Essen/Düsseldorf. In NRW gab es 2023 so viele Jobs wie nie, trotzdem stieg die Arbeitslosigkeit. Eine Gruppe hat es bei der Jobsuche besonders schwer.
Der wirtschaftlich angespannten Lage zum Trotz: 2023 birgt für den Arbeitsmarkt in NRW einen Rekord. Aktuell gibt es im größten Flächenland Deutschlands so viele sozialversicherte Jobs wie nie zuvor. Dieses Jahr ist deshalb aber keines zum Jubeln: Die Arbeitslosigkeit im Land ist gestiegen, der Jobaufbau schwächelt und die Nachfrage nach Arbeits- und Fachkräften ist gesunken.
Der Arbeitsmarkt sei nicht so vorangekommen wie erhofft, sagte Roland Schüßler, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW, bei der Vorstellung der Arbeitsmarktbilanz am Freitag.
Die wirtschaftlich angespannte Situation habe zugleich die größte Baustelle offengelegt. „Während der Arbeitsmarkt für Fachkräfte nur wenig beeinträchtigt wurde, sinken für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Qualifikation die Chancen, eine neue Arbeit zu finden.“
Rekord in NRW: 7,3 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs
Prägend für den Arbeitsmarkt war laut Arbeitsagentur das Frühjahr. Die Energiekrise verunsicherte Unternehmen, die Frühjahresbelebung blieb nahezu aus. Im Herbst wurde ein Aufschwung vor allem dadurch abgeschwächt, dass im produzierenden Gewerben deutlich weniger Arbeitskräfte nachgefragt waren als erwartet.
Knapp 7,3 Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs zählte die Regionaldirektion der Arbeitsagentur zuletzt – bis Jahresende werden es wohl knapp 7,4 Millionen sein. Ein Allzeithoch. Innerhalb von nur fünf Jahren haben die Unternehmen und Institutionen in NRW knapp eine halbe Million zusätzlicher Stellen geschaffen.
Dieser Zuwachs wäre ohne Zuwanderung nicht möglich gewesen wäre: Fast zwei Drittel der zusätzlichen Stellen konnten durch Zugewanderte und Geflohene besetzt werden.
Nachfrage nach Fach- und Arbeitskräften sinkt in NRW
Der Stellenzuwachs flachte 2023 ab und auch die Nachfrage nach neuen Fach- und Arbeitskräften sank. Zwischen Dezember 2022 und November 2023 sind den Jobcentern rund 312.000 offene Arbeitsstellen gemeldet worden – die geringste Zahl seit 2000, so BA-Chef Schüßler. Aktuell sind knapp unter 150.000 Stellen offen.
Auch bei der Arbeitslosenquote zeigt sich der Einfluss der Zuwanderung: Obwohl insgesamt mehr Jobs geschaffen worden sind, ist die Arbeitslosenquote leicht auf 7,2 Prozent gestiegen. 707.164 Menschen ohne Arbeit waren den Jobcentern gemeldet, rund 38.600 bzw. 5,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Allein knapp 25.000 davon waren Ukrainer oder Menschen aus den acht stärksten Asylherkunftsländern. Hinzu seien ältere Erwerbslose gekommen, die wegen einer rechtlichen Änderung in die Statistik aufgenommen sind, so die BA.
Das eigentliche Problem aber: Insgesamt sind nicht genug Arbeitslose in Beschäftigung vermittelt worden. 2023 gab es hier kaum Bewegung: Seit 2018 sind gerade einmal 216.000 Menschen in Arbeit gebracht worden – zugleich kamen knapp 136.000 neue Arbeitslose hinzu.
Große Probleme für ungelernte Kräfte
Besonders schwer haben es ungelernte Kräfte. Die Anzahl der ausgeschriebenen Stellen für Helferinnen und Helfer ist 2023 um 17, 3 Prozent zurückgegangen – deutlich mehr als bei Fachkräften oder Höherqualifizierten. Ungelernte Kräfte machen mehr als die Hälfte aller arbeitslosen Menschen in NRW aus.
Die BA-Fachleute machen deutlich: Das Risiko, überhaupt erst arbeitslos zu werden, sinkt mit einem Berufsabschluss. 23,1 Prozent aller ungelernten Menschen im erwerbsfähigen Alter hatten 2022 keinen Job. Bei Menschen mit Berufsabschluss liegt die Quote lediglich bei 3,2 Prozent – das entspricht fast Vollbeschäftigung. Das Gebot der Stunde müsse Qualifizierung sein, sagte Schüßler am Freitag.
BA-Chef: Auch mit schlechterem Deutsch in den Arbeitsmarkt integrieren
Eine große Herausforderung sei die Integration von Geflohenen in den Arbeitsmarkt. Schüßler warb dafür, dass gerade Ukrainerinnen und Ukrainern auch dann schon in Arbeit gebracht werden müssten, wenn sie noch nicht perfekt Deutsch sprechen.
„Die Menschen aus der Ukraine verfügen häufig über genau die Potenziale, die gerade in Bereichen gebraucht werden, die stark von Fachkräfteengpässen geprägt sind“, so der BA-Chef. Derzeit gebe es knapp 42.000 arbeitslose Ukrainer, aber auch nochmal so viele Arbeitssuchende, die vermehrt in Integrationskursen oder BA-Maßnahmen seien und bald dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden.
Dass das gelingen kann, zeigt die Entwicklung bei den Beschäftigungszahlen: 2023 waren knapp 24.000 Ukrainer in Arbeit. 2022 waren es noch 13.000 Menschen.
Gewerkschaft fordert mehr Qualifizierung, Arbeitgeber weniger Belastung
Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) NRW, hält eine Qualifizierungsoffensive für unerlässlich, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Die Bundesregierung habe die Bedingungen geschaffen, nun sei es an den Unternehmen, diese in die Praxis umzusetzen.
Das größte Potenzial sehe sie bei jungen Menschen, aber auch Frauen, die vielfach in Minijobs steckten. „Die ungenutzten Potenziale auf dem NRW-Arbeitsmarkt sind lange bekannt, jetzt gilt es, sie endlich zu heben“, sagte die DGB-Chefin.
Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff unterstrich das hohe Verantwortungsgefühl der Unternehmen, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen an Arbeits- und Ausbildungsplätzen festzuhalten. Zugleich dürfe man den robusten Arbeitsmarkt nicht als selbstverständlich ansehen. Die Lage sei ernst, die Aussichten unterm Strich schlecht. Nötig seien eine weniger „lähmende Bürokratie“ und niedrigere Lohnzusatzkosten.
Wie schon in der Pandemie sollten die Beitragssätze in der Sozialversicherung auf 40 Prozent begrenzt werden, sagte der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen. „Die zu hohen Lohnzusatzkosten verteuern die im internationalen Vergleich ohnehin schon hohen Arbeitskosten und sind so eine Belastung für den Arbeitsmarkt.“