Ruhrgebiet. „Junges, dynamisches Team sucht...“ Auf dem Arbeitsmarkt haben ältere Menschen es schwer. Warum das nicht nur an den Lebensjahren liegt.
Ab wann zählen Menschen auf dem Arbeitsmarkt zum alten Eisen? Offensichtlich ist: Arbeitssuchende, die älter sind als 50 Jahre, haben es schwer, wieder zurück in den Job zu kommen. Und das, obwohl Fachkräfte einigermaßen verzweifelt gesucht werden. Unternehmen tun den Älteren keinen Gefallen damit, sie nicht mehr anzustellen, sagen Experten. Sich selbst aber auch nicht.
Von gut 773.000 Nordrhein-Westfalen, die im August arbeitssuchend gemeldet waren, hatten 256.000 das 50. Lebensjahr bereits überschritten, das ist ziemlich genau ein Drittel. Unter diesen Arbeitslosen 50+ waren fast 180.000 bereits 55 Jahre alt und älter. Heruntergerechnet auf das Ruhrgebiet zählte die Agentur für Arbeit im vergangenen Monat 57.000 Menschen über 55 ohne Arbeit. Woran liegt das?
Die Alten sind den Unternehmen zu teuer
„Unternehmen“, beobachtet Sebastian Dettmers, „scheinen ein Problem mit dem Älterwerden zu haben.“ Der Geschäftsführer des Jobportals „Stepstone“ beobachtet auf dem Markt eine „Altersdiskriminierung“. Viele Firmen betrieben mit Vorruhestandsprogrammen und Altersteilzeitangeboten „Personalabbau durch die Hintertür“. Das passiere in Zeiten des Fachkräftemangels zwar zunehmend weniger, ergab eine Appinio-Umfrage unter 400 Personalchefinnen und -chefs für die Plattform „Indeed“ aus 2022. Bei Neueinstellungen aber setzten sie nicht zuletzt wegen der meist mit dem Alter steigenden Gehaltsansprüche eher auf Jüngere.
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Und ziehen bei der Suche nach Verstärkung deutliche Altersgrenzen: Laut der Studie sind 55-Jährige für knapp die Hälfte derer, die Personal einstellen, schon zu alt. Befragt nach dem Thema Diskriminierung sehen die Personalverantwortlichen die größte Gefahr sogar selbst zu einem Viertel beim Alter – nur knapp hinter der Herkunft eines Bewerbers. An älteren Kolleginnen und Kollegen haben sie viel zu kritisieren: Genannt werden mangelnde Flexibilität, häufigere Krankheiten, veraltetes Wissen, hohe Lohnkosten und „Probleme mit jungen Vorgesetzten“.
Gefragt: „Millennials“ und „Digital Natives“
Ihre Auswahlkriterien nennen sie den Bewerbern durch die Blume auch. In Stellenausschreibungen sucht man „neue“ oder „frische Kräfte für junges Team“. Subtil, aber deutlich, beklagt „Stepstone“-Chef Dettmers: Man werbe um Personal ausdrücklich mit Stichworten wie „junges dynamisches Team“ und Startup-Kultur, gefragt seien „Millennials“ oder „Digital Natives“. Da fallen die „Alten“ nicht nur rein sprachlich durchs Raster.
Und das zeigt Wirkung. Die Mehrheit der Älteren fühlt sich in Stellenanzeigen nicht angesprochen. Wenn dort das Wort „jung“ steht, fühlen sich laut der „Indeed“-Befragung mehr als zwei Drittel schon der über 45-Jährigen nicht mehr angesprochen – was sie vermutlich auch nicht sind. Fast die Hälfte der Befragten dieser Altersgruppe hat das Gefühl, bei der Bewerbung für einen Job wegen des Alters benachteiligt zu werden. Mehr als 42 Prozent glaubten, aufgrund ihres Alters mehr Absagen zu bekommen als Jüngere. Nur ein Drittel hatte den Eindruck, vom Fachkräftemangel zu profitieren und eher häufiger eingeladen zu werden.
