Essen. . Schauspiel-Chef Christian Tombeil spricht über die integrative Kraft von Theater. Bildungsförderung soll auch Thema künftiger Spielzeiten sein
Das vergangene Jahr war für Schauspielchef Christian Tombeil ein bewegtes Jahr. Das Grillo-Theater hat seinen 125. Geburtstag groß gefeiert. Sein Vertrag als Intendant wurde bis 2023 verlängert. Und mit einer Auslastung von über 82 Prozent konnte sich das Schauspiel Essen trotz anspruchsvoller Produktionen nicht über mangelnden Publikumszuspruch beklagen. Was Theaterchef Christian Tombeil mit Blick in die Zukunft umtreibt, verriet er im Gespräch mit Martina Schürmann.
Herr Tombeil, das Jubiläums-Jahr ist vorbei. Es gab ein großes Straßenfest, die Bürger durften über die Auftaktpremiere abstimmen. Haben die Essener ihr Theater noch einmal neu ins Herz geschlossen?
Tombeil: Das Jubiläumsjahr war ein absoluter Erfolg, auch in Zahlen. Bei dem Publikums-Wahlstück „Besuch der alten Dame“ hatten wir eine Auslastung von fast 100 Prozent. Und Volker Löschs „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“ mit Jugendlichen aus dem Essener Süden und Norden lag bei 95 Prozent. All das zeigt, dass die Leute ihr Theater lieben. Und dass sie es auch nutzen und sich damit auseinandersetzen. Es hat das Bewusstsein von Theater in der Stadt als integratives Unternehmen für eine Stadtgesellschaft noch mal weitergebracht.
Ist ein Stück wie „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“ idealtypisch für ein Stadttheater, um die Debatte über Verwerfungen innerhalb der Stadtgesellschaft auf die Bühne zu bringen?
Für Essen definitiv. In München wäre das nicht aufgegangen. Bei den Vorstellungen hatten wir unglaublich viele Besucher aus dem Norden. Viele davon haben gesagt: „Wir haben das Gefühl, dass ihr uns zum ersten Mal richtig ernst nehmt.“ Und wenn es uns gelungen ist, dass die Leute aus dem Norden in den Süden gucken und umgekehrt, dann ist schon mal eine Brücke gebaut.
Die Theaterpädagogik wird zum immer wichtigeren Türöffner für Besuchergruppen, die man sonst nicht erreicht.
In der Tat. Es gibt auch andere Beispiele, wie „Schools Connected“ mit dem Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF), an dem jeweils zwei Essener Schulen ein Jahr lang eine Partnerschaft bilden und ihre unterschiedlichen Lebenswelten kennenlernen. Oder das Projekt „Grundschulen fördern Schlüsselkompetenzen“ mit vielen Schulen aus dem Essener Norden. Viele Lehrer berichten uns hinterher, dass das Konzentrationsniveau in der Klasse deutlich gestiegen ist.
Trotzdem scheitert der Theaterbesuch für viele schon aus Kostengründen.
Die Nachfrage nach Sozialkarten steigt immer weiter, trotz Angeboten wie der „Geschenkte Platz“, trotz des Sozialkartenfonds mit einigen tausend Karten, das ist schon erschreckend. Auch in den Schulen müssen wir für mehr Teilhabe im Bildungs- und Kulturbereich sorgen. Bildung ist die Basis für eine funktionierende Stadtgesellschaft, letztendlich für die Demokratie. Und zur Bildung gehört Kultur in allen Bereichen, das fängt für mich beim Sport an und hört im Theater auf. Wenn nur noch der Süden unsere Angebote nutzt, ist das nicht zielführend.
Das neue Spielzeit-Motto „Alles umsonst“ erscheint da doppeldeutig. Wie „bezahlt“ macht sich das Theater in einer Stadt?
Wir sind einer der größten Nutznießer der öffentlichen Förderung in dieser Stadt und haben damit auch einen ganz klaren Bildungsauftrag. Wir müssen aber auch ganz zwingend einmal scheitern dürfen oder den Nerv der Zeit nicht treffen müssen. Was wir unbedingt wollen ist, die Leute dazu zu animieren, sich mit ihrer Stadt zu beschäftigen. Das Tolle ist ja, dass man in Essen die Themen bislang ohne große Mühe finden kann. Ich bin guter Dinge, dass man da auch in den nächsten Jahren noch einiges entdeckt. Integration und Bildungsförderung wird eine Rolle spielen in der Spielzeit 2019/20. Ich glaube, da liegen wir richtig, weil die Debatte momentan richtig hochkocht.
Das Schauspielhaus Bochum stellt sich mit Johan Simons gerade neu auf, das Feuilleton wird sich auf die Premieren der Nachbarstadt stürzen. Bitter?
Unsere Zuschauer sind zu 85 Prozent Leute aus der direkten Umgebung. Und für uns zählt, dass diese 85 Prozent auch weiterhin kommen. Unsere Aufgabe ist es, das Haus so aufzustellen, dass man auch über 2023 hinaus noch Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das muss das Ziel sein, dass es danach weitergeht!
So startet das Schauspiel in die neue Spielzeit
Das Schauspiel Essen eröffnet die neue Spielzeit am 5. Oktober mit der deutschen Erstaufführung von „Die Hauptstadt“. Der Roman von Robert Menasse wurde 2017 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
Das große Familienstück „Der Zauberer von Oz“ hat am 10. November im Grillo-Theater Premiere. Für die Bühnenversion des Kinderbuch-Klassikers sind im Vorverkauf bereits 13 000 Karten weggegangen