Die Künstler von „Tiger & Turtle“ sind fassungslos über den Hallenbau in Duisburg. Die Kulturverwaltung äußert leises Bedauern.

Duisburg.

  • Die „Tiger & Turtle“-Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth sind über den Bau einer Halle verärgert. „Eine totale Enttäuschung“, sagen sie.
  • In direkter Nachbarschaft des Kunstwerks „Tiger & Turtle“ baut der Duisburger Hafen Duisport eine neue Logistikhalle. Diese wird 15.000 Quadratmeter groß. Da tritt die weltweit bekannte Skulptur „Tiger & Turtle“ buchstäblich in den Hintergrund.
  • Nun gibt es Kritik an dem Bebauungsplan der Stadt Duisburg. Hätte die Halle in der direkten Nachbarschaft zum Kunstwerk „Tiger & Turtle“ verhindert werden können?

Für die Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth ist der Bau der Monsterhalle ein Ärgernis und „eine totale Enttäuschung“ über die Stadt, in der sie während der Entwicklung von Tiger & Turtle gelebt und gearbeitet haben und der sie sich emotional verbunden fühlen. Im Gespräch mit Ulrich Genth wird Fassungslosigkeit spürbar – auch darüber, dass die Künstler vor vollendete Tatsachen gestellt wurden.

„Tiger & Turtle“-Künstler sind „extrem überrascht“ von der Entscheidung

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Erfahren haben die beiden vom Hallenbau nicht etwa durch Dr. Söke Dinkla, damals Leiterin des Kulturhauptstadtbüros und seit 2013 Direktorin des Lehmbruck-Museums. Sie hatte die beiden Lehmbruck-Stipendiaten 2009 mit drei weiteren Künstlern zum Wettbewerb für eine Großskulptur auf der Heinrich-Hildebrand-Höhe eingeladen, den Wettbewerb betreut und die Entstehung von Tiger & Turtle bis zur Eröffnung 2011 intensiv begleitet.

Erfahren haben Mutter und Genth von den Bauarbeiten im Februar 2020 vom Skulpturen-Nachbar und -Fan Frank-Michael Rich. Das sei „extrem überraschend“ gewesen, und so habe er versucht, mit Dinkla Kontakt aufzunehmen, was aber gescheitert sei. „Wir haben alles gegeben und ein tolles Ding dahin gestellt, haben uns total gefreut, und dann entscheidet jemand so...“, sagt Genth. Das Bild der Achterbahn symbolisiert Geschwindigkeit und Stillstand, das Auf und Ab, spiegelt den Wandel der Stadt; eine Achterbahn landet allerdings wieder am selben Punkt, an dem sie gestartet ist.

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An der Entstehung haben Mutter und Genth direkt nebenan im Hüttenwerk Krupp Mannesmann teilgenommen, die neben Vallourec & Mannesmann Tubes, der Sparkasse und den Stadtwerken zu den Förderern gehörten. Hauptfinanzier war das Land NRW. „Besonders ärgerlich ist, dass hier wirtschaftliche Interessen vor Lebensqualität gehen“, sagt Ulrich Genth, der darin ein „völlig falsches“ Zeichen sieht. Eine Geste, die mehr als unsensibel sei und die Stadt schädige. „Kunst ist kein Wirtschaftsfaktor, aber wichtig für die Wahrnehmung von Duisburg.“

Kulturverwaltung Duisburg: Leises Bedauern und zurückhaltende Kritik

Astrid Neese, seit April auch Kulturdezernentin in Duisburg, äußert Bedauern darüber, dass die Kultur das Nachsehen habe.
Astrid Neese, seit April auch Kulturdezernentin in Duisburg, äußert Bedauern darüber, dass die Kultur das Nachsehen habe. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Bedauern äußert die neue Kulturdezernentin Astrid Neese über die Monsterhalle. „Es ist nicht die schöne Koexistenz, die man sich zwischen kulturellem Highlight und Wirtschaft hätte wünschen können.“ Allerdings habe man um den Bebauungsplan gewusst, und jetzt habe die Kultur das Nachsehen, so Neese.

