Düsseldorf. Die Inflation treibt die Kosten für die Kinderbetreuung. Die Hilferufe der Träger werden immer lauter. Schließen bald die ersten Kitas?
Seit Jahren ist von der Krise der Kitas in Nordrhein-Westfalen die Rede, und dabei ging es in erster Linie um den Personalmangel. Angesichts der zuletzt hohen Inflation geraten diese Einrichtungen aber auch finanziell immer stärker unter Druck. Es gehe nun um ihre nackte Existenz, warnt die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG) in NRW.
Ein, zwei oder drei Prozent Inflation könnten die Kita-Träger gut wegstecken, obwohl sie in jedem Jahr gezwungen seien, in Vorfinanzierung zu gehen, bis das Land seine Zahlungen nachträglich an die Kostensteigerung anpasse, erklärt Christian Woltering, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtspflege. Aber mit zehn Prozent Inflation könnten die Kitas nicht zurechtkommen, versichert er. Hohe Tarifabschlüsse für Erzieherinnen und Erzieher, explodierende Energiekosten und andere Kostentreiber seien existenzbedrohend für die Kindertagesbetreuung im Land.
Jetzt geht es ans Eingemachte
„Etwa zehn Prozent der Einrichtungen schätzen die Unterfinanzierung als bestandsgefährdend ein. Das bedeutet, dass etwa 1000 Kitas vor der Insolvenz stehen“, rechnet Woltering vor. Ein „Rettungspaket“ des Landes müsse her, sonst müssten viele Kitas in freier Trägerschaft, zum Beispiel die von Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, in den kommenden Monaten aufgeben. Städtische Kitas könnten wenigstens noch auf die Hilfe ihrer Kommune vertrauen. Aber die Städte müssten dann womöglich an anderen Stellen sparen, zum Beispiel Schwimmbäder oder Bibliotheken schließen.
Auch die Landtagsfraktionen von SPD und FDP warnen, dass es nun für die rund 10.000 Kindertageseinrichtungen im Land ans Eingemachte gehe. Sie erreichten den „kritischen Kipppunkt“, meint Marcel Hafke, familienpolitischer Sprecher der Liberalen. „Wenn jetzt nichts passiert, verlieren wir reihenweise Kitas, Betreuungsplätze und Fachpersonal für unsere Kinder.“
SPD fordert ein 500 Millionen Euro schweres Rettungspaket
Die SPD nennt sogar eine konkrete Summe. Sie fordert ein 500 Millionen Euro schweres Rettungspaket für die Kitas. Damit könne das Land den Kita-Trägern zumindest eine „Brücke“ zum Kita-Jahr 2024/25 bauen. Danach müsse über weitere Hilfe verhandelt werden.
Um den Kitas kurzfristig zu helfen, solle die Landesregierung die Träger vom Eigenanteil bei der Beschäftigung von Alltagshelferinnen und -helfern befreien, so die Sozialdemokraten. Wenn eine Kita eine solche Hilfskraft einstellt, muss sie bisher zehn Prozent der Kosten selbst tragen. Eine Kita, die vor der Pleite stehe, verzichte daher womöglich auf dieses dringend benötigte Personal, betont Dennis Maelzer, Kita-Experte der SPD.
Auch bei den mehr als 1000 so genannten Sprach-Kitas müsse der Eigenanteil wegfallen. Sprach-Kitas kümmern sich speziell um Kinder, die noch nicht gut Deutsch sprechen. "Rund 17 Prozent der Sprach-Kitas sind schon weg. Wenn das Land den Schuss nicht langsam hört, werden es bald noch mehr sein“, warnt Maelzer.
Land erinnert an die Hilfe, die es schon geleistet habe
Das NRW-Familienministerium hält sich zugute, die Sprach-Kitas mit eigenem Geld gerettet zu haben, nachdem der Bund im Sommer 2023 aus der Förderung ausstieg. Für das erfolgreiche Alltagshelfer-Programm stelle NRW im kommenden Jahr voraussichtlich 140 Millionen Euro bereit. Die „Verstetigung“ dieser Angebote sei ein wichtiger Schritt hin zu mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit für Erzieherinnen und Erzieher, für Eltern und Kinder. Schon zum Start ins aktuelle Kita-Jahr hatte NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) darauf hingewiesen, dass das Land mit 60 Millionen Euro aus einem Sondervermögen die gestiegenen Energiekosten, unter denen viele Kitas leiden, abfedere.
Das Problem: Das Land NRW gerät selbst finanziell immer mehr unter Druck.
„Wir sind uns sehr bewusst darüber, wie angespannt die Situation vielerorts ist“, erklärte das Familienministerium am Freitag auf Nachfrage dieser Zeitung. Ob die Landesregierung auf die Forderung der Opposition eingeht, die Kitas vom Eigenanteil zu befreien, ließ es allerdings offen.
Dass das Land NRW 90 Prozent und die Kita-Träger zehn Prozent der Kosten für das Alltagshelfer-Programm übernehmen, sei vergleichsweise großzügig. „Förderungen innerhalb der regulären Kita-Strukturen sehen in der Regel einen Eigenanteil von rund 40 Prozent vor, eine Vollfinanzierung gibt es nur im Ausnahmefall“, so das Familienministerium. Das Land wolle aber das Programm noch „weiterentwickeln“. Hört sich gut an, aber eine Zusage für eine Vollfinanzierung ist das nicht.
Nothilfe würde wohl auch nur ein Jahr reichen
Christian Woltering von der Freien Wohlfahrtspflege hält den Ruf der SPD nach einem Kita-Rettungspaket über 500 Millionen Euro für angemessen. Diese Nothilfe würde aber nur den Inflationsausgleich für das Jahr 2023 sichern. „Schon 2024 stehen die nächsten Lohnerhöhungen für das Kita-Personal an. Dann müsste noch einmal nachgelegt werden.“