Santo André/Rio de Janeiro. Zauberfußballer Mesut Özil soll in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien der Mann für das Geniale sein. Doch die Geniestreiche bleiben bislang aus, die Kritik an Arsenals Profi nimmt zu.
Noch bevor die deutsche Nationalmannschaft am Mittwoch um 22.20 Uhr Ortszeit in Rio de Janeiro landete, war Mesut Özil schon da. An der Copacabana wurde er gesehen. Am Strand von Ipanema und auf dem Zuckerhut. Und natürlich auch rund um das Maracanã, wo er mit Deutschland am Freitag (18 Uhr, live in unserem Ticker) im Viertelfinale gegen Frankreich spielen muss.
In Brasilien ist Özil in diesen Tagen allgegenwertig. Nicht der echte natürlich. Nur sein rot-schwarz-gestreiftes Trikot, das bei dieser WM zu den Verkaufsschlagern schlechthin gehört. Besonders die Brasilianer lieben es, weil es große Ähnlichkeit mit dem Trikot von Flamengo Rio de Janeiro hat. Und, weil Magier Mesut auf dem Platz viel mehr brasilianisch als deutsch wirkt. Normalerweise zumindest.
Das Problem: Nichts ist normal bei einer WM. Und während Özils Trikot überall zu sein scheint, ist der echte Özil derzeit nicht zu finden. Weder auf noch abseits des Platzes.
Özil ist der am besten verdienende Fußballer Deutschlands
Gegen Portugal (4:0) im WM-Auftaktspiel hat der sensible Offensivkünstler sehr ordentlich gespielt, gegen Ghana (2:2) und die USA (1:0) war er schwach. Gegen Algerien erzielte Özil dann endlich sein erstes Tor dieses Turniers. Von der „Bild“-Zeitung erhielt er danach die Note 5.
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„Ich lese keine Kritiken, ich habe mir das abgewöhnt“, sagt Arsenal Londons Profi. Er sei zufrieden mit seinen Leistungen, obwohl er natürlich auch wisse, dass er besser spielen könne. Dass ganz Deutschland über ihn diskutiert, obwohl er mit der Nationalmannschaft gerade ins Viertelfinale der Weltmeisterschaft eingezogen ist, kann er nicht verstehen. „Manche Kritiken sind echt beleidigend“, sagte er der „Badischen Zeitung“ bereits vor dem Achtelfinale gegen Algerien. „Ich wurde immer skeptisch betrachtet. Das begleitet mich von Anfang an“, sagt Özil, „aber wenn ich meine Karriere sehe und meine Erfolge kann es so schlecht nicht gewesen sein.“
Mesut Özil, 25 Jahre alt, aufgewachsen in Gelsenkirchen-Bismarck, ist der am besten verdienende Fußballer Deutschlands. Alleine sein bis 2020 laufender Werbevertrag mit Adidas soll 20 Millionen Euro wert sein. Im vergangenen Sommer ist er für 50 Millionen Euro von Real Madrid zu Arsenal London gewechselt. Mit fast 21 Millionen Unterstützern bei Facebook hat er die mit Abstand größte interaktive Fangemeinschaft aller Nationalspieler.
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Doch in der realen Welt heißt es, er spiele „ohne Mumm in den Zweikämpfen, ohne Ideen im Angriffsspiel.“
Die entscheidende Frage lautet: Warum? Außerhalb der Wagenburg Nationalmannschaft will Fußballdeutschland wissen, warum der Zauberer seinen Zauber verloren hat. Intern fragen sich die Verantwortlichen, warum ausgerechnet ihr Zauberer so stark kritisiert wird. „Diese Art der öffentlichen Kritik ist für mich unverständlich“, sagt Bundestrainer Joachim Löw, der Özil wie eine Löwenmutter vor der hetzerischen Meute beschützt. In der aktuellen „Zeit“ erklärt der Fußballlehrer: „Mesut Özil war 2010 und 2012 der überragende Spieler des Turniers. Das kann ich doch nicht einfach vergessen.“
Roland Eitel dürfte sich über Löws Sätze gefreut haben. Vielleicht hat er sich die Sätze aber auch selbst überlegt. Eitel ist Löws Medienberater. Und er ist Özils Medienberater. Während der WM hat er sein Quartier nicht mal 15 Kilometer entfernt von der Nationalmannschaft im Journalistenhotel Tuku Village aufgeschlagen. Früher war Eitel selbst Journalist. Jetzt versucht er zu erfühlen, wie Journalisten ticken. Und wenn er ein schlechtes Gefühl hat, dann fragt er nach. Freundlich, aber deutlich. „Ich sehe mich bei Mesut als Bestärker. Als Verstärker“, erklärt Eitel dem „Spiegel“. Sein Mandant soll als „super Junge“ rüberkommen: „Ein anständiger, moralisch integrer Mensch. Auf dem Boden geblieben. Höflich, bescheiden.“
Pfeifkonzert bei Auswechslungen
Bundestrainer Löw stärkt Özil
Bundestrainer Joachim Löw hat Mesut Özil nach der Partie gegen Algerien gegenüber allen Kritikern in Schutz genommen. Der Spielmacher, der bisher bei der WM nur selten überzeugte, sei „extrem wichtig“ für den Erfolg der deutschen WM-Auswahl. Löw: „Weil ich weiß, dass er Spiele mit einer einzigen Aktion entscheiden und beeinflussen kann.“
Mit ziemlich großer Sicherheit ist dieser höfliche Junge der mit Abstand am besten vermarktete Fußballer der Nationalmannschaft. So gesehen hat Eitel einen guten Job gemacht. Wenig helfen kann der Schwabe allerdings dabei, dass Özil auch als guter Fußballer rüberkommt. Dafür muss Özil schon selbst sorgen.
Özil ist ein Künstler, und an der Kunst scheiden sich bekanntlich die Geister. Spielt der 1,82 Meter große Instinktfußballer gut, dann wird er geliebt wie kein Zweiter. Von der Netzgemeinschaft. Von den Sponsoren. Von den Vermarktern. Und natürlich auch von den Fans. Spielt er aber schlecht, dann passiert das Gegenteil. Beim Freundschaftsspiel im März in Stuttgart gegen Chile wurde Özil bei seiner Auswechslung mit einem Pfeifkonzert verabschiedet. Und auch beim Test kurz vor der WM gegen Kamerun (2:2) wurde Deutschlands Star von den eigenen Anhängern ausgepfiffen.
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184 Mal setzte Özil bei dieser WM zum Sprint an und ist im deutschen Team nach Thomas Müller mit 204 Sprints die Nummer zwei. Doch Özil ist anders als Müller. Der Wahl-Londoner lebt ausschließlich davon, was er auf dem Platz zu bieten hat. Denn anders als der Münchner hat er abseits des Platzes nicht viel zu bieten. Özil ist nicht lustig, nicht schlagfertig. Und Özil gibt auch keine launischen Interviews. Eigentlich gibt er fast gar keine Interviews. Medien sind ihm suspekt. Was er zu sagen hat, sagt er über Facebook. Oder über Twitter. Und auch da stammen die in vier Sprachen übersetzen Sätze nicht von ihm. Sondern von seiner Agentur.
Schweigsam in der Mixed Zone nach dem Algerien-Spiel
Nach dem Spiel gegen Algerien wollte Özil auch in der Mixed Zone, wo Fußballer und Medienvertreter nach einer Partie aufeinandertreffen, nichts sagen. Özil will lieber seinen Fußball sprechen lassen. Gelingt das, ist er nach nur 90 oder 120 Minuten auch schon wieder der Star. Gelingt das nicht, wird er von den Kritikern nach dem Frankreichspiel wahrscheinlich zum Haupt-Sündenbock dieser WM gemacht.
„Only God Can Judge Me“, steht seit Kurzem auf seinem Oberarm geschrieben. Mehr hat Özil vor dem Viertelfinale im Maracanã vorerst nicht zu sagen.
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