Santo Andre. Bundestrainer Joachim Löw hat bei der WM eine Dreiklassengesellschaft im Kader geschaffen. Die Dortmunder Erik Durm und Kevin Großkreutz sind der Innenverteidiger-Kette zum Opfer gefallen und stehen außen vor.
Erik Durm sitzt vor ein paar Tagen in der Nähe des Mannschaftsquartiers am Pool, die Arme auf dem Tisch verschränkt. Seine markante Tätowierung am rechten Unterarm ist gut zu sehen: Ein Kreuz, die Geburtsdaten seiner Eltern sowie die Worte Familie, Glück und Gesundheit sind mit Tinte unter seine Haut gestochen. Durm ist ein gläubiger Mensch. Seine Rituale geben ihm Sicherheit. Wenn er auf den Platz geht, bekreuzigt er sich. Die Frage, ob er das bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien vor einem Spiel noch tun darf, ist ihm natürlich schon in den Sinn gekommen. Die Antwort scheint der Bundestrainer nun eindeutig gegeben zu haben. Taten lässt er längst sprechen.
Dabei hatte Joachim Löw stets betont, wie wichtig jeder einzelne bei diesem Turnier sein würde. Er habe „keine Stammspieler, sondern 23 WM-Teilnehmer, die alle in jeder Sekunde in Alarmbereitschaft sein“ müssten, sagte der Bundestrainer in einer frühen Phase des Abenteuers Brasilien und verschaffte damit jedem seiner WM-Fahrer erstmal das wohlige Gefühl potenzieller Einsatzmöglichkeiten.
Löw hat seine Stammspieler, Spezialkräfte - und den Rest
Schnell aber wurde deutlich, dass diese Sicht der Dinge von der Realität schwer zu belegen ist. Löw hat Stammspieler, dazu gesellen sich ein paar Profis, die unter der schönen, von Löw ersonnenen Bezeichnung „Spezialkraft“ auf der Bank firmieren. Dazu zählen – je nachdem wer gerade spielt - Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira, Mario Götze oder Andre Schürrle, natürlich auch die erfahrenen Miroslav Klose und Lukas Podolski. Der Rest der Dreiklassengesellschaft? Trainiert fleißig und soll für gute Stimmung sorgen. Das ist auch wichtig, steht aber in krassem Kontrast zu Löws ursprünglichen Aussagen.
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„Wir wollen taktisch flexibel sein“, sagte Löw nun in der Folge des gewonnenen Achtelfinals gegen Algerien: „Ich habe 14, 15 Spieler, die ich bringen kann.“ Ein vernichtendes Urteil für den Rest der Truppe – gerade jetzt, da am kommenden Freitag mit dem Viertelfinale gegen Frankreich die entscheidende Turnierphase beginnt, in der keine Mannschaft vor Sperren oder Ermüdungserscheinungen gefeit ist. Aber das Vertrauen in den einen oder anderen Spieler scheint bei Löw nicht sehr ausgeprägt zu sein.
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17 seiner 23 Profis hat er bislang eingesetzt. Kaum ein Land hat weniger Spieler eingesetzt bei dieser WM. Kolumbien zum Beispiel kommt auf 21. Bei den Ersatztorhütern Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler war das absehbar, auch die Null-Minuten-Rollen von Julian Draxler und Matthias Ginter überraschen bislang nur bedingt. Christoph Kramer durfte gegen Algerien immerhin ein paar Minuten ran. Die Dortmunder Außenverteidiger-Fraktion mit Durm und Kevin Großkreutz aber war mit durchaus berechtigen Hoffnungen auf größere Einsatzzeiten nach Südamerika gereist. Durm, der einzige in Joachim Löws Kader, dessen Stellenbeschreibung in der Bundesliga Linksverteidiger ist. Und Großkreutz, der wohl vielseitigste im Team.
Großkreutz scheint Plan D zu sein
Sie fielen der teutonischen Innenverteidiger-Kette zum Opfer, die sich Löw für dieses Turnier scheinbar sehr spontan überlegt hat. Fällt dort einer aus, rückte bislang der nun verletzte Shkodran Mustafi nach. Erstaunlich ist das, weil der Genuese schon aus dem Kader sortiert worden war, ehe sich Marco Reus verletzte und damit die ohnehin schon große Fraktion der verhinderten Dortmunder Ilkay Gündogan, Sven Bender sowie Marcel Schmelzer weiter aufstockte, das Maß derer, die eine schwarz-gelbe Rolle in Löws Zirkel spielen, auf schmerzliche Weise herabregelte.
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Großkreutz dürfte es als schweres Misstrauensvotum empfunden haben, bislang keine Minute gespielt zu haben. Selbst als Mustafi verletzt ausfiel, beorderte der Bundestrainer entgegen seiner Gewohnheit lieber Kapitän Philipp Lahm zurück auf seine alte Position. Großkreutz scheint höchstens Plan D zu sein. Möglich, dass Löw dem Dortmunder seinen plump verursachten Elfmeter im letzten Test gegen Armenien nachträgt. Großkreutz bleibt äußerlich gelassen: „Natürlich will ich gerne spielen. Aber ich bin geduldig“, sagt er.
Und Erik Durm, der Mann, der es nach 19 Bundesligaspielen zur WM geschafft hat, ist ohnehin einfach nur begeistert, dabei zu sein. „Ich sage das nicht, weil man es von mir erwartet, sondern weil es tatsächlich ein Traum ist, hier zu sein. Und wenn ich dann noch spielen darf, wäre das das I-Tüpfelchen.“ Glaube und Hoffnung wohnen in ihm.