Essen. Ein Essener Mediziner entwickelte eine spezielle Methode für Eingriffe an der Nebenniere. Ärzte aus aller Welt nutzen sie heute.

Es ging so schnell. Anna Mittermüller hatte gar keine Zeit, in Panik zu geraten. Zu begreifen, dass in ihrer Nebenniere ein Tumor steckte. Erst im Nachhinein begriff sie: „Das ist mit das Schlimmste, was Dir passieren kann.“ Aber fünf Tage nach der Diagnose „Conn-Adenom“ lag sie bereits auf dem OP-Tisch. Und nur vier Stunden nach dem Eingriff joggte sie mit dem Arzt, der sie operiert hatte, schon wieder über den Krankenhausflur.

„Ich war wie im Film, es war surreal beinahe“, erinnert sich die 26-Jährige aus Dortmund. Muskelschmerzen in den Beinen führten sie im vergangenen Oktober zum Hausarzt. Dem fiel auf, dass der Blutdruck der jungen Erzieherin viel zu hoch war. Und dass das untypisch für eine Patientin wie sie ist: eine junge, schlanke Nichtraucherin. Er verordnete Blutdruck senkende Medikamente (die ohne großartige Wirkung bleiben sollten) – und schickte Anna Mittermüller zum Nephrologen. Nach dem Termin dort, an einem Montag, überschlugen sich die Ereignisse.

Conn-Adenom: Gutartiger Tumor in der Nebenniere

Gleich am Abend hatte Mittermüller eine Nachricht des Nephrologen auf der Mailbox: „Bitte melden Sie sich sofort, Ihre Kaliumwerte sind deutlich zu niedrig, ihr Aldosteron viel zu hoch . . .“ Am Dienstagmorgen hieß es: Verdacht auf Conn-Adenom. Mittermüller hatte nie davon gehört, erfuhr, dass es sich um einen gutartigen Tumor in der Nebenniere handelt, einem Organ, das Hormone produziert, unter anderem Aldosteron. Es beeinflusst die Blutsalze, Kalium etwa; es regelt zudem zusammen mit anderen Hormonen den Blutdruck.

Der Nephrologe kümmerte sich persönlich um einen MRT-Termin für seine Kassenpatientin am Mittwoch; die Bilder bestätigten seinen Verdacht. „Er empfahl mir ‚den Besten‘ für die unumgängliche Operation, Professor Martin Walz in Essen“ – und telefonierte mit dem Kollegen. Am Donnerstag machte die Dortmunderin in dessen Sekretariat einen Termin aus, Walz ist Direktor der Klinik für Chirurgie und Minimalinvasive Chirurgie an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). Am Freitagmorgen wurde sie operiert.

Joggen auf Station - Nur wenige Stunden nach ihrer Nieren-OP joggen die Patienten schon wieder. Interview mit Prof Martin Walz und Patientin Anna Mittermüller (26) zu der von Prof. Walz entwickelten OP-Technik im Juysensstift in Essen am Mittwoch den 08.01.2025.  Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

„Wir machen das gerne so, so schnell wie möglich. Wenn zwischen Diagnose und Therapie zu viel Zeit liegt, fängt das Gehirn doch nur an zu rattern.“

Prof. Martin Walz
Direktor der Klinik für Chirurgie und Minimalinvasive Chirurgie an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM)

„Wir machen das gerne so“, sagt Walz, „so schnell wie möglich. Wenn zwischen Diagnose und Therapie zu viel Zeit liegt, fängt das Gehirn doch nur an zu rattern.“ Anna Mittermüller erzählt, es sei ihr erster Krankenhaus-Aufenhalt gewesen, aber dass ihr schlicht die Zeit fehlte, „sich Gedanken zu machen“. Auf dem Weg in den OP-Saal habe ihre größte Sorge den Zugängen gegolten, die man ihr vor dem Eingriff für die Vollnarkose legen musste. „Nadeln sind nicht so mein Ding....“.

„Eine riesige OP für einen so kleinen Tumor“

Rund 45 Minuten dauerte der Eingriff, die sogenannte „Retroperitoneoskopische Adrenalektomie“. Walz hat das minimalinvasive Verfahren 1994 entwickelt. Heute nutzten es 30 Prozent seiner Kollegen, sagt er, „weltweit“. Selbst in Korea („da sind es sogar 80 Prozent“), in Australien oder den USA.

Essen - Joggen auf Station
Dankbare Kollegen aus Amerika schenkten Martin Walz, der sie geschult hatte, dieses Bronze-Nashorn, das heute sein Büro ziert. Es ist das Symbol des US-Berufsverbands der „Endocrine Surgeons“.  © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Dabei hatte Walz, 1994 noch Oberarzt am Uniklinikum Essen, eigentlich nur Zeit sparen, ein schnelleres OP-Verfahren entwickeln wollen. Fünf Stunden Zeit brauchten die Chirurgen damals für den bis dato üblichen großen „Leibschnitt“, um einen Tumor in der Nebenniere zu entfernen. „Eine riesige OP für einen so kleinen Tumor“, dachte sich Walz. Denn längst nicht alle Conn-Adenome seien so groß wie der von Anna Mittermüller. Mit drei Zentimetern war der „gewaltig“ – und „sicher fünf Jahre alt“, glaubt ihr Arzt.