Arbeitnehmer über 50 blicken pessimistisch in die Zukunft
Eine Umfrage von „Stepstone“ aus dem Frühjahr 2024 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Das Portal befragte deutschlandweit Menschen zu ihren Erwartungen auf dem Arbeitsmarkt, darunter 1900 aus NRW. Danach blickten Arbeitssuchende über 50 pessimistisch in die Zukunft: Mehr als die Hälfte (55 Prozent) gehen davon aus, im nächsten halben Jahr weiterhin keinen Job zu finden. Unter Gleichaltrigen, die noch im Job waren, fürchtete mehr als jeder Vierte (27 Prozent), im nächsten halben Jahr seinen Job zu verlieren.
Allerdings liegen die Probleme der 50-Plusser auf dem Arbeitsmarkt nicht ausschließlich am Alter. Wie aus der Statistik der Agentur für Arbeit hervorgeht, ist der größte Teil der älteren Arbeitssuchenden nur geringqualifiziert. Rund 100.000 Menschen fallen in diese Kategorie, suchen also nur eine Helfertätigkeit. NRW-weit hatten im August 93.600 der arbeitslosen Über-55-Jährigen keine Ausbildung, 35.000 nicht einmal einen Schulabschluss. Mehr als 55.000 hatten einen Hauptschulabschluss, nur wenig mehr als 22.000 Abitur. „Das zeigt“, sagt ein Sprecher der Agentur, „dass Schwierigkeiten nicht alleine vom Alter herrühren müssen, sondern dass häufig auch andere Herausforderungen hinzukommen, die die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erschweren.“
Arbeitnehmer bleiben dem Chef zehn Jahre treu, Tendenz fallend
Trotzdem, glaubt „Stepstone“-Chef Dettmers, ließen sich die dortigen Lücken gerade durch die Teilhabe älterer Menschen schließen. Es sei sogar „ökonomisch zwingend“, auf ältere Menschen zu setzen. Der Geschäftsführer des Jobportals rechnet vor, dass unter Menschen mit 60 die meisten noch sieben, wenn nicht zehn Jahre arbeiten könnten. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit liege genau bei zehn Jahren, Tendenz ohnehin fallend. Tatsächlich sind laut Umfrage Arbeitnehmer über 50 aus NRW ihrem Arbeitgeber durchschnittlich gut 13 Jahre treu geblieben. Unter 50 sind es das nur noch etwa sieben Jahre.
Die These bestätigt „Stepstone“-Arbeitsmarktexperte Tobias Zimmermann. „Niemand ist mehr 40 Jahre auf einen Beruf festgelegt“, der Arbeitsmarkt werde flexibler, „der Quereinstieg ist hochaktuell“. Gerade in Zeiten, in denen offene Stellen immer länger unbesetzt blieben. Man müsse, sagt auch Dettmers, „Jobangebote und Arbeitsumgebungen schaffen, die unterschiedlichen Karriere- und Lebensphasen gerecht werden“. Zumal die „Alten“ ja auch Dinge besonders gut können. Von „Indeed“ befragt, für welche ihrer Eigenschaften sie sich mehr Wertschätzung wünschen, antworteten 70 Prozent „berufliche Erfahrung“, 58 Prozent „Zuverlässigkeit“, 34 Prozent warfen eine abgeschlossene Familienplanung in die Waagschale. Immerhin 30 Prozent wollen ihre Leistungsbereitschaft höher bewertet wissen – genau die Punkte, die Personalchefs bei älteren Mitarbeitern tatsächlich besonders schätzen.
Insgesamt sähen Menschen über 50 allerdings auch selbst zu schwarz, glaubt Experte Zimmermann. Unternehmen, die den Arbeitskräftemangel anerkennen würden und langfristig dächten, suchten und förderten gezielt auch ältere Arbeitnehmende. „Wer sagt eigentlich, es ist unmöglich im Alter dazuzulernen oder in ‚junge dynamische Teams‘ zu passen?“