Bottrop-Kirchhellen. 2022 hat der Heimatverein Kirchhellen die nostalgische Tour auf den Spuren alter Gaststätten erstmals aufgelegt. 47 davon gab es in den 70ern.

Verwundert schauten einige Passanten zu der großen Gruppe, die sich am Freitagabend mit einem gefüllten Bollerwagen durch Kirchhellen bewegte und mit Getränken in der Hand fast an jeder Ecke stehen blieb. Die Wiederholung der „Kirchhellener Kneipentour“ des Vereins für Orts- und Heimatkunde war erneut ausgebucht und wurde auch diesmal wieder von den Anekdoten und kleinen Geschichten belebt, die die Teilnehmer aus eigenen Erinnerungen beitragen konnten. Schließlich hatten einige noch das Feierabendbier oder den Frühschoppen in einer der zahlreichen Gaststätten erlebt.

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1973 konnte das Dorf mit erheblich weniger Einwohnern noch 47 Wirte ernähren, heute ist das Klosterstübchen die letzte verbliebene Kneipe in Kirchhellen, stellte Jan Marien fest, der zusammen mit Rainer Vosbeck vom Heimatverein die Führung entlang der Standorte ehemaliger Kneipen übernahm.

Hat das Kneipensterben überlebt: das Restaurant „Alte Post“.
Hat das Kneipensterben überlebt: das Restaurant „Alte Post“. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Ausgestattet mit einer Karte der Standorte und mit herumgereichten historischen Fotos ergänzt begann die Führung beim Landgasthaus Beckedahl. Weiter ging es auf der Bottroper Straße zur Gaststätte Schlüter, auch „Einsatzstelle“ genannt, weil dort beim Vereinslokal der Taubenzüchter die gefiederten Freunde vor den Wettflügen eingesetzt wurden.

Kirchhellens legendäre Sportklause wurde 2007 abgerissen

Das Haus wurde vor kurzem abgerissen, ein Baukran ist sichtbares Mahnmal. Auch die benachbarte legendäre Sportklause der Familie Jandewerth ist bereits 2007 wegen Bergschäden abgerissen worden. Bekannteste Wirtin war wohl „Trudi“, die sich auch um ihre angetrunkenen Gäste kümmerte und sie auf die andere Straßenseite brachte oder bringen ließ. Nur mit dem Streichen des Bürgersteiges in Blau und Weiß konnte sie sich nach einem Aufstieg des VfB Kirchhellen nicht recht anfreunden.

Der nächste Halt war die ehemalige Kirchhellener „Gastromeile“ mit den Gaststätten Alte Post, Schulte-Wieschen, Hilp, Hackfurth und Döbbe in Sichtweite. Die Alte Post, namensgebend war die dort 1876 eingerichtete Postagentur, besteht heute noch als Restaurant und verfügt über die einzige Kegelbahn im Kirchhellener Dorfkern.

Kirchhellens frühere gute Stube: ein altes Foto vom Festsaal von Schulte-Wieschen.
Kirchhellens frühere gute Stube: ein altes Foto vom Festsaal von Schulte-Wieschen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Hier gibt es ebenso ein Erklärschild des Heimatvereins wie ein paar Meter weiter bei der „Traditionsgaststätte Schulte-Wieschen“. Die weit übers Dorf hinaus bekannte Restauration war lange Zeit Mittelpunkt des Lebens im Dorf, viele Kirchhellener haben dort im großen Saal geheiratet und legendäre Feste gefeiert, die einigen der Tour-Teilnehmer noch in bester Erinnerung sind, ebenso wie der als „Löwen-Jupp“ bekannte Wirt. Der Saal war auch Notkirche und Flüchtlingslager nach den Weltkriegen. Die 1845 genehmigte Gaststätte wurde 1997 endgültig geschlossen und abgerissen.

Zur Schließung der Gaststätte Hackfurth entstand die „Ode an eine versoffene Jugend“

Das Gebäude der Gaststätte Hackfurth ist dagegen noch erhalten und ebenfalls ein besonderes Kapitel Kirchhellener Geschichte. Bis 1995 wurde der Betrieb mit Toilette „übern Hof“ von „Oben-ohne-Franz“ geführt, wohl nicht wegen seiner lockeren Bekleidung, sondern wegen fehlender Haarpracht so genannt. Als Rainer Vosbeck die damals von einem Gast zum Abschied verfasste „Ode an eine versoffene Jugend“ verlas, hatte er „schon wieder Gänsehaut.“ Dagegen war Döbbe nebenan eher als gemütliche Gaststätte und als „Jägerheim“ bekannt.

Gruß aus Kirchhellen: Alte Postkarten erinnern an die frühere Kneipenvielfalt im Dorf.
Gruß aus Kirchhellen: Alte Postkarten erinnern an die frühere Kneipenvielfalt im Dorf. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Ein weiteres Kneipenzentrum war am alten Markt mit Dickmann-Kessler, Hilp und der fast schon in Vergessenheit geratenen Kneipe Möller. Die Kneipentour mit munterem Austausch von Erinnerungen endete in der Dorfmitte bei der ehemaligen Dorfschänke Schmidt am heutigen Eiscafé.

Bei einem kleinen Exkurs über die veränderten Trinkgewohnheiten stellte Jan Marien fest, dass es vor etwa 100 Jahren in Kirchhellen eher üblich gewesen sei, Schnaps zu trinken, deshalb gab es auch etliche Brennereien, von denen die Brennerei Körner auf dem Gelände des heutigen Jugendklosters die wohl bekannteste war. In allen Dorfteilen gab es besondere Spezialitäten, in Kirchhellen hieß sie aus noch unbekanntem Grund „Feuerwehr:“