltoffene, aber doch dauernd angstbesetzte Bürger derweil in einer kleinen, holzgetäfelten Mischung aus Garten- und Gotteshaus; ein Kirchlein der Angst vor dem Andersartigen (Bühne: Adrian Ganea), aus der das Wispern der Besorgten und Wohlstandsbedrohten hervordringt.
Schmidt-Rahmer teilt den Abend in zwei Teile: ins Hier und Dort. Hier die Wohlstandsmama mit ihrer Koffein-Intoleranz (souverän im leisen Ton: Stephanie Schönfeld), dort die hungernde Frau Hashemi (radebrechend stark: Silvia Weiskopf), die noch während des Hilfseinsatzes stirbt, bevor die Formalitäten erledigt sind. Am Ende kippen die Leichensäcke reihenweise auf die Bühne. Die Kriege im Namen der Freiheit und der Demokratie, sie reißen nicht ab, die Fehler und Fragen auch nicht. Das Publikum darf mitabstimmen: Sollen wir rein in Syrien? fragt der Soldat (facettenreich: Thomas Büchel), bevor er sich in den schwulen Araber verwandelt, dessen westliche Anverwandlung nun von einem grellen Burka-Rap begleitet wird (Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch). Und so werden die Kreativen mit ihren wohlmeinenden Betroffenheits-Floskeln am Ende ebenso vorgeführt wie die missionarischen Demokratie-Eiferer und hochneurotischen Sicherheitsfanatiker. Richtig gut kommt dabei keiner weg. Political Correctness, sagt Schmidt-Rahmer, ist eben das Gegenteil von Kunst.