Accra. Zurück in Ghana: Schalke-Star Gerald Asamoah will in seiner Heimat herzkranke Kinder retten. Doch für manche kommt jede Hilfe zu spät.
- Gerald Asamoah hatte viel Glück in seinem Leben, sagt er selbst. Geboren in einem kleinen Dorf in Ghana wurde er in Deutschland zum Fußballstar und auf Schalke zur Legende.
- Dabei hätte ein Herzfehler fast seine Karriere zerstört.
- In seinem Heimatland Ghana will er nun herzkranken Kindern helfen – zusammen mit einem Ärzteteam aus Duisburg. Doch für manche Kinder kommt jede Hilfe zu spät.
Erica hat ihr schönstes Kleid angezogen. Sie rennt Hand in Hand mit einem Jungen durch das Wartezimmer im Krankenhaus. Das Lachen der beiden hört Ex-Fußballstar Gerald Asamoah schon von Weitem. Als er bei ihnen ankommt, verstecken sich Erica und ihr Bruder Eric hinter den Beinen ihrer Mutter. „Sie sind Zwillinge“, sagt ein Arzt zu Asamoah. Dieser schüttelt ungläubig den Kopf.
Eric ist viel größer, viel stärker als seine Schwester. Dass Erica nicht aussieht wie eine normale Dreijährige, weil mit ihrem Herzen etwas nicht stimmt, wissen ihre Eltern schon länger. Doch für den nötigen Eingriff fehlte ihnen jahrelang das Geld. Als sie erfuhren, dass ein Team aus Deutschland ihre Tochter umsonst behandeln würde, haben sie keine Minute gezögert. Vor Tagen haben sie sich in ihrem Dorf im Norden Ghanas aufgemacht in die Hauptstadt Accra. Die Fahrt war so teuer, dass sie sich verschulden mussten. „Und jetzt müssen wir ihnen sagen, dass wir nichts mehr für ihre Tochter tun können“, sagt der Arzt.
Schalke-Legende Gerald Asamoah gab nach Herzkrankheit ein Versprechen
Wäre Erica in Deutschland geboren, wäre das Loch in ihrem Herzen kurz nach der Geburt erkannt worden. Wäre Erica in Deutschland geboren, hätte sie längst einen Katheter-Eingriff gehabt. Wäre Erica in Deutschland geboren, könnte sie ein normales Leben führen. Aber jetzt ist die Erkrankung schon so weit fortgeschritten, dass Medikamente die Symptome lediglich lindern können. Mit Glück wird sie ihren 15. Geburtstag feiern können. Aber arme Menschen haben selten Glück.
Wir haben Gerald Asamoah auf seiner Reise nach Ghana begleitet.
- Gerald Asamoah wurde in Deutschland zum Fußball-Star und auf Schalke zur Legende. Dabei hätte ein Herzfehler seine Karriere fast zerstört, bevor sie begann. Wie seine Krankheit sein Leben beeinflusst hat, wie er in Ghana aufgewachsen ist und was ihn noch heute mit seinem Heimatland verbindet, lesen Sie im Interview: Schalke-Star Gerald Asamoah: „Kampf ist noch lange nicht vorbei“
- Die kleine Joana dachte lange, dass sie Asthma hat. Doch dann stellten Ärzte fest, dass sie ein Loch im Herzen hat. Warum die Diagnose ohne Gerald Asamoah vermutlich ihr Todesurteil bedeutet hätte: Joana (9) von Asamoah gerettet: „Habe keine Luft bekommen“
Gerald Asamoah hatte hingegen viel Glück in seinem Leben, sagt er selbst. Geboren in einem kleinen Dorf in Ghana wurde er in Deutschland zum Fußballstar und auf Schalke zur Legende. Dabei hätte ein Herzfehler seine Karriere fast zerstört, bevor sie wirklich begann. Damals habe er sich geschworen: „Wenn ich jemals wieder auf dem Platz stehen kann, will ich etwas zurückgeben.“ Dieses Versprechen löst er nun in seinem Heimatland ein.
Zusammen mit der Bonner Organisation „Kinderherzen“ will Asamoah mit seiner Stiftung herzkranken Kindern helfen. In einer Woche wird ein medizinisches Team vom Herzzentrum des Evangelischen Klinikums Niederrhein in Duisburg ehrenamtlich sieben Kinder am offenen Herzen operieren und bei 16 Kindern einen lebensrettenden Katheter-Eingriff vornehmen.
