Bottrop. Am Bau sind Material knapp und die Preise hoch, die Zinsen steigen. Bottrop fehlt das Geld für einen Neubau neben dem Rathaus, meint Paul Ketzer.
Paul Ketzer geht in den Ruhestand. Mit einem Empfang im Museum Quadrat wurde der langjährige Erste Beigeordnete der Stadt jetzt verabschiedet. Er stand als stellvertretender Verwaltungschef seit April 2005 mit an der Spitze. Auf drei Amtszeiten so wie er bringen es nicht viele Beigeordnete in NRW.
Ketzer stammt aus Sterkrade und kennt Bottrop seit seiner Kindheit gut. Seine Eltern führten einen Fleisch- und Wurstgroßhandel. Ketzer weiß daher besser als viele Bottroper zum Beispiel so ganz nebenbei auch, wo es überall Lebensmittelläden in Bottrop gab. Seine Amtszeit endet Ende August. Der 63-Jährige ist als Dezernent nicht nur der Bottroper Feuerwehr sehr verbunden, sondern gehört zum Beispiel auch der Alten Allgemeinen Bürgerschützengesellschaft oder der Karnevalsgesellschaft KG 1913 an.
Herr Ketzer, Sie haben fast zwei Jahrzehnte lang mit an der Spitze der Stadtverwaltung gearbeitet. Welche Entwicklung hat die Verwaltung genommen, wie steht sie als Dienstleisterin heute da?
Paul Ketzer: Wir haben viele wirklich gut ausgebildete und sehr motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten von ihnen sind aus Bottrop. Die sind mit Leib und Seele hier tätig. Aber auch Zugereiste wie ich als Sterkrader haben eine sehr hohe Identifikation mit unserer Stadt. Ich meine, dass wir ein guter Dienstleistungsbetrieb sind. Verbesserungen sind immer möglich. Insgesamt sind die Menschen zufrieden mit unserer Leistung. Das zeigt sich zum Beispiel ja auch bei Bewertungen unseres Bürgerbüros, das immer hervorragend beurteilt wird.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf für die Zukunft?
Da wo es erforderlich oder wünschenswert ist, unsere Dienstleistungen näher und komfortabler an die Bürger heranzubringen. Also Digitalisierung mit Augenmaß. Unsere Verwaltung ist heute kein digitales Niemandsland. Gegenteilige Bewertungen zeugen von fehlender Sachkenntnis. Wir sind hier bei null angefangen. Inzwischen wissen viele Menschen nicht einmal so genau, welche Leistungen auch schon online angeboten werden. Die Inhalte unseres Portals müssen bekannter werden. Die Digitalisierung wird selbstverständlich weiter vorangehen. Man muss aber berücksichtigen, dass wir in ein Rechenzentrum mit rund 50 Anwendern eingebunden und nicht so ganz frei sind bei dem, was wir tun. Da haben wir ein strukturelles Problem. Im Bund und den Ländern sieht es da leider nicht besser aus.
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Korruptionsverdacht in Bottrop: „Das war und ist ein Schock“
Wie sehr hat Sie der Korruptionsverdacht gegen einen Beschäftigten des Ordnungsamtes in Ihrem Verantwortungsbereich erschüttert?
Das war und ist ein Schock. Es gibt Verunsicherung und alle, mit denen ich gesprochen habe, fürchten um den guten Ruf unserer Verwaltung. Ich selbst konnte Einblick in die Ermittlungsakte nehmen. Mit einer solchen Wucht an Vorwürfen verschiedenster Art habe ich nicht gerechnet. Es gilt aber, zunächst das Ermittlungsverfahren und ein etwaiges Strafverfahren abzuwarten. Ich betone aber eins: Die möglichen Verfehlungen sind das Resultat des Verhaltens eines einzelnen. Damit haben die anderen Beschäftigten in der Verwaltung nichts zu tun.
Rechtsamtsleiter Emilio Pintea, der Ihr Nachfolger wird, hat bedauert, dass sich solche Fälle nie ganz ausschließen lassen.
Natürlich hat ich mir mit anderen die Frage gestellt, was hättest du tun können. Ich habe zum Beispiel vor rund 20 Jahren bei der Stadt Mönchengladbach die Anti-Korruptionsstelle mit einer Vielzahl an Maßnahmen zu Korruptionsprävention mitaufgebaut. Und? Auch keine Garantie. Daraus ist auch bei mir die Erkenntnis erwachsen, dass keine Regel oder Maßnahme der Welt den Willen zu kriminellem Verhalten brechen kann. Das ist ein frustrierendes Eingeständnis. Regelungen zur Korruptionsvorbeugung gibt es selbstverständlich auch hier in Bottrop.