MIt jedem Patienten einmal über den Flur traben: „Alter schützt vor Joggen nicht“

1994 sei die „kreative Schlüsselloch-Chirurgie gerade im Aufbruch“ gewesen; heute ist sie bei Nebennieren-Operationen Standard. Doch noch immer wird meist von vorn operiert, durch den Bauch. Der „Clou“ bei seiner Methode, erklärt Walz, sei, dass er über einen winzigen, keinen zwei Zentimeter langen Schnitt seitlich am Rücken einen Weg fand, die Nebenniere zu erreichen, ohne dabei das schmerzempfindliche Bauchfell verletzen zu müssen. „Denn tatsächlich liegen Niere und Nebenniere gar nicht im Bauch, sie sind nicht vom Bauchfell umschlossen. Die Nebenniere liegt aber 20 Zentimeter tief mitten im Körper, links neben der Hauptschlagader.“

Kamera und „Dissektionsgerät“ führt er über diesen einen Schnitt ein, das eine mit der linken, das andere mit der rechten Hand. Dass diese Methode für die Patienten schonender ist als andere -- „darüber wunderten wir uns anfangs nur, dann begriffen wir, dass es damit zu tun hat, dass wir das Bauchfell unangetastet ließen.“

Joggen auf Station - Nur wenige Stunden nach ihrer Nieren-OP joggen die Patienten schon wieder. Interview mit Prof Martin Walz und Patientin Anna Mittermüller (26) zu der von Prof. Walz entwickelten OP-Technik im Juysensstift in Essen am Mittwoch den 08.01.2025.  Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

„Ich weiß wirklich zu schätzen, dass die ganze Sache so unkompliziert gelaufen ist. Das ist nicht selbstverständlich.“

Anna Mittermüller
Patientin

Als Anna Mittermüller nach der Operation aufwachte, fühlte sie sich „überhaupt nicht schlapp, wie ich erwartet hätte“. Schmerzen habe sie auch keine gehabt, „nur ein bisschen Ziehen in der Narbengegend“. Sie durfte sofort aufstehen, trinken, essen. „Und dann stand auch schon Professor Walz an meinem Bett und fragte, ob ich eine Runde mit ihm rennen wolle, auf dem Flur.“ Die Patientin glaubte an einen Scherz. Aber der Chirurg macht das mit allen seinen Patienten so, auch mit den 80-Jährigen. „Alter schützt vor Joggen nicht“, sagt er lachend. Die kurze Runde über den Flur soll allen beweisen: „Ihr seid wieder fit, dürft euch wieder normal bewegen!“

Ärzte aus aller Welt lassen sich in Essen schulen

„Es ging mir richtig gut“, staunte Anna Mittermüller, „eigentlich hätte ich am Freitagabend schon nach Hause gehen können.“ Binnen einer Woche normalisierte sich auch ihr Blutdruck. Heute kommt sie ganz ohne Medikamente aus. Am Sonntag, zwei Tage nach der Operation, durfte sie heim, eine Woche später kehrte sie zurück in den Job.

„Ich weiß wirklich zu schätzen, dass die ganze Sache so unkompliziert gelaufen ist“, sagt die stellvertretende Leiterin einer Kindertagesstätte heute. Fünf Jahre, weiß sie inzwischen, dauert es im Schnitt bis zur Diagnose eines Conn-Adenoms. Sie erzählt, dass sie heute bewusster auf ihren Körper und dessen Signale achte – und allen Freunden rate: „Lasst mal euren Blutdruck checken!“ Conn-Adenome entstünden „zufällig“, bestätigt Walz, daher sei die beste Vorbeugung, „dran zu denken, dass es sowas gibt“.

Vier Stunden nach ihrer Tumor-OP joggt Anna über den Klinikflur

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    Denn das Conn-Adenom sei eine „Rarität“, sagt Walz. Bundesweit seien nur ein paar hundert Fälle bekannt. Aber die Erkrankung könne „mit einer Katastrophe enden, Patienten auch umbringen, etwa wenn es zu Herz-Rhythmus-Störungen kommt.“ Anna Mittermüller habe auch viel Glück gehabt, sie sei jung, sie habe ein starkes Herz. Ein solcher Tumor müsse immer operiert werden – am besten, wirbt er, „mit meiner Methode“. Lediglich für Tumoren, die größer als acht Zentimeter sind, tauge sie nicht. Und die seien selten. 50 Prozent der Patienten würden geheilt, der Blutdruck bei weiteren 30 Prozent verbessere sich deutlich.

    Mehr als 3100 solcher Tumoren haben der Essener Spezialist und sein Team inzwischen operiert, 150 Eingriffe sind es heute jährlich an den KEM. Keine andere Klinik in Europa mache auch nur halb so viele, sagt er. Aus ganz Deutschland und darüber hinaus kommen die Patienten dafür nach Essen. Und die Kollegen aus aller Welt sowieso – um sich schulen zu lassen.

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