https://www.waz.de/staedte/duisburg/buch-ueber-duisburgs-tiger-turtle-und-lob-aus-der-fachwelt-id6838324.htmlÄhnlich zurückhaltend äußert sich Söke Dinkla. Sie habe gehofft, dass Duisport woanders baue. Die jetzige Situation nennt auch Dinkla „nicht schön“. Aber schon 2009 sei klar gewesen, dass die Entwicklung am Standort Wanheim-Angerhausen Kultur und Wirtschaft umfasst. „Ein integratives Konzept ist immer Teil von Landmarken“, so Dinkla. Das Gelände gehöre nun einmal Duisport, und auch wenn man gewusst hätte, dass das Unternehmen dort bauen wird, wäre die Landmarke trotzdem entstanden. Man dürfe Wirtschaft und Kultur nicht gegeneinander ausspielen, so Dinkla: „In Duisburg brauchen wir die Wirtschaft.“

Halle neben „Tiger & Turtle“: „Die Baugenehmigung hätte nicht erteilt werden müssen“

„Man hätte die Halle verhindern können“, sagt Frank-Michael Rich, ehemaliger Ratsherr der Grünen, Präses der evangelischen Kirchengemeinde Wanheim, Nachbar und Fan von „Tiger & Turtle“. „Ich bin stinkwütend auf die Duisburger Stadtverwaltung“, sagt Rich. „Die hätte die Sache in der Hand gehabt.“ Er begründet das auch rechtlich.

Der Bebauungsplan sei 2008 davon ausgegangen, dass es sich beim Angerpark und der Heinrich-Hildebrand-Höhe um einen „Grünzug von örtlicher Bedeutung“ handele. Das habe sich mit Tiger & Turtle komplett geändert. Die Großskulptur sei europa-, wenn nicht weltweit bekannt. Mit ihrem Bild verbinde man Duisburg.

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„Bei Erteilung der Baugenehmigung hätte man prüfen müssen, ob der damalige Bebauungsplan noch den Gegebenheiten entspricht.“ Und mit dem überregional bedeutsamen Kunstwerk hätte man zu dem Ergebnis kommen können, dass der Standort über eine „örtliche Bedeutung“ hinaus gewachsen sei. Deswegen habe man die Baugenehmigung an dieser Stelle nicht erteilen müssen, so Rich. Logport macht er keinen Vorwurf. „Die haben ja die Baugenehmigung bekommen.“

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Rich fürchtet schon länger um den Stadtteil Wanheim, der zunehmend abgenabelt werde. Es gebe keine Busverbindung und keine Einkaufsmöglichkeit mehr, durch das Zementwerk habe der Lkw-Verkehr zugenommen, die neue Halle werde für noch mehr Lärm und Dreck sorgen. „Die Leute ziehen weg“, sagt Rich. „Der Stadtteil wird kaputt gemacht, prekäre Lebensverhältnisse werden in Duisburg organisiert.“

Duisburger Künstlerin: Missachtung von Künstler und Werk

„Tiger & Turtle“ sei eines der wenigen Aushängeschilder Duisburgs. „Wie man einen solchen hässlichen Kasten davor setzen?“, fragt sich auch Elisabeth Höller. „Warum konnte Erich Staake die Halle nicht vor den Lüpertz bauen?“, fragt sie ironisch mit Blick auf „Poseidon“. Das Lüpertz-Werk hatte sich der Hafen zum 300. Geburtstag geschenkt; er wurde im Mai 2016 mit viel Pomp von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder enthüllt.

Die Duisburger Künstlerin ist Sprecherin des Künstlerbundes und auch in der Interessengemeinschaft Duisburger Künstler aktiv – und sie ist Mitglied der neu gegründeten Kunstkommission. „Das ist eine Missachtung von Künstler und Werk“, sagt Elisabeth Höller und erinnert daran, wie viel öffentliches Geld in die Skulptur geflossen ist. „Schrecklich, dass so etwas passieren kann.“ Auch sie versteht nicht, warum die Stadtverwaltung den Bau nicht verhindert hat. „Als Krieger das Möbelhaus bauen wollte, konnte man ja auch einiges verändern.“

Und Künstler Gerhard Losemann, der 2017 die Erfahrung machen musste, dass neben sein Loveparade-Mahnmal eine klobige Trafostation gestellt wurde, betont, dass der Sinn von Kunstwerken erhalten bleiben müsse. Sowohl Tiger & Turtle als auch Rheinorange bezögen sich klar auf ihr Umfeld. „Bei beiden ist der Freiraum, der sie umgibt, ein wesentlicher Bestandteil ihres ,Seins’. Nimmt man dem Beschauer den freien Blick, beraubt man sie eines Teils ihrer Identität.“