Bochum. Sie hatten viele Pläne, doch die Krankheit ändert alles: Zwölf Menschen sind Gast im Hospiz Bochum. „Die richtige Entscheidung“, so ein Ehepaar.

Ursula Kempchen greift zur Fernbedienung und fährt die Lehne ihres Bettes ein Stückchen höher, als die Tür zu ihrem Zimmer aufgeht. Um sie herum hängen bunte Puzzle. „Die habe ich selbst gemacht“, sagt sie. Auf dem Tisch steht ein Blumenstrauß, direkt gegenüber ein Bild, das ihre Enkel zeigt. Alles ist sehr persönlich, erinnert fast an ein Wohnzimmer. Die 79-Jährige ist zu Gast im Hospiz St. Hildegard, sie ist sterbenskrank.

Noch im Sommer ist alles gut. Ursula Kempchen hat viele Pläne. Für eine Knie-Operation kommt sie ins Krankenhaus, anschließend in die Reha. Bei der Untersuchung des Blutes zeigt sich: Die Seniorin aus Weitmar ist krank, hat Leukämie. Von ihrem Onkologen erfährt sie kurz darauf: Sie wird nicht wieder gesund. „Austherapiert“ nennen die Mediziner das.

Bochumerin lebt seit zwei Wochen im Hospiz: „Meine Familie ist oft da“

Zwei Wochen und zwei Tage lebt Kempchen nun hier in St. Hildegard. Die Seniorin mit den grauen Haaren und dem sympathischen Lächeln kann nicht mehr laufen, doch ansonsten sieht man ihr kaum an, dass sie so schwer erkrankt ist.

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Kraft zehrt sie aus den vielen Besuchen: „Meine Familie ist oft da.“ So schwer die Situation auch ist, Ursula Kempchen ist dankbar, hier zu sein – und nicht länger im Krankenhaus. „Ich fühle mich gut aufgehoben“, sagt sie.

Im Hospiz St. Hildegard an der Königsallee im Bochumer Ehrenfeld ist Platz für zwölf Gäste. „Wir nennen es liebevoll eine WG, jeder hat sein eigenes Zimmer“, erzählt Pflegedienstleitung Sabine Monteton, die hier seit 23 Jahren arbeitet. Auch einige Gemeinschaftsräume – Wohnzimmer und Wohnküche – gibt es. Alles ist sehr familiär und mit Liebe zum Detail eingerichtet.

Katrin Gondermann (links), stellvertretende Leitung, und Sabine Monteton, Pflegedienstleiterin, arbeiten beide seit über 20 Jahren im Hospiz St. Hildegard in Bochum.
Katrin Gondermann (links), stellvertretende Leitung, und Sabine Monteton, Pflegedienstleiterin, arbeiten beide seit über 20 Jahren im Hospiz St. Hildegard in Bochum. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Auf jeder Etage gibt es behindertengerechte Bäder, viele Zimmer haben einen Balkon, jedes Fernseher, Telefon, Internet und einen Kühlschrank mit Gefrierfach. Dort können die Gäste Eis aufbewahren, Cola oder auch eine Flasche Bier. Ein großer Garten gehört ebenfalls zum Hospiz, er ist barrierefrei im Bett erreichbar.

Das Hospiz St. Hildegard gibt es seit 1995, es ist das 23. in Deutschland und befindet sich in der alten Villa Gröppel, die vor genau 100 Jahren gebaut wurde. Seit einiger Zeit gibt es auch einen Anbau und somit mehr Platz. Katrin Gondermann, stellvertretende Leiterin, ist seit Beginn mit dabei – zu einer Zeit, in der noch scharf diskutiert wurde, ob Hospize wirklich gegründet werden sollten. Gondermann hat, wie auch Pflegedienstleiterin Monteton, zuvor im Krankenhaus gearbeitet. Zeit für Patienten, Zeit für Angehörige, die gab es dort kaum. „Hier im Hospiz gibt es diese Zeit, um Abschied zu nehmen“, macht sie klar.

Der jüngste Gast im Bochumer Hospiz war drei Wochen alt, der älteste 103 Jahre.

In 28 Jahren Hospiz haben Gondermann und Moneton schon ganze Generationen begleitet. Sie berichten von einer Frau, die ihren Ehemann im Hospiz begleitete und sagte: „Ich bin ganz froh, wieder hier zu sein.“ Auch Sohn und Mutter waren bereits Gast im Hospiz.

Wer hier einen Platz bekommt, hat eine lebensverkürzende und rasch fortschreitende Erkrankung. „Darunter auch junge Leute“, so Monteton. Erst vor Kurzem habe es den Anruf einer jungen Frau gegeben, die ihren Bruder pflegt. Er ist Jahrgang 2000 und unheilbar an einem Hirntumor erkrankt. Der jüngste Gast im Bochumer Hospiz war drei Wochen alt, der älteste 103 Jahre. Im Schnitt bleiben sie 23 Tage.