Gerald Asamoahs Tag im Krankenhaus beginnt auf der „Step Down“-Station. Gilbert wirft einen gelben Luftballon durch das Zimmer. Aviana schläft eingewickelt in eine dicke Decke im Arm ihrer Mutter. Die beiden haben die Eingriffe schon hinter sich. „Ich habe meiner Tochter gesagt, dass ihr Engel seid. Ihr seid gekommen, um sie zu retten“, sagt ein Vater, als Gerald Asamoah am Bett seiner Tochter stoppt. Asamoah streichelt dem Mädchen, das seine Haare zu Rastazöpfen geflochten trägt, über den Kopf.
Zu Besuch in Asamoahs Heimat: Krankenhaus gleicht einer Geisterstadt
Dann verlässt er das Zimmer, bahnt sich durch das Labyrinth an zahlreichen Gängen, Treppen und Behandlungszimmern seinen Weg zum OP-Saal. Vor einem Raum auf der Intensivstation stoppt er. Nur eine Lampe in der Decke ist eingeschaltet. Ihr grelles Licht wirft Schatten auf die Betten. Sie sind leer, die Geräte daneben ausgeschaltet. Das Krankenhaus entspricht modernen Standards und wurde mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland erst im vergangenen Jahr fertiggestellt. Trotzdem gleicht es heute einer Geisterstadt.
Es gibt viel zu viele Betten für viel zu wenig Familien, die sich die Behandlungen leisten können. Das ist das eine Problem. In Ghana gibt es aber auch kaum Spezialisten, die herzkranke Kinder behandeln könnten. Das ist das andere. Am OP-Saal wartet eine ghanaische Krankenschwester bereits auf Asamoah.
„Gerald Asamoah Stiftung“: Duisburger Ärzte lernen ghanaische Chirurgen an
„Hose und T-Shirt musst Du überziehen, das hier ist für die Haare und die Maske muss über den Mund“, sagt sie. Als Asamoah den Raum betritt, setzt Chefarzt Michael Scheid gerade den ersten Schnitt am kleinen Körper, der vor ihm liegt. Es riecht verbrannt und nach Desinfektionsmitteln. Das Stimmengewirr wird unterbrochen vom Piepen der Geräte. Asamoah geht näher zum Tisch, um den sich die Duisburger und die ghanaischen Ärztinnen und Ärzte tummeln.
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„Den Tupfer bitte“, sagt Michael Scheid mit leiser Stimme zu seiner Assistentin. Er leitet die Kinderherzchirurgie am Herzzentrum Duisburg. „Möchtest du jetzt mit einsteigen?“, fragt er seinen ghanaischen Kollegen. Er steht ihm direkt gegenüber, trägt eine bunt-gemusterte OP-Haube. „Noch nicht“, antwortet er. Konzentriert beobachtet er, wie Scheid Schere und Skalpell am Herzen des Mädchens einsetzt.
Eins von 100 Kindern wird weltweit mit einem Herzfehler geboren
Jedes hundertste Kind kommt mit einem Herzfehler zur Welt. Mehr als 90 Prozent von ihnen haben jedoch keinen Zugang zu einer Behandlung. Nicht nur in Ghana, sondern weltweit fehlt es an Kinderherz-Spezialisten. „Das hängt damit zusammen, dass es sehr komplex ist und die Ausbildung sehr, sehr lange dauert. Und es ist auch emotional etwas anderes, ob man ein Kind oder einen Erwachsenen am offenen Herzen operiert. Das kann nicht jeder“, sagt Scheid. Er will dem ghanaischen Herzchirurgen das Wichtigste beibringen, damit dieser irgendwann selbst den Kindern helfen kann.
Denn noch bedeuten Herzfehler in Ländern wie Ghana meist „ein Todesurteil“, sagt Scheid. Selbst er und sein Team können nicht mehr allen Kindern wie geplant helfen. „Manche Kinder können nicht mehr operiert werden, weil ihre Krankheiten zu lange unbehandelt geblieben sind. Wir haben versucht, uns darauf vorzubereiten. Aber es ist natürlich hart.“
Umso mehr Hoffnung geben ihm die Kinder, für die ihre Hilfe noch nicht zu spät kommt. Sie motivieren ihn dazu, sich Urlaub zu nehmen, um in einer fremden Klinik zu arbeiten. Die Chancen für das kleine Mädchen, das betäubt vor ihm auf dem OP-Tisch liegt, stehen gut. Es ist an etliche Kabel und Schläuche angeschlossen. Sein Brustkorb ist aufgeschnitten und gibt den Blick frei auf das schlagende Herz. „Das ist zu viel für mich“, sagt Asamoah mit Tränen in den Augen und drückt einen Knopf an der Wand.
