Bochum-Linden/-Dahlhausen. Michael W. war bekannt und die Anteilnahme groß, als er Mitte September 2023 starb. Die Geschichte von einem, der am Rand der Gesellschaft lebte.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist im September 2023 erschienen. Zum Jahresende haben wir ihn noch einmal ergänzt und erneut veröffentlicht.
Die einen kannten ihn als Micha, andere als Mitch, und weil er früher häufig und lautstark Presley-Lieder sang, war auch „Elvis“ einer seiner Spitznamen: Michael W. war in Linden und Dahlhausen ein bekanntes Gesicht. Kein Obdachloser, aber einer, der am Rande der Gesellschaft lebte und dessen Leben sich überwiegend auf der Straße abspielte. Nun ist er tot und hinterlässt eine Lücke, die viele im Viertel bewegt.
Mal traf man ihn im Supermarkt, mal saß er vor einer der beiden Kirchen an der Hattinger Straße. Mitte September ist er im Alter von 56 Jahren in einem Krankenhaus in Bochum gestorben. Die Anteilnahme ist groß. Kaum kursiert die Info über seinen Tod in den sozialen Medien, melden sich die ersten mit der Frage nach der Beerdigung.
Einzelgänger in Bochum gestorben: Bürger sammeln für Beisetzung
Die Antwort ist in diesem Fall nicht ganz einfach: W. war ein Einzelgänger, lebte allein. Angehörige, die sich um die Beerdigung kümmern, gibt es nicht. Von Amts wegen würde er eingeäschert und anschließend anonym auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. Nun aber setzen sich eine Handvoll Bürger dafür ein, dass Micha seine letzte Ruhe im Stadtteil findet.
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Tom heißt der Mann, der dafür eine Spendensammlung gestartet hat. Seinen Nachnamen möchte er hier nicht veröffentlicht wissen. Um ihn gehe es nicht. „Ich hab das in die Hand genommen“, sagt er, „weil es sonst wohl keiner gemacht hätte.“ Wie Michael W. ist Tom in Linden aufgewachsen, er selbst sei Jahrgang 1966, W. ein, zwei Jahre jünger gewesen. „Zwischen 13 und 16 hatten wir regelmäßig Kontakt, dann haben sich alle Leute zerstreut.“
In Linden aufgewachsen: „Irgendwann war er für uns nicht mehr greifbar“
Werner Wiegand leitete von 1982 bis 2001 das Evangelische Jugendzentrum (JuZe) Linden. „Michael war einer von denen, die tagtäglich ins JuZe reingekommen sind“, erinnert sich der 70-Jährige. „Aber irgendwann war er dann auch für uns nicht mehr greifbar.“ Wann genau W.s Leben aus den Fugen geriet, das lässt sich nicht rekonstruieren. „Mit Anfang 30 habe ich ihn wiedergesehen, da war er in so einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“, erinnert sich Tom. „Irgendwann muss er das Trinken angefangen haben.“
Auch Nicole Trompeter ist eine Weggefährtin. „Wir sind beide auf die Hugo-Schultz-Realschule gegangen“, erzählt sie, „er war zwei Klassen höher als ich.“ Michael sei eine Weile Schulsprecher gewesen, „ein ganz helles Köpfchen, sehr sozial eingestellt“. Auch Trompeter erzählt, dass sie ihn eine Zeit lang aus den Augen verlor. „Irgendwann war er ein anderer Mensch.“
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Bestattungshaus kündigt Unterstützung für Beerdigung an
Trompeter führt heute das gleichnamige Bestattungshaus im Stadtteil, hatte bis zuletzt Berührungspunkte mit Michael W. „Ich hab‘ ihm immer mal wieder was gegeben, zum Anziehen zum Beispiel, im letzten Winter noch eine Jacke“, sagt sie. Seine Situation sei „schon traurig“ gewesen. „Er hat nach Zigaretten und/oder etwas Geld gefragt, aber richtige Hilfe hat er nicht angenommen.“
Das hat auch Werner Wiegand beobachtet. Michael W. sei ein „absoluter Einzelgänger“ gewesen, „meistens diese doofe Bierflasche in der Hand“. Auf die Frage, ob man ihm helfen könne, habe er meist oberflächlich mit einem „Danke, alles in Ordnung“ reagiert. „Wie greift man so jemanden?“, fragt Wiegand.
Micha, sagt auch Refik Gülcü, „war überall und nirgendwo“. Gülcü hat eine der drei Spendenbüchsen bei sich am „Lindener Büdchen“ aufgestellt, die Resonanz beeindruckt den Kioskbetreiber. „Manche Kunden geben ihr Wechselgeld, ein paar Cent, andere 50 oder 70 Euro.“ Es kämen Jung und Alt, Stammkunden genauso wie „Leute, die ich noch nie gesehen habe. Da krieg’ ich Gänsehaut!“, sagt Gülcü.
Micha aus Linden: „nie böse oder gewalttätig“
Das passiert mit den restlichen Spenden
Rund 8000 Euro sind bei der Spendensammlung für die Beerdigung von Michael W. zusammengekommen – deutlich mehr als benötigt. Urne und Blumenschmuck stellte das Bestattungshaus Trompeter aus Linden, das sich auch um die Überführung kümmerte. Für die pflegefreie Grabstätte, die Miete der Trauerhalle und den Rest der Beisetzung waren etwa 3000 Euro nötig, berichtet Tom, der Initiator der Spendenaktion.
Die überschüssigen rund 5000 Euro sollen nun weiter gespendet werden: zu gleichen Teilen an den Kinderhospizdienst Ruhrgebiet, an das Hospiz St. Hildegard in Bochum, an die Initiative „Laut gegen Nazis“, an eine Seenotrettungs-Initiative für Flüchtlinge sowie den Verein „Aufsuchende medizinische Hilfe für Wohnungslose Bochum“.
Etwa 3000 Euro waren laut Spendensammlungs-Initiator Tom nötig, um die Kosten für die Trauerhalle, die Beisetzung und die pflegefreie Grabstätte auf dem Friedhof in Linden zu decken – am Ende sind deutlich mehr zusammengekommen, rund 8000 Euro.
Thomas Köster, Pfarrer der katholischen Gemeinde Liebfrauen, bot ebenfalls Hilfe an: Er leitete die Trauerfeier, zu der um die 50 Menschen kamen. Michael W. habe nicht nur häufig vor der Kirche gesessen. „Manchmal ist er auch in unseren Gottesdienst gekommen“, erinnert sich der Pfarrer. Dann habe man ihn mitunter erinnern müssen, die Bierflasche am Eingang abzustellen, und nicht immer habe W. es bis zum Ende ausgehalten. „Aber die Atmosphäre hat ihm wohl gutgetan.“
Micha sei „nie böse oder gewalttätig“ gewesen, sagt Refik Gülcü. In den letzten Monaten aber habe man ihm den Verfall angesehen. Für Werner Wiegand endet mit dem Tod W.s „eine traurige Geschichte“. Am Ende habe er seinen selbstzerstörerischen Lebenswandel „verdammt lange ausgehalten“.