Essen. Elina Finkel inszeniert „Der Stein“. Stück erzählt von einem Haus, den einst jüdischen Besitzern, vom Verdrängen und Vergessen in der Gegenwart.

Wenn man Theater als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen versteht, dann hat das Schauspiel Essen in dieser Spielzeit fast prophetisches Gespür gezeigt. Mit dem „Reichsbürger“ und Moritz Peters’ politischer Sicht auf Dürrenmatts „Biedermann und die Brandstifter“ hat das Theater zwei neue Stücke im Repertoire, die die Gefahren eines erstarkenden Rechtspopulismus zum Thema machen. Dass wenige Tage nach dem Attentat auf die Synagoge von Halle mit „Der Stein“ nun ein Stück herauskommt, das wiederum wie ein Echo auf aktuelle politische Geschehnisse klingt, hat Regisseurin Elina Finkel in vielfacher Hinsicht berührt.

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Das Stück von Marius von Mayenburg zeichnet deutsche Geschichte von 1934 bis 1993 anhand eines Hauses in Dresden nach. Mit den politischen Systemen ändern sich in den folgenden Jahrzehnten auch die Besitzverhältnisse. Im Mittelpunkt der Handlung stehen dabei Großmutter, Mutter und Tochter jener Familie, die das Haus in den 30ern unter fragwürdigen Umständen von den jüdischen Besitzern erwarb. Den Stein, den Nationalsozialisten 1935 durch die Scheiben werfen, in der irrigen Annahme, es lebten noch Juden im Haus, wird für die deutschen Besitzer zum Symbol eines Widerstands, der am Ende nicht mehr als Behauptung bleibt.

Szene aus „Der Stein“ mit Josephine Raschke (links hinten), Silvia Weiskopf und Janina Sachau.   
Szene aus „Der Stein“ mit Josephine Raschke (links hinten), Silvia Weiskopf und Janina Sachau.   © Matthias Jung

Drei Generationen und mehr als 60 Jahre Geschichte von der Zeit des Nationalsozialismus über Gründung und Zerfall der DDR bis zur deutschen Wiedervereinigung behandelt das Stück von Marius von Mayenburg. Als es 2008 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde, ging es vor allem um die Fragen von Schuld und Verdrängung. Nach dem Attentat von Halle ist „Der Stein“ plötzlich mehr als nur eine Mahnung, nicht zu vergessen. Schockiert und hilflos sei sie nach den ersten Nachrichten gewesen, berichtet Elina Finkel, die in Odessa geboren wurde und zeitweise in Israel gelebt hat, die sich aber erst in Deutschland bewusst mit ihrem Judentum auseinander gesetzt hat. Und die sich in diesen Tagen zum ersten Mal fragt, ob man deswegen nun Angst haben muss.

Elina Finkel will den wieder neu erwachsenen Ängsten mit den Mitteln der Kunst begegnen und das Stück so zeigen, „dass die Menschen mitfühlen können. Die Rechten werden wir nicht erreichen. Aber was Kunst und Theater können, ist die Zivilgesellschaft zu stärken“, sagt Finkel. Deshalb will sie mit dem Stück, das eigentlich schon 1993 endet, auch einen „Link in die Gegenwart schaffen. Die Frage sei schließlich: „Was hinterlassen wir der nächsten Generation, die in eine Gesellschaft hineingeboren wird, in der wieder Synagogen bedroht sind“. So hat sie eine weitere Figur, einen kleinen Jungen dazuerfunden. „Damit landet die Geschichte im Jetzt“.

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Viele Steine hat Ausstatter Norbert Bellen dafür auf der Bühne gestapelt. Vor dieser riesigen Quader-Mauer setzt sich sich die Geschichte wie ein Kaleidoskop zusammen, in der das Ensemble binnen Sekunden die Jahrzehnte und Rollen wechselt. Kostüme, Licht und die Einblendung der Jahreszahlen helfen, die Zeitsprünge zu erfassen. „Das Stück ist dazu da, anhand von kleinen persönlichen Bezügen etwas über die großen Zusammenhänge zu begreifen. Wenn das gelingt, ist die Geschichte auch nicht papieren“, hofft Elia Finke. Und will es nicht nur bei der Mahnung belassen, sondern besser noch nach einer Lösung suchen, wie man Geschichte aufhalten kann: „Indem man gegen das Verdrängen angeht.“

Premiere am 26. Oktober, 19.30 Uhr. Weitere Termine: 1., 9., 10. und 21. November sowie am 27. Dezember. Tickets unter 0201-8122-200 und www.theater-essen.de