Langsam öffnet sich die metallene Schiebetür, durch die er den Operationssaal verlassen kann. Er setzt sich auf einen Stuhl, wischt sich den Schweiß von der Stirn und nimmt die Schutz-Maske ab. „Die Ärzte müssten nur einen Fehler machen, dann wäre es vorbei. Die müssen wirkliche Teamarbeit leisten. Fußball ist nichts dagegen. Und wenn ich mir dann vorstelle, wie es wäre, wenn meine eigenen Kinder dort liegen würden“, sagt er. Dann bricht seine Stimme.
Hilfe-Rufe an Gerald Asamoah: „Meine Tochter ist krank“
Er zieht die OP-Kleidung aus, geht zurück in den Pausenraum. Dort nimmt er einen Schluck Cola, holt sein Handy aus der Hosentasche und scrollt durch sein Instagram-Profil. „Meine Tochter ist krank. Bitte hilf ihr!“, schreibt ihm eine Frau. „Wir haben gesehen, dass du in Ghana bist. Du musst unserem Kind helfen. Wieso antwortest du nicht?“, eine andere. Mehr als 300 solcher Nachrichten hat er erhalten in den vergangenen Tagen erhalten.
„Was soll ich machen? Ich kann nicht allen helfen, obwohl ich so gerne würde“, sagt er und legt sich die Hände vors Gesicht. Viel Zeit für eine Pause bleibt nicht. Der Fahrer wartet bereits, um Asamoah zum nächsten Termin zu bringen: ein Treffen mit dem deutschen Botschafter. Wichtige Unternehmer werden dort sein, aber auch ehemalige Fußball-Kollegen wie Sammy Kuffour, der einst für Bayern München spielte.
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Die Fahrt zum Botschafter geht einmal quer durch die Stadt. Am Fenster ziehen die Wellblechhütten vom Stadtteil Jamestown vorbei. „Hier sollte man lieber nicht aussteigen“, sagt Asamoah. Dann springt die Ampel auf Rot, das Auto kommt zum Halten. Asamoah zeigt auf die andere Straßenseite und lacht. Vier Jugendliche stehen sich auf einer freien Fläche, eingerahmt von einem Kiosk und einem Sofa, gegenüber – und kicken einen zerfledderten Ball hin und her. „Genauso war es bei mir früher auch. Wir hatten nicht viel. Nur den Fußball“, sagt er. Der Fußball hat ihn groß gemacht. Im Ruhrgebiet, aber auch in seinem Heimatland. „Der kleine Asa von damals hätte sich niemals vorstellen können, dass ich zurück nach Ghana kommen kann, um Kindern das Leben zu retten.“
„Ich könnte mir kein besseres Geburtstags-Geschenk vorstellen“
Der nächste Tag startet für Asamoah wieder in der Klinik. „Aviana wartet“, sagt eine Pflegerin aus Duisburg. Der Fußball-Star nimmt sich einen Teddy und ein Schalke-Trikot aus der Kiste und geht in den Raum am Ende des Flures. Er kniet sich neben das Bett des kleinen Mädchens, drückt ihre Hand. Aviana lächelt ihn schüchtern an. „Aviana hat es schon geschafft. Wir können gleich nach Hause gehen“, sagt ihre Mutter Sheila.
Sie arbeitet als Krankenschwester und bemerkte sofort, dass ihrer Tochter das Atmen von Tag zu Tag schwerer fiel. Ein Arzt erkannte, dass Aviana einen Herzfehler hat. Doch den Katheter-Eingriff, für den sie vermutlich ins Ausland hätten fliegen müssen, konnten Sheila und ihr Mann nicht bezahlen. „Wir sind so dankbar, dass die Ärzte uns geholfen haben“, sagt sie. „Ich habe heute Geburtstag und könnte mir kein besseres Geschenk vorstellen.“ Der kleine Asa wäre stolz. Der große ist es auch.
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