Accra. Gerald Asamoah ist zurück in Ghana – um Kindern das Leben zu retten. Doch für manche kommt jede Hilfe zu spät. Wie er damit umgeht.
- Gerald Asamoah wuchs in einem kleinen Dorf in Ghana auf. „Man hatte nicht viel – nur den Fußball“, sagt er.
- Wir haben den Schalke-Star in seine Heimat begleitet und mit ihm auch über seine Kindheit gesprochen.
- Im Interview verrät er, warum seine Karriere fast zerstört wurde, bevor sie wirklich begann.
Geboren in einem kleinen Dorf in Ghana, wurde Gerald Asamoah in Deutschland zum Fußball-Star und auf Schalke zur Legende. Dabei hätte ein Herzfehler seine Karriere fast zerstört, bevor sie begann. Redakteurin Sophie Sommer hat ihn in der ghanaischen Hauptstadt Accra getroffen. Im Interview erinnert Asamoah sich an seine Kindheit in Westafrika, an das Fußball-Spiel, das sein Leben verändert hat, und erzählt, wie er nun anderen herzkranken Kindern hilft.
Ghana ist Ihr Heimatland. Was ist es für ein Gefühl, wieder hier zu sein?
Gerald Asamoah: Ich fühle mich zwar mittlerweile in Deutschland heimisch, aber in Ghana liegen meine Wurzeln. Viele meiner Familienmitglieder leben noch hier. Die Menschen hier sind so herzlich und ich liebe die ