Bottrop. Ehrenamtliche organisieren Frühstück und Gesprächstreff für die Szene vom Bottroper ZOB. Hier schildern Suchtkranke ihre Sicht auf die Stadt.

Seit mehr als 31 Jahren ist Tim in der Drogenszene in Bottrop unterwegs. Er gehört zu denjenigen, die sich tagsüber an Berliner Platz und ZOB treffen, dort den Tag verbringen und – auch das gehört zur Wahrheit dazu – durch ihre bloße Anwesenheit vielen Bürgerinnen und Bürgern Angst einjagen. Eine Angst, die vollkommen unbegründet sei, sagt Tim.

Helferin Tina, 50, versorgt die Besucher mit Kaffee und Brötchen.
Helferin Tina, 50, versorgt die Besucher mit Kaffee und Brötchen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Der 46-Jährige versucht zu beruhigen. Ja, manchmal sei die Gruppe lauter und die Mitglieder seien alkoholisiert. Gleichzeitig passe man aber aufeinander auf. „Wir sorgen dafür, dass keine Passanten belästigt werden und wenn jemand zu betrunken ist, dann schicken wir den durchaus auch nach Hause“, behauptet Tim. „Niemand muss Angst vor uns haben.“

Drogenhandel und Gewalt gehe zumeist von Auswärtigen aus – behaupten die Bottroper

Er selbst hängt dort ab, weil er keine anderen Freunde mehr habe. Nun stehe er kurz vor Entgiftung und Entzug, ihm sei es wichtig, die Zeit jetzt noch mit seinen Freunden zu verbringen, sich zu verabschieden. Die ständigen Diskussionen rund um den umstrittenen Treffpunkt nimmt er zwar wahr, ignoriert sie allerdings.

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Drogenhandel, Gewalt und andere Kriminalität? Ja klar, die gebe es im Umfeld, sagt Tim. Doch er sieht das Problem vielmehr in denen, die aus Oberhausen, Essen oder anderen Städten nach Bottrop kämen, um sich hier zu versorgen, behauptet er und wird plötzlich gar zum Verfechter von Recht und Ordnung. Die Polizei müsse in dem Falle durchgreifen, Platzverweise aussprechen, die anderen am besten der Stadt verweisen. Nun ja.

Helfer wünschen sich in Bottrop Akzeptanz für die Gruppe

„Es gibt in jeder Stadt eine Platte“, sagt Tina (50) sachlich. Sie gehört zu den ehrenamtlichen Helfern beim neuen Frühstücksangebot für die Szene. Alle vierzehn Tage servieren Helfer der Gemeinde St. Cyriakus den vielfach Suchtkranken Mitgliedern der Szene im JuCa des BDKJ ein Frühstück.

Die Sucht und der Alltag auf der Straße haben einige Besucher gezeichnet.
Die Sucht und der Alltag auf der Straße haben einige Besucher gezeichnet. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Tina hat auch schon bei der Evangelischen Sozialberatung geholfen, die Suppenküche Kolüsch unterstützt und kennt daher die Klientel. Sie sagt: „Das sind ganz normale Menschen, die allerdings ein Suchtproblem haben.“ Die Abhängigkeiten seien ganz unterschiedlich – Drogen, Alkohol, Medikamente – teils auch alles gleichzeitig. Solche Gruppen gebe es in jeder größeren Stadt, „ich würde mir wünschen, dass sie nicht ausgegrenzt werden“. Die Gewalt rund um den Berliner Platz, die gehe gar nicht mal unbedingt von dieser Gruppe aus. „Vor allem Jugendliche benehmen sich da daneben“, will sie beobachtet haben.

Frühstücksangebot findet regelmäßig alle 14 Tage statt

Seit einigen Monaten schon findet das Treffen regelmäßig statt. Initiator ist Johannes Bombeck. Der Bottroper Sozialarbeiter hat 26 Jahre in Essen in der Suchthilfe gearbeitet. Er kennt die Probleme der Abhängigen. Es fehle ein Tagesablauf, Beschäftigung und so werde der ZOB zum Treffpunkt. „Wer lange abhängig ist, der hat mit den Jahren vielfach Freunde und Familie verprellt, saß zwischenzeitlich vielleicht auch in Haft, da ist diese Szene der einzige Kontakt, der bleibt.“ Es gebe keinen Alltag, keine Tagesstruktur.

Ein belegtes Frühstück, eine komplette Mahlzeit – viele Suchtkranke essen nicht regelmäßig, für sie ist das Frühstücksangebot eine Chance.
Ein belegtes Frühstück, eine komplette Mahlzeit – viele Suchtkranke essen nicht regelmäßig, für sie ist das Frühstücksangebot eine Chance. © FFS | Lutz von Staegmann

Ähnlich schildern Michele (47) und Rainer (47) ihre Situation. Sie seien beide substituiert, erhalten also Ersatzstoffe. Das bedeutet aber auch, dass sie sich jeden Morgen beim Arzt Methadon abholen. Danach ist der Berliner Platz ihre Anlaufstelle. Hier treffe man andere und, ja, trinke auch das ein oder andere Bier. „Aber man ist wenigstens nicht allein.“ Jetzt im Winter bleibe man vielleicht nicht so lange, gehe eher nach Hause auf die Couch – „wenn man eine hat“, sagt Rainer.

Er ist auch am Samstagmorgen von der Sucht gezeichnet, ist schwer zu verstehen. Man muss kein Experte sein, um ihm seine Krankheit anzusehen. Das weiß er auch. Trotzdem wünscht er sich – genauso wie die anderen auch –, nicht unbedingt als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Denn dieses Gefühl habe sie häufig, berichtet Michele. Ob auf dem Amt oder auch beim Einkaufen – sie kenne diese Blicke auch.

Teilnehmer zahlen 50 Cent – wenn sie können

Das Frühstücksangebot helfe, all diese Sorgen und Probleme wenigstens für kurze Zeit zu vergessen, sagt Tim. Auch Ralf (52) lobt das Engagement der Helfer. Wer kann zahlt 50 Cent und erhalte dafür ein „Superfrühstück“, freut er sich. Wer kein Geld hat, darf trotzdem mitessen. In der Schale auf dem Tisch an der Tür liegen jedoch tatsächlich einige Euro.

Es gehe darum, in Kontakt zu kommen, sagt Johannes Bombeck. Es gehe gar nicht um Kontrolle oder Therapie. Wenn es darum gehe, gebe es in der Stadt etwa mit der Jugendhilfe hervorragende Anlaufstellen. „Die meisten Szene-Mitglieder kennen die auch und werden von Sozialarbeitern betreut“, weiß Bombeck.

Es geht an dem Samstagmorgen auch einfach um Ablenkung

Am Samstagmorgen gehe es auch einfach mal um Ablenkung. „Wir haben uns hier die ganze Zeit über Fußball unterhalten“, verrät er mit Blick auf seine Tischnachbarn. Ralf ist 52 Jahre alt, hat zuletzt 16 Monate im Gefängnis gebracht und lebt jetzt in Bottrop in einer betreuten Einrichtung. Der Frühstücksbesuch – für ihn eine Möglichkeit „mal drei Stunden abzuschalten von dem ganzen Scheiß“.

Klare Regeln und Ansagen

Bei dem Frühstücksangebot gelten klare Regeln wie etwa das Alkoholverbot. Im Zweifel machen die Helfer klare Ansagen. So stand am Samstagmorgen vor dem JuCa eine angebrochene Flasche Billig-Bier. Sofort waren die Helfer aufmerksam fragten nach dem Verursacher und entsorgten das Getränk, denn: „Wir sind hier zu Gast und dann darf es hier vor der Tür nicht so aussehen.“

Das Angebot findet alle 14 Tage statt, immer am Samstagmorgen. Es wird gut angenommen, etwa 30 Besucher waren am Samstag da – selbstverständlich nicht alle gleichzeitig. Doch immer wieder trudelten Grüppchen ein, besetzten einen der frei gewordenen Tische und griffen zu.

„Wir haben festgestellt, dass in Bottrop so eine Anlaufstelle für die Szene, wie es sie in anderen Städten fast überall gibt, nicht existiert“, sagt Ann-Sophie Bombeck, die ihren Vater bei dem Angebot unterstützt. Abgesehen vom Kontaktraum am Borsigweg, der jedoch sehr abseits liegt. Daher sei die Idee entstanden, zumindest alle 14 Tage so ein Angebot zu schaffen. Aber: schon zu seiner Seit im Rat hatte Johannes Bombeck für die ÖDP so etwas gefordert, aber auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den für den Unterstand gewählten Standort in dem engen Verbindungsweg zwischen Kaufland und ZOB für falsch hält.