Debatte zur Loveparade-Katastrophe im Landtag brachte wenig Aufklärung
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Duisburg. . Die aktuelle Stunde zum Thema Loveparade-Katastrophe, die die Linke auf die Tagesordnung des Landtags gehoben hatte, dauerte 90 Minuten. Aufgeklärt war am Ende wenig, die meisten Vorwürfe entkräftet. Dennoch bleiben zentrale Fragen unbeantwortet.
„Wer in die Küche geht, muss Hitze vertragen. Ich bin ein begeisterter Hobbykoch, ich vertrage jede Menge Hitze“, sagte der Duisburger SPD-Chef Ralf Jäger am Dienstag auf dem Parteitag in der Rheinhausen-Halle. Gestern, zwei Tage später, war es wieder soweit. Jäger musste seine Hitzebeständigkeit im Landtag unter Beweis stellen. Die aktuelle Stunde zum Thema „Loveparade-Katastrophe endlich aufklären“, das die Linke auf die Tagesordnung gehoben hatte, dauerte hitzige 90 Minuten. Die FDP warf dem Minister „eiskalte“ Täuschung vor, die Linke sprach von entscheidenden Fehlern bei der Polizei. Aufgeklärt war am Ende wenig, die meisten Vorwürfe entkräftet.
Was Jägers Hitzeschild stärkte, war ein Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Duisburg. Darin geht es um die Kernpunkte aus dem Einleitungsvermerk vom 17. Januar in der Ermittlungsakte, die seitdem um 6500 Seiten dicker geworden ist. Weder Innenminister Jäger noch Justizminister Kutschaty hätten die Akte vorliegen. Gegen eine Debatte über die Kernpunkte aus dem Vermerk, soweit sie die Polizei betreffen, hätten die Staatsanwälte keine Bedenken.
„Es gab keine strafbare Pflichtverletzung durch Polizeibeamte im Genehmigungsverfahren“, zitierte Jäger den Bericht. Der Polizei habe die am 23. Juli 2010 erteilte Genehmigung des Bauordnungsamtes erst am Tag der Loveparade vorgelegen, dazu ohne Endfassung des Sicherheitskonzeptes. „Das gesetzlich geforderte Einvernehmen lag mithin nicht vor“, sagte Jäger.
Am Veranstaltungstag selbst sieht die Staatsanwaltschaft bei der Polizei bekanntlich nur den Einsatzleiter strafrechtlich unter Verdacht. Er ist einer der 16 Beschuldigten, darunter elf Mitarbeiter der Stadt und vier von Lopavent. Eine Ausweitung der Ermittlungen auf weitere Polizeibeamte sei derzeit nicht beabsichtigt, sagte Jäger.
Was die Rolle der Polizei bei der Loveparade jetzt erneut in den Fokus gehoben hat, war die Anfang der Woche erschienene Titelstory des Nachrichtenmagazins „Spiegel“. Innenminister Jäger ging gestern im Landtag im Detail auf die Vorwürfe aufgrund eines „angeblichen Berichts der Staatsanwaltschaft Duisburg“ ein, dessen Umfang der Spiegel auf 400 Seiten beziffert. Jägers „Klarstellung“ mit Seitenhieb: „Es handelt sich dabei nicht etwa um einen Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Duisburg an das Justizministerium. Vielmehr dürfte der tatsächlich 452 Seiten umfassende Einleitungsvermerk vom 17. Januar 2011 gemeint sein“.
Zur Debatte stand vor allem der Schichtwechsel der Hundertschaften. „Es gab weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht Anhaltspunkte für eine dienstpflicht- bzw. sorgfaltswidrige Ablösung der Polizeikräfte“, zitiert Jäger aus dem Bericht der Staatsanwaltschaft. Und fügte hinzu, dass die Schichtwechsel grundsätzlich vor Ort erfolgten und zur Einweisung der ablösenden Kräfte in die aktuelle Lage Überlappungszeiten vorgesehen waren.
