Duisburg. In Duisburger Kitas soll es zu sexualisierten Übergriffen unter Kindern gekommen sein. Mütter werfen dem Träger vor: „Wir wurden alleingelassen.“

Was geht in einer Mutter oder einem Vater vor, wenn das Kind plötzlich nicht mehr in die Kita möchte? Wenn es ungewohnt aggressiv wird, ständig in Konflikte mit anderen Kindern gerät? Wenn es in der Nacht vor Alpträumen schreiend aufwacht? Und wie fühlen sich Eltern, wenn sie den Verdacht haben, dass das Verhalten ihres Kindes möglicherweise mit sexuellen Übergriffen in der Kita zu tun hat?

Eltern aus Duisburg machen gerade genau das durch. In Duisburger Kitas soll es zu sexualisierten Übergriffen durch andere Kinder gekommen sein. Darüber berichtete kürzlich die WAZ. Die Recherche finden Sie hier: Machtmissbrauch in Duisburger Kitas: Doktorspiele oder mehr?

Um die Kinder zu schützen, nennen wir weder Träger und Kita, noch die Namen der Kinder. Zwei Mütter, die zum Schutz ihrer Kinder anonym bleiben möchten, erzählen von einer Zeit, die ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt und für immer verändert hat. Da die Schilderungen verstörend sein können, ist eine Triggerwarnung an dieser Stelle angebracht.

Mutter: „Dass mein Kind betroffen sein könnte, hat meine Vorstellungskraft überschritten“

Lesen Sie hier das Protokoll einer betroffenen Mutter, die sich von der Kita im Stich gelassen fühlt: „Ich hatte schon lange ein komisches Gefühl. Lange, bevor die Fälle öffentlich wurden. Denn vom einen auf den anderen Tag hat sich mein Kind mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, in die Kita zu gehen. Und wenn es dann blieb, nässte es sich ein, manchmal mehrfach am Tag. Dieses Verhalten kannte ich von meinem Kind vorher nicht.

Ich war alarmiert. Und ich habe immer wieder in der Kita nachgefragt, was bloß mit meinem Kind los sein könnte. Dort sprach man von einer „Phase“, in der es sich gerade befindet. Man versuchte mich damit zu beruhigen, dass mein Kind ganz einfach „verträumt“ sei. Zu Hause konnte ich das nicht wahrnehmen.

Irgendwann habe ich über den Flurfunk von möglichen sexuellen Übergriffen erfahren, die ein Junge an anderen Kindern verübt haben soll. Das habe ich aber zuerst gar nicht mit dem Verhalten meines Kindes in Verbindung gebracht, dieser Gedanke hat meine Vorstellungskraft überschritten.

Hier finden Sie alle Texte zum Thema auf einen Blick

Mutter erfährt von sexualisierter Gewalt: „Ich kann das Gefühl nicht in Worte fassen“

Während einer regulären Untersuchung beim Kinderarzt zeigte mein Kind jedoch Verhaltensauffälligkeiten, die auf mögliche sexuelle Übergriffe hindeuteten (ein entsprechendes ärztliches Gutachten liegt dieser Redaktion vor).

Letztes Jahr im Sommer hat mich die Erkenntnis plötzlich wie ein Schlag getroffen: Mein Kind ist betroffen. Es fing an, zu erzählen. Es berichtete von Stöcken, die es immer wieder für einen Jungen sammeln sollte. Das kam mir komisch vor. Da habe ich angefangen, offene Fragen zu stellen. Doch immer, wenn die Sprache auf den Jungen kam, war es wie versteinert.

Einmal hat mein Kind über Schmerzen am Po geklagt. Während ich es eincremte, fragte ich, ob es das öfter hatte. Da erzählte es plötzlich erneut von dem Jungen: „Mama, er hat piks, piks, piks gemacht, mit den Stöcken. Durch den Popo in den Bauch.“ Ich kann nicht in Worte fassen, wie sich dieser Moment für mich anfühlte. Nach den Sommerferien habe ich mein Kind aus der Kita genommen.

Sexualisierte Übergriffe in Kitas: „Dankbar, dass mein Kind jetzt in Sicherheit ist“

Dann habe ich mich an die Kita gewandt. Es folgte ein Gespräch, aus dem ich nicht viel mitnehmen konnte. Zudem wurde ich vom Träger zu einem Treffen eingeladen (das Schreiben liegt dieser Redaktion vor). Wegen meiner Arbeit und zusätzlich der Kinderbetreuung musste ich den Termin absagen. Stattdessen habe ich meine Fragen per Mail gestellt (die Mail liegt dieser Redaktion vor). Ich fragte unter anderem, welche Maßnahmen die Kita ergreifen würde, wenn ich mein Kind wieder dort hinbringen würde. Als Antwort bekam ich die schriftliche Kündigung, mit der Begründung, dass „eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich“ ist (das Schreiben liegt der WAZ vor).

