Duisburg. . Neue Vorwürfe im Zusammenhang mit der Loveparade-Katastrophe. Der „Spiegel“ berichtet, der Schichtwechsel der Polizei habe ausgerechnet zum kritischsten Zeitpunkt der Veranstaltung stattgefunden. Die Gewerkschaft der Polizei bestreitet das.

Der Jahrestag der Katastrophe nähert sich, und noch gibt es kein wirklich klares Bild, was sich in den Wochen vor der Loveparade abgespielt hat. Noch ist es kaum mehr als eine Ahnung, wer in der Duisburger Stadtverwaltung wem wie Druck machte, wie jene abgewiegelt wurden, die von außen Bedenken gegen die Massenveranstaltung äußerten. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Innenminister Ralf Jäger (SPD) wegen einer Spenden-Affäre in der Kritik ist, tauchen neue Vorwürfe gegen die ihm unterstellte Polizei auf.

Der Erlass freilich, um den es geht, stammt noch aus der Zeit seines Amtsvorgängers Ingo Wolf (FDP). Am 14. Juli, also zehn Tage vor der Loveparade, hatte Minister Wolf die Höchstdienstzeit der Polizisten auf zwölf Stunden festgelegt, inklusive An- und Abfahrt. In Folge dessen, so der Bericht des heute erscheinenden Spiegel, habe der Schichtwechsel entgegen Bedenken einzelner Polizisten am Tag der Loveparade um 16 Uhr stattgefunden, also in der „kritischsten Phase“ der Veranstaltung. Während des Schichtwechsels sei die Lage im Zugangsbereich laut Spiegel eskaliert.

Zudem habe in dem Bereich zwischen Ost- und Westtunnel und der Rampe zum Veranstaltungsgelände lediglich eine Hundertschaft Polizisten zur Verfügung gestanden, wo zwei oder mehr nötig gewesen seien. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dementierte gestern eilig, der Schichtwechsel sei ursächlich für die Katastrophe verantwortlich. Der Austausch bei mehr als zwölfstündigen Veranstaltungen sei zwingend vorgeschrieben, so GdP-Chef Frank Richter, er habe bei der Loveparade jedoch nicht um 16 Uhr, sondern früher, zwischen 14 und 15.30 Uhr stattgefunden.

„Ich habe heute deshalb mit Kollegen aus der Kölner Hundertschaft telefoniert. Sie sagten, dass sie zum Zeitpunkt der Katastrophe schon eineinhalb bis zwei Stunden auf der Rampe im Einsatz waren“, sagt GdP-Sprecher Stephan Hegger. Tatsächlich gibt es auch ein Foto des Duisburger Journalisten Christoph Reichwein, das um 15.29 Uhr die abfahrenden Einsatzwagen der Bielefelder Hundertschaft zeigt (s. oben). Die Massenpanik setzte jedoch erst nach 17 Uhr ein. Auch die Fahrzeuge der ihren Dienst beginnenden Kölner Polizisten sind auf dem Foto zu sehen.

Nur wenige Widerständige

Es gab nur wenige Widerständige im Vorfeld der Loveparade. Dazu gehörte der Dortmunder Brandschutzexperte Klaus Schäfer, der das Nadelöhr Tunnel und Rampe anprangerte. Dazu gehörte auch, zumindest bis Mitte Juni, die Leiterin des Bauordnungsamtes Anja G., die unter anderem die nicht ausreichenden Fluchtwege kritisiert hatte. „Am Ende gab es jedoch niemanden, der es wagte, vorzupreschen. Es gab niemanden, der rechtzeitig „Stopp! Halt!“ gerufen hätte“, sagt Jürgen Hagemann, Sprecher der Opferorganisation Massenpanik - Selbsthilfe.

Auch die Tatsache, dass die vom Veranstalter Lopavent versprochene Lautsprecheranlage nicht nutzbar war, mit der die Polizei im Notfall Durchsagen machen wollte, „deckt sich mit unseren Erkenntnissen“, so Hagemann. „Ich bin sicher, dass man mit diesen Durchsagen das Schlimmste hätte verhindern können!“ Hinzu kamen, so der Bericht, nicht genügend für eine Vorrangschaltung bei der Bundesnetzagentur angemeldete Polizeihandys und ein angeblich nicht mit einem Funkgerät ausgestatteter Verbindungspolizist in einem Container an der Rampe.

Nur ein Polizist unter den Beschuldigten

16 Beschuldigte nannte die Duisburger Staatsanwaltschaft im Januar. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Elf von ihnen sind Mitarbeiter der Stadtverwaltung, wie etwa Rechtsdezernent Rabe und Baudezernent Dressler sowie die Leiterin des Bauordnungsamtes Anja G. Vier sind Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent, darunter auch der Crowd-Manager, Carsten W.. Auf Seiten der Polizei gibt es nur einen Beschuldigten, den Leitenden Polizeidirektor Kuno S..

Kuno S. habe im Einsatzzentrum der Polizei über die Außenkameras alles im Blick gehabt. Die drängenden Menschenmassen am Anfang der Rampe und die dort fehlenden sogenannten Pusher, jene Ordner von Lopavent also, die die Besucher zum Weitergehen bewegen sollten. Die Staatsanwaltschaft soll dem Polizeidirektor vorwerfen, viel zu spät gehandelt zu haben, viel zu spät die Schleusen gesperrt, viel zu spät Verstärkung angeordnet zu haben.

Dass nur ein Polizist im Visier der Staatsanwaltschaft ist, wird indes von der Polizei-Gewerkschaft als Beleg gesehen, „das wir einen guten Job gemacht haben“.