Duisburg-Obermarxloh. Gewalt, kaum Konzentration, Isolation: Die Pandemie wirkt bei Kindern nach. Gerade im Duisburger Norden. Wie Pädagogen helfen, was sie fordern.

Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und geschlossenen Schulen wirkt bei den Kindern immer noch nach. Insbesondere im Duisburger Norden. Stark aufgefallen ist das zuletzt im städtischen Jugendzentrum Zitrone in Obermarxloh. Gerade in den Sommerferien suchten es viele Kinder auf. Fachleute zeigen sich besorgt über erhebliche Defizite, zeigen aber auch Lösungsansätze auf und stellen Forderungen auf.

„Bei den Kindern im Duisburger Norden gibt es viele Problemlagen. Die Pandemie hat da wie ein Brennglas gewirkt und wirkt extrem nach“, ordnet die Pädagogin Susanne Lohaus ein. Im Einzugsgebiet des Jugendzentrums, zu dem unter anderem das Dichterviertel und Teile von Neumühl gehören, „konnten Familien ihren Kindern oft nicht bei den Hausaufgaben helfen“, als die Schulen geschlossen waren. Sei es, weil die Deutschkenntnisse nicht ausreichen oder weil durch den Berufsalltag die Zeit fehlt. Auch die Armut sei ein großer Faktor.

„Bei den Kindern im Duisburger Norden gibt es viele Problemlagen. Die Pandemie hat da wie ein Brennglas gewirkt und wirkt extrem nach“: Susanne Lohaus vom Jugendzentrum Zitrone in Obermarxloh kämpft gegen pandemiebedingte Defizite bei Kindern.
„Bei den Kindern im Duisburger Norden gibt es viele Problemlagen. Die Pandemie hat da wie ein Brennglas gewirkt und wirkt extrem nach“: Susanne Lohaus vom Jugendzentrum Zitrone in Obermarxloh kämpft gegen pandemiebedingte Defizite bei Kindern. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Kinder im Duisburger Norden haben durch die Corona-Krise große Probleme

Die Stadt Duisburg hat das abfedern wollen, indem die Jugendzentren samt ihrer Hausaufgabenhilfen in der Corona-Krise früh wieder öffneten. „Natürlich war die Pandemie auch für Kinder eine angstvolle, total bedrohliche Zeit“, sagt Lohaus. Bewältigungsstrategien, wie Erwachsene sie haben, fehlen Heranwachsenden noch. Die Folgen sind aktuell überdeutlich zu bemerken, wie Einrichtungsleiter Holger Venghaus schildert: „Die Kinder sind in sich zurückgezogen und haben Konzentrationsmängel.“ Hinzu kommen demnach starke Probleme beim Gruppenverhalten.

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So habe beispielsweise eine beliebte Ferienaktion, ein Ausflug, bei dem spielerisch Abenteuer zu bestehen und Rätsel zu lösen sind, bei einigen nicht nur Kooperationsverweigerungen ausgelöst. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich zudem gewaltbereit. „Sie haben sich angeschrien, beleidigt und geschlagen“, berichten die beiden. Dabei seien gute Pädagogen vom Verein Waldritter dabei und der Betreuungsschlüssel ebenfalls gut gewesen.

Jugendzentren sind um „emotionale Stabilisierung“ der Betroffenen bemüht

„Wir haben über Jahre begleitet, wie sich die Kinder entwickelt haben und welche Stärken zum Vorschein kamen“, ordnet Holger Venghaus die Erfolge der offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Zitrone ein. Aber Corona habe viel zunichte gemacht. Teilweise seien neunjährige Schüler wieder in Verhaltensmuster von Kindergartenkindern zurückgefallen oder hätten sich komplett zurückgezogen. „In der schulischen, emotionalen und geistigen Entwicklung bemerken wir nach zweieinhalb Jahren Corona große Lücken“, sagt Venghaus. Sein Team glaubt, dass sich bei einzelnen auch Anzeichen depressiver Verstimmung zeigen.

Gruppenveranstaltungen wie gemeinsames Kochen, wie hier 2017, gehören zum Angebot des Jugendzentrums – vor wie nach der Corona-Pandemie. Zuletzt fielen bei Kindern jedoch große Probleme beim Gruppenverhalten auf.
Gruppenveranstaltungen wie gemeinsames Kochen, wie hier 2017, gehören zum Angebot des Jugendzentrums – vor wie nach der Corona-Pandemie. Zuletzt fielen bei Kindern jedoch große Probleme beim Gruppenverhalten auf. © FUNKE Foto Services | DANIEL ELKE

In der Zitrone stellen sie sich darauf ein. „Es geht uns um die emotionale Stabilisierung der Kinder“, sagt Susanne Lohaus, um Anerkennung, was sie in der Corona-Krise durchlitten haben. Ihr zufolge braucht die Jugend aktuell „noch mehr Zuwendung, Ansprache, Zeit“ und bei oft fehlendem Selbstvertrauen „auch Bestärkung“.