So sieht es in einem der zwölf Zimmer im Hospiz St. Hildegard aus.
So sieht es in einem der zwölf Zimmer im Hospiz St. Hildegard aus. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Das Hospiz ist nicht nur ein Ort der Gäste, sondern auch einer der Angehörigen. Gondermann macht klar: „Diese können mit im Zimmer leben.“ Zudem gibt es für sie zwei Extra-Zimmer.

Sterben im Hospiz: „Es war die richtige Entscheidung“

Die Bochumerin Karola Müller (65) hat ihren Mann Dieter lange zu Hause gepflegt. Ein Hospiz, das kam nicht in Frage, auf keinen Fall. Doch irgendwann ging es nicht mehr anders. Seit drei Wochen ist Dieter Müller nun im Hospiz St. Hildegard. „Ich bin bei ihm, Tag und Nacht“, sagt Karola Müller und zeigt auf das zweite Bett im Zimmer, in dem sie übernachtet. „Es war die richtige Entscheidung“, sagt sie nun.

Ehrenamtler im Hospiz werden? Hier gibt es Infos

Zum Welthospiztag 2023 sind das Hospiz St. Hildegard und die Ambulante Hospizarbeit Bochum an diesem Samstag, 14. Oktober, auf dem Bochumer Wochenmarkt vertreten. Zwischen 8 und 13 Uhr gibt es einen Infostand auf dem Buddenbergplatz am Hauptbahnhof.

Am Montag, 23. Oktober, bietet zudem ein Infoabend im Hospiz St. Hildegard, Königsallee 135, ab 18 Uhr Einblicke in das Ehrenamt in der Hospizarbeit. Gesucht werden interessierte und tatkräftige Menschen mit großem Herz und offenen Ohren, die ihre Zeit für die Begleitung Schwerstkranker und ihrer Angehörigen einsetzen möchten. Im Anschluss an den Infoabend startet im November der eigentliche Vorbereitungskurs.

Nähere Informationen zum Hospiz und Anmeldungen zum Infoabend unter Tel. 0234 307 90 23 oder

Pflegedienstleitung Monteton erklärt: „Wenn jemand zu Hause seine Angehörigen pflegt, heißt es nicht, dass das im Hospiz nicht mehr möglich ist.“ Stattdessen würden die Mitarbeitenden unterstützen, wo es gewünscht ist – und da helfen, wo Hilfe gebraucht wird.

„Alle hier sind sehr nett“, sagt Karola Müller. Doch trotzdem, die Situation ist schwer für das Ehepaar. Auf die Frage, woran Dieter Müller (70) erkrankt ist, antwortet der Bochumer mit stockender Stimme: „Krebs“. Auch seiner Frau steigen die Tränen in die Augen, während sie ganz nah neben dem Bett ihres Mannes steht.

Ehrenamtler sind da, wenn Menschen keinen Besuch bekommen

27 Hauptamtliche kümmern sich um die Gäste und Angehörigen im Hospiz St. Hildegard, dazu kommen Mediziner sowie über 50 Ehrenamtliche. Einer davon ist Manfred Gebauer. „Wir sind eigentlich für alles zuständig, außer für die Pflege.“ Er ist da, wenn jemand keinen Besuch bekommt oder keine Angehörigen hat – oder auch, wenn jemand mal von „Mann zu Mann“ reden will.

Pflegedienstleitung Sabine Monteton bringt Hund „Semmel“ stets mit zu ihrer Arbeit im Hospiz.
Pflegedienstleitung Sabine Monteton bringt Hund „Semmel“ stets mit zu ihrer Arbeit im Hospiz. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Im Hospiz verläuft kein Tag wie jeder andere, doch alle geben immer ihr Bestes für die Menschen, die hier vorübergehend leben. Gekocht wird nach Vorliebe der Gäste. „Eine 84-Jährige hat sich zum Beispiel immer Pommes rot-weiß gewünscht“, erinnert sich Monteton.

Auch Tiere dürfen mit ins Hospiz einziehen

Nicht nur Menschen dürfen hier vorübergehend einziehen, sondern auch Tiere – egal ob Katze, Meerschweinchen, Wellensittich oder Hund. Sogar ein Pony hat schon einmal auf der Wiese im Garten gestanden. Manche Ehren- und Hauptamtliche bringen ebenfalls Tiere mit – die oft einen ganz anderen Zugang zu den Menschen finden.

„Sterben gehört zum Leben“, sagt Sabine Monteton. Katrin Gondermann ergänzt: „An der Krankheit können wir nichts ändern, aber wir können den Abschied für die Menschen so angenehm wie möglich machen.“