Zu wenig „Pusher“
Das Innenministerium hatte kurz vor der Loveparade erlassen, dass die Schichtdauer der eingesetzten Kräfte zwölf Stunden inklusive An- und Abreise nicht übersteigen darf. Laut „Spiegel“ soll das polizeiintern auf Kritik gestoßen sein, weil der Wechsel damit in die kritische Zeit fiel. Jäger zur angeordneten Zwölf-Stunden-Schicht, die sein Amtsvorgänger erlassen hatte: „Hätte mein Haus das nicht getan, so müssten wir uns heute den Vorwurf gefallen lassen, dass wir der hohen Belastung durch überlange Dienstzeiten der bei der Loveparade 2008 in Dortmund eingesetzten Kräfte nicht Rechnung getragen hätten“. Laut Staatsanwaltschaft hätten auch die errichteten Polizeiketten im Tunnel- und Rampenbereich kein Anfangsverdacht für eine Sorgfaltspflichtverletzungen ergeben.
Die ausreichende Zahl der „Pusher“ am Rampenkopf, die einen Stau des Besucherstroms auf das Gelände verhindern sollten, sei Bestandteil des Sicherheitskonzeptes von Lopavent gewesen. Dass zu wenige Pusher im Einsatz waren, dafür könne man nicht einzelne Polizeibeamten belangen: Sie „durften“ davon ausgehen, „dass der Veranstalter den Einsatz der Pusher ordnungsgemäß koordiniert und überwacht“, heißt es laut Feststellungen der Staatsanwaltschaft.
Handynetz nicht völlig eingebrochen
Auch die Lautsprecheranlage, die die Besucher hätten rechtzeitig warnen oder zur Umkehr auffordern können, sei Sache von Lopavent gewesen. „Die Errichtung einer solchen Anlage oblag dem Veranstalter, die Überwachung der Errichtung der Anlage oblag der zuständigen Genehmigungsbehörde“. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wäre auch ein Lautsprecherwagen der Polizei nicht geeignet gewesen, die fehlende Lautsprecheranlage zu kompensieren.
Loveparade-Konzert
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Die Kommunikation haperte aber auch an anderer Stelle. Die Funk- und Handyprobleme waren bekannt, ebenso die Weitergabe von Informationen aus dem Container, in dem der Crowd-Manager und der Verbindungsbeamte saßen. Zum „entscheidenden Zeitpunkt“ aber, so die Staatsanwaltschaft, hätte der Beamte seinen Abschnittsführer per Handy über die Leitstelle erreicht und über den Wunsch des Crowd-Managers, diesen persönlich zu sprechen, informiert. Der Abschnittsführer habe sich dann „unverzüglich“ in den Container begeben.
Weder die Funk- noch die Handykommunikation sei an diesem Tag vollständig ausgefallen, so der Bericht. Auch wenn die Vorrangschaltung der Polizeihandy „weder beantragt noch geschaltet war“ und Kommunikationsprobleme hätten vermieden werden können, erscheine jedoch die „Annahme der Kausalität bzw. des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs im Hinblick auf den Tod von 21 Besuchern der Loveparade und die zahlreichen Verletzten kaum begründbar“.
Der unbekannte Polizist
Bleibt die strittige Frage, warum die Absperrung auf der Westseite vor dem Tunnel zusammenbrach, aufgrund der sich der Tunnel flutete, der Druck auf die Rampe wuchs und letztlich in der Katastrophe endete. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Crowd-Manager in Anwesenheit von zwei Polizeibeamten um 15.50 Uhr die Schließung der „Vereinzelungsanlage West“ angeordnet. Diese sei um 15.55 Uhr umgesetzt worden. Jedoch sei sie um 16.02 Uhr durch die Ordner kurzfristig wieder aufgehoben worden. Nach Angaben des Lopavent-Verantwortlichen für die Absperrung soll dies auf Anordnung eines bislang nicht ermittelten Polizeibeamten geschehen sein, der die Drucksituation auf der Düsseldorfer Straße verringern wollte. Der Beamte konnte von dem Zeugen aber nur „sehr vage’“ beschrieben werden, er konnte „trotz größter Anstrengungen“ bislang nicht ermittelt werden. „Durch Vernehmungen der vor Ort eingesetzten Beamten und Ordner konnten die Angaben zu dem vermeintlichen Polizeibeamten ebenfalls in keiner Weise belegt werden“, so die Staatsanwaltschaft. Es ist eine der zentralen Fragen, die unbeantwortet bleibt.
Jäger sieht die wesentlichen Vorwürfe gegen die Polizei damit aber entkräftet. „Niemand hat bisher die Verantwortung übernommen, und ich kann die Fassungslosigkeit darüber nachvollziehen“, sagte Jäger. Und im Hinblick auf die juristische Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft: „Am Ende muss es auch eine Antwort darauf geben, wer Verantwortung zu übernehmen hat“.
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