All das will das Jugendzentrum auch abseits der Ferienbetreuung durch offene Angebote leisten. Dabei ist Holger Venghaus wichtig, dass sich die Zielgruppe ab sechs Jahren mit Bildung wohlfühlt. Natürlich setzt er weiterhin auf Hausaufgabenbetreuung, plant aber zusätzlich eine kleine Bibliothek samt Tablet-Computer im Jugendzentrum an der Kalthoffstraße 73.

Großer Andrang beim Jugendzentrum Zitrone in Duisburg-Obermarxloh

Hier sollen die Besucher neugierig und niederschwellig Neues entdecken können – ob sie eine Totholzhecke bauen oder die Hühner kennenlernen. Zwar falle es jetzt einigen schwerer als vor der Corona-Krise, sich mit Freunden zu verabreden, sie würden lieber auf der Couch an der Spielkonsole zocken als draußen zu spielen.

„Die Rückkehr zu uns ist nicht einfach für unsichere Kinder“, weiß Venghaus, „aber wir haben niemanden verloren.“ Im Gegenteil. Die kleine Einrichtung sei derzeit massiv nachgefragt und in den Ferien geradezu überrannt worden. Auch nach der kurzen Sommerpause, die nun beendet ist, rechnet das Team mit täglich gut 40 Besuchern.

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Um die Defizite bei Kindern und Jugendlichen auszugleichen, sehen die beiden Pädagogen ihre und andere Einrichtungen als wichtigen Baustein. Denn die dort geleistete Beziehungsarbeit tue den Besuchern gut. „Wir müssen tatsächlich immer mehr leisten, weil sich die Probleme verschärft haben“, sagt Susanne Lohaus. Sie betont aber auch: „Wir helfen natürlich bei der Lösung.“

Mehr Personal und mehr Projekte benötigt

Dieser „Riesenbedarf“ an offener Kinder- und Jugendarbeit werde auch im Duisburger Jugendamt gesehen. „Dort herrscht ein totales Bewusstsein dafür, dass mehr getan werden muss“, so Lohaus. Es werde noch einige Jahre dauern, bis aufgeholt ist, was in der Corona-Zeit verloren ging.

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Deshalb brauche es jetzt in Jugendeinrichtungen „zusätzliche Projekte und mehr Personal“. Erste Ansätze in Obermarxloh gibt es bereits. Darunter Projekte zur Gesundheitsförderung oder Entspannungskurse für Jungen und Mädchen gleichermaßen. Zudem würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich mehr Zweiergespräche führen als vor der Pandemie.

Die beiden Pädagogen sehen aber beim Kampf gegen pandemiebedingte Problem nicht nur ihre Arbeitgeberin, die Stadt, in der Pflicht, sondern vor allem die Bundesregierung. Zumal Geld ein entscheidender Faktor ist, um Projekte zu starten und Personal zu gewinnen. „Es wäre fatal“, sagt Susanne Lohaus, „wenn Bundesprogramme wie ,Aufholen nach Corona’ jetzt gestrichen würden“.

>> VIER STÄDTISCHE JUGENDZENTREN IM NORDEN

● Bei allem Verständnis für die Lage der Kinder und Jugendlichen gelten im städtischen Jugendzentrum Zitrone weiterhin dieselben Verhaltensregeln wie vor der Pandemie. Wenn Jungen oder Mädchen dagegen verstoßen, weil sie etwa aggressiv geworden sind, müssen sie nach Ermahnungen durchaus die Einrichtung verlassen. „Am nächsten Tag kommen sie wieder“, so Leiter Holger Venghaus, „und dann helfen wir ihnen.“

● Das Jugendzentrum Zitrone ist montags bis freitags ab 14 Uhr geöffnet.

● Weitere städtische Jugendeinrichtungen im Norden: Regionalzentrum Nord (Marienstraße 16a, Marxloh), JZ Alte Schmiede (Schachtstraße 31, Wehofen), JZ Driesenbusch (Beckersloh 15, Aldenrade), Spielhaus Rügenstraße (Lehrerstraße 36, Neumühl).