Aus meiner Sicht wird zu wenig getan, um die Fälle aufzuarbeiten. Die Konsequenz aus den Vorfällen kann doch nicht sein, Eltern den Kitaplatz zu kündigen. Ich bin so dankbar, dass mein Kind nun in Sicherheit ist. Aber es bleibt das Gefühl, dass wir alleingelassen wurden.“

„Aus meiner Sicht wird zu wenig getan, um die Fälle aufzuarbeiten“, sagt die Mutter eines Kita-Kindes aus Duisburg. In der Kita soll es zu sexuellen Übergriffen durch Kinder gekommen sein. (Symbolbild)
„Aus meiner Sicht wird zu wenig getan, um die Fälle aufzuarbeiten“, sagt die Mutter eines Kita-Kindes aus Duisburg. In der Kita soll es zu sexuellen Übergriffen durch Kinder gekommen sein. (Symbolbild) © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Mutter aus Duisburg: „Plötzlich hat das Verhalten meines Kindes einen Sinn ergeben“

Lesen Sie hier das Protokoll einer weiteren Mutter, deren Kind plötzlich nicht mehr in die Kita wollte: „Als ich von den sexuellen Übergriffen durch einen Jungen in der Kita erfahren habe, bin ich zuerst aus allen Wolken gefallen. Doch plötzlich ergab alles irgendwie einen Sinn. Aus der Kita wurde mir seit Sommer 2020 immer wieder berichtet, dass mein Kind unruhig und häufig in Konflikten mit anderen Kindern ist. Hatte es einen Wutanfall, schmiss es sich auf den Boden und ließ sich nicht mehr beruhigen. Und zu Hause fing es an zu stottern. Ich war schockiert, so kannte ich mein Kind nicht.

Wir waren bei mehreren Ärzten. Zu dem auffälligen Verhalten kamen häufig Blasenentzündungen dazu. Es folgten Infektionen im Genitalbereich und Wurmerkrankungen (entsprechende Befunde liegen der WAZ vor). Dazu kamen psychische Symptome - Schlafstörungen, Bauch- und Kopfschmerzen, Alpträume, Panikattacken. Nachts klammerte es sich an uns, konnte nicht mehr allein im Bett schlafen. Ich konnte mein Kind nicht mal mehr für ein paar Minuten allein im Auto sitzen lassen. In den Kindergarten wollte es schon gar nicht.

In der Kita habe ich immer wieder nachgefragt, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Sorgen nicht ernst genommen wurden. Schließlich habe ich einen Kinderpsychologen aufgesucht. Auch der stellte fest, dass sich mein Kind auffällig verhält.

Sexuelle Gewalt durch Kita-Kinder: „Für mich als Mutter war das unerträglich“

Mein flaues Gefühl im Magen wurde immer stärker. Deshalb habe ich Kinderbücher zum Thema Aufklärung und Selbstbestimmung gekauft. Als ich meinem Kind gerade ein Buch über gute und schlechte Geheimnisse vorgelesen hatte, sagt es plötzlich: „Mama, mir ist etwas ganz Schlimmes passiert.“ Und fing an, zu weinen. Ich habe einfach nur zugehört. Auch wenn das für mich als Mutter unerträglich war.

Lesen Sie hier: Sexuelle Gewalt unter Kita-Kindern: So schützen Sie Ihr Kind

Mein Kind erzählte mir, dass der Junge seine Finger in sämtliche Körperöffnungen gesteckt hatte, sogar seinen Penis einführen wollte. Ein anderes Kind erzählte, dass es beobachtet hatte, wie mein Kind Kugeln „auspupsen musste“, die ihm zuvor von einem Jungen in den Po gesteckt wurden. Bei den Schilderungen, hatte ich das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen.

Ich habe die Kita und den Träger konfrontiert. Passiert ist nichts. Aufklärung hat nach meiner Empfindung nicht stattgefunden. Dabei hätte ich mir so sehr Handlungsempfehlungen gewünscht. Ich habe mich dann mit Eltern ausgetauscht, deren Kindern Ähnliches zu Hause erzählt hatten. Bald darauf wurde mein Kind von der Kita beurlaubt (das Schreiben liegt der WAZ vor).

Sexuelle Übergriffe: „Seitdem mein Kind aus der Kita raus ist, sind die Infektionen weg“

Seitdem mein Kind nicht mehr in die Kita geht, sind auch die Infektionen weg. Aber eines ist geblieben: Sein schwaches Selbstvertrauen. Es traut sich vieles noch nicht alleine zu, zum Beispiel, wie die anderen Kinder, alleine zur Schule zu gehen.“

Mit diesen Protokollen wollen wir die Ereignisse mit dem Blick der Eltern beschreiben und schildern, was sie empfinden. Ungewiss ist, was genau passiert ist. Hierzu gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Entgegen den Anschuldigungen der Eltern hat der Träger nach eigener Darstellung viel getan. Ein Kinderarzt zweifelt zudem das Ausmaß der geschilderten Fälle an.

>>>Hilfe finden Betroffene etwa hier: Kinderschutzbund NRW und Zartbitter e.V.

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