Sie sind Mitglied in einigen auch großen Bottroper Vereinen und kennen die Stadt und ihre Menschen auch über Ihre Tätigkeit im Rathaus hinaus ziemlich gut. Ist Bottrop im Umbruch oder in einer Krise?
Ich glaube, die Stadt steckt im Innenstadtbereich leider in einer handfesten Krise. Ein Umbruch erwächst oft langfristig aus strukturellen Änderungen. Man kann ihn aber einigermaßen planvoll mit Maßnahmen begleiten und die Zukunft aktiv gestalten. Stichwort Hansacenter: Wir haben nach meiner Überzeugung vor vielen Jahren die Chance verpasst, das selbst in die Hand zu bekommen. Andere Städte haben so etwas mit Erfolg gemacht. Inzwischen sind wir völlig machtlos. Die Eigentümer verfolgen allein ihre wirtschaftlichen Interessen. Es gilt nur noch das Prinzip Hoffnung, dass sich im Ergebnis noch ein Mehrwert für Bottrop ergibt.
Was sagen Ihnen denn die Menschen in den Vereinen und in der Stadt dazu?
Alle, die ich so kenne und andere, die mich ansprechen, schimpfen zwar nicht lauthals, sie sind aber sehr traurig und voller Sorge über den Zustand der Innenstadt. Viele wünschen sich ein richtungsweisendes und planvolles Vorgehen der Stadt. Ich kenne allerdings auch keinen, der sagt: Es wird Zeit, dass ich hier wegkomme. Dazu gibt es auch keine Veranlassung.
Es gibt ja auch keinen Grund, nur schwarz zu sehen.
Völlig richtig! Bottrop ist lebens- und liebenswert. Es gibt zum Beispiel tolle Sportstätten in Bottrop, auch Radfahren macht hier Spaß. Die Poststraße in der Innenstadt ist toll, das ist immer jemand auch draußen vor den Geschäften, die roten Sitzgelegenheiten schaffen Atmosphäre. Eine tolle Idee. Die Gladbecker Straße hat als Gastromeile eine positive Entwicklung genommen, auch wenn man da sehr auf die Balance achten muss. Da wohnen ja auch Leute. Die Kirchhellener Straße hat jetzt etwas zu kämpfen. Schade ist, dass das Blumengeschäft fort ist. Eine echte Lücke. Jetzt schließt die Galerie Roohnikan, vielleicht gibt es aber ja eine gute Nachfolgenutzung. Ideen soll es ja geben.
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In Ihrem Verantwortungsbereich waren viele Ressorts, die nah an den Menschen sind und die Leistungen für sie erbringen, zum Beispiel das Bürgerbüro, die Best, das Straßenverkehrsamt, die Feuerwehr, für längere Zeit auch Schule und Jugend. Wie haben Sie das empfunden?
Meine Mitarbeiter und ich mussten uns jeden Tag immer wieder vor Augen führen, dass unser Handeln oder auch Unterlassen teils gravierende Auswirkungen für das Leben der Bottroper hat oder haben könnte. Wir haben beispielsweise fast 13.000 Schülerinnen und Schüler. Und die haben Eltern. Da sind dann von unseren Entscheidungen auf einen Schlag fast 40.000 Menschen betroffen. Wir haben rund 3800 Kita-Plätze. Da gilt das Gleiche. Oder nehmen Sie die Best. Auf deren Leistungen sind wirklich alle Bottroper Haushalte angewiesen. Und so ist das bei vielen städtischen Leistungen. Und wissen Sie was? Es macht Spaß, für so viele Menschen in einer Stadt im Bereich der Daseinsvorsorge zu helfen.
Dennoch ist es so, dass mehrere Fachressorts zuletzt wiederholt auch eingestehen oder ankündigen mussten: Das können wir nicht leisten, dafür haben wir kein Personal.
Es ist seit Jahren und leider nicht mit abnehmender Tendenz so, dass unsere Aufgaben immer mehr zunehmen. Allein wegen der Wohngeldreform, durch die mehr Menschen Anspruch auf Hilfen haben, brauchen wir drei zusätzliche Stellen. Das ist jetzt nur ein Beispiel von mehreren dafür, dass unsere Aufgaben wachsen und Bund oder Land sich einen schlanken Fuß machen. Wir brauchen dafür aber neues Personal, das am Markt oft gar nicht vorhanden ist.
Die Stadt muss außerdem die Finanzierung wichtiger Projekte wie den lange kontrovers diskutierten Bau der neuen Hauptfeuerwache stemmen.
