Löws Abkehr vom schönen Spiel ist eine Folge eigener Fehler
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Porto Alegre. Jahrelang standen Joachim Löw und seine Nationalmannschaft für schönen Fußball - bei der WM in Brasilien aber sind vor allem Sicherheitsfußball und Arbeitssiege vom DFB-Team zu sehen. Doch den Bundestrainer scheint das zu freuen - mit dem neuen taktischen Konzept übertüncht er eigene Versäumnisse.
Still und ruhig lag die Arena weit nach dem Schlusspfiff da, als der deutsche Mannschaftsbus auf die verbliebenen Teile seiner kostbaren Fracht wartete. Hunderte kleiner Scheinwerfer beleuchteten in diesem Augenblick die Stoffhaut des Stadions und ließen es von weitem wirken wie eine riesige, zart rosafarbene Seerose, die der Atlantik von wo auch immer angeschwemmt haben könnte. Schön sah das aus. Joachim Löw wird das vermutlich auch gedacht haben, als er den Ort verließ, an dem Deutschland mit einem mühsamen 2:1-Sieg nach Verlängerung gegen Algerien ins Viertelfinale der WM einzog. Der Bundestrainer mag nämlich schöne Dinge. Er ist ein Ästhet. Bisher jedenfalls.
Löw kultiviert dieses Bild von sich gewollt oder ungewollt. Er trinkt bei öffentlichen Auftritten genüsslich seinen Espresso, erzählt von guten Weinen, trägt zu taillierten Hemden Lackschuhe und ist Werbefigur für Kosmetik-Produkte. Jogo bonito, sagt man in Brasilien zum schönen Spiel. Jogi bonito wäre auch nicht verkehrt. Der schöne Jogi.
Alles über den Haufen geworfen
Doch am Montagabend saß der Bundestrainer in den Katakomben des Stadions von Porto Alegre und warf unter dem frischen Eindruck dieses schwer erarbeiteten Sieges gegen den krassen Außenseiter aus Afrika so ziemlich alles über den Haufen, für das Löw und seine Nationalmannschaft in den vergangenen acht Jahren gestanden hatten. Löw wollte stets attraktiv spielen, Tore schießen lassen, Spektakel bieten. Seine Argumentation: Wer schön spielt, steigert die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. Nun ist alles anders. „Am Ende war es ein Sieg des Willens“, sagte der Bundestrainer und schien außerordentlich zufrieden mit dieser Erkenntnis. Dann gelangte er zum Schlüsselsatz seiner Abhandlung: „Bei einer WM kann man nicht davon ausgehen, dass eine Mannschaft immer fantastisch spielt. Man muss nicht immer fantastisch spielen, sondern gewinnen.“
Kein Zweifel, diese beiden Vorgaben hat seine Elf im bisherigen Turnierverlauf meistens sehr zuverlässig erfüllt. Und natürlich darf der Trainer zu recht erfreut feststellen, dass sich sein Team nach 20-minütiger Not verursacht durch erstaunliche Schläfrigkeiten in ein Spiel zurückgefunden hatte, das andere Mannschaften möglicherweise verloren hätten. Aber so gut Algerien als Kollektiv funktionierte, darf der Anspruch einer deutschen Mannschaft durchaus sein, mit Glück, Torwart Manuel Neuer und dank zweier später Tore von Andre Schürrle und Mesut Özil an einer Blamage vorbeigeschrammt zu sein.
Löw sind auf dem Weg zum Titel alle Mittel recht
Löws Betrachtung ist ein Wendemanöver bei voller Fahrt. Plötzlich befindet er sich im Fahrwasser seiner sportlichen Ahnen und spaltet damit die Nation. Es gibt jene, die nun tatsächlich glauben, dass eine Mannschaft, die auf diese Weise ihre Siege einfährt, dringend zum Favoritenkreis auf den Titel gezählt werden muss. Eine Argumentation, die nirgendwo lieber aufgegriffen wird als in einem Land, das sich über Jahrzehnte durchaus daran gewöhnte, sich durch große Turniere zu buchwalden.
Löws größter Makel ist bislang der fehlende Titel. Nun sind ihm offenbar alle Mittel recht, diesen Makel zu beheben. Dass dies in diesem Sommer gelingt, kann bislang niemand mit Sicherheit behaupten. Bisher galt es das Viertelfinale zu erreichen, das ist gelungen. Und doch wirkt die Abkehr von seinen Überzeugungen wie eine Flucht vor der Wahrheit, es nicht geschafft zu haben, aus erstaunlicher individueller Qualität, die trotz einiger Verletzter nach wie vor vorhanden ist, eine funktionierende Mannschaft geformt zu haben. Im Gegenteil – und das ist die andere Betrachtungsweise - ließe sich nach dem Auftritt gegen Algerien festhalten, beraubt das kurz vor der WM ersonnene taktische Konzept ein paar der deutschen Könner ihrer Stärken.
Mustafi ragte noch negativ heraus
Mesut Özil wirkt auf der rechten Seite nicht gerade glücklich und selbstvertrauend, Philipp Lahm als alleiniger Mittelpunkt des Spiels bisweilen überfordert. Und in der Abwehr, in der der grippekranke Mats Hummels schmerzlich vermisst wurde, ragte aus einem indisponierten Quartett aus Innenverteidigern Shkodran Mustafi noch negativ heraus. Doch Löw beließ den Mann beharrlich auf dem Feld und wurde letztlich zu seinem Glück gezwungen, als dieser sich in der zweiten Halbzeit verletzte (Muskelriss, Turnier-Aus) und ausgewechselt werden musste. Lahm wanderte nach rechts hinten – und Deutschland begann, den Sieg einzufahren.
DFB-Team erreicht Viertelfinale
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Am Freitag nun geht es im Viertelfinale gegen das robuste Frankreich. „Das waren immer hochdramatische Spiele“, sagte Löw und meinte: ausgeglichene, spannende Spiele. Es gibt aber auch Menschen, die nach dem Auftritt in der Seerose von Porto Alegre eine andere Art von Drama befürchten.
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