Wir haben in den letzten Jahren viel getan. Und ich meine, dass wir eine technisch gut aufgestellte Feuerwehr haben. Auch die Ausbildung unserer Feuerwehrleute ist top. Was aber inzwischen völlig inakzeptabel ist, ist der Zustand der alten Feuer- und Rettungswache 1. Feuerwehrleute haben einen 24-Stunden-Dienst. Sie leben dann quasi auf der Wache. Aufgeteilt in Arbeits- und Bereitschaftszeit. Die Arbeitsplätze in den einzelnen Arbeitsgebieten müssen den heutigen Anforderungen entsprechen. Und dem Arbeitsschutz. Da geraten wir in unserer Atemschutzwerkstatt oder der Desinfektion zurückhaltend gesagt an Grenzen. So geht es nicht mehr lange. Die Feuerwache ist nicht für die Anzahl an Mitarbeitern konzipiert und gebaut, die wir heute haben und auch brauchen. Als sie fertig wurde, waren da um die hundert Leute. Heute arbeiten da über 180 Beamte und weitere Beschäftigte im Krankentransport und der Verwaltung. Lassen Sie mich eins deutlich machen: Eine Feuer- und Rettungswache ist eine unentbehrliche Anlage für den Bevölkerungsschutz. Und wir brauchen jetzt eine neue.
Bottroper Rat: „Die Entscheidungsfreude könnte größer sein“
Es dauert oft lange, bis die nötigen Entscheidungen im Stadtrat getroffen sind. Wird der Rat von einigen nicht immer mehr auch als Bühne zur parteipolitischen Selbstdarstellung genutzt. Wird auch der Ton rauer?
Das empfinde ich auch so. Es könnte auch die Entscheidungsfreude, also die Bereitschaft, mit mehr Tempo zu entscheiden, durchaus größer sein. Ich stelle bei einigen außerdem ein großes Misstrauen gegenüber der Verwaltung fest. Quer durch die Parteien gehen einige davon aus, dass wir morgens ins Rathaus kommen, um jemanden über den Tisch zu ziehen, Sachverhalte zu verkürzen, Informationen zu verheimlichen oder sonst was. Das ist alles grober Unsinn und ärgert mich gewaltig. Die Entscheidungen des Rates werden alles in allem von 2500 Leuten vorbereitet. Keine Frage, dabei kann es auch einmal zu Fehlern kommen, die dann aber ja auch korrigiert werden.
Zuletzt sagten auch gestandene Ratsvertreter mit langer Erfahrung, dass sie sich überfordert fühlen. Bei den Ausbauplänen für das Rathaus verlangten sie eine klare Handlungsempfehlung der Verwaltungsspitze. Wird es diese geben?
Ich werde ja nicht mehr dabei sein. Und trotzdem sage ich: ja! Der Oberbürgermeister hat diese Entscheidung vorzubereiten und führt sie dann auch aus. Das bestimmt die Gemeindeordnung so. Es ist Aufgabe der Verwaltung, die entscheidenden Fakten zu liefern und auch gangbare Vorschläge für die Entscheidung zu unterbreiten. Es darf niemals so sein, dass die Verwaltung da nicht vorangeht.
Rathausneubau: „Ich rate dazu, das Projekt jetzt zu stoppen“
Wie bewerten Sie denn die Rathausbaupläne, gegen die nun ja eine Bürgerinitiative Einwände erhebt und ein Bürgerbegehren vorbereitet?
Das Ziel des Ganzen ist ja, die Verwaltung an einem Standort zu zentralisieren, damit die Bürgerinnen und Bürger möglichst kurze Wege haben. Und es sprechen auch wirtschaftliche Gründe dafür, städtische Dienststellen nicht an unendlich vielen Stellen in der Stadt unterzubringen. Aber: Ich muss für mich als Paul Ketzer nun zu der Erkenntnis kommen, dass wir zur Zeit leider nicht das Geld haben, um das Rathaus auszubauen. Das wird nicht jedem schmecken. Ich rate dazu, das Projekt jetzt zu stoppen. Materialknappheit, Baukostensteigerungen, Zinsentwicklung – dass konnte doch vor Jahren beim Beginn dieses Prozesses keiner auf dem Schirm haben. Das heißt ja nicht, dass es für immer gekippt ist.
Herr Ketzer, Ihr Schlusswort?
Mir hat die Arbeit in und für Bottrop großen Spaß gemacht. Bei vielen wichtigen und guten Angelegenheiten durfte ich mitwirken und auch positiven Einfluss nehmen. Auf meine Mitarbeiter war Verlass, ihre Unterstützung vorbildlich. Bottrop steht vor großen Herausforderungen, vielleicht auch noch schmerzhaften Einschnitten. Aber es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Potenziale sind vorhanden. Die Menschen in unserer Stadt sind ein großes Kapital. Sie wollen! Und ein vertrauensvolles Miteinander von Rat und Verwaltung wird sicher die richtigen Entscheidungen für die Zukunft der Stadt hervorbringen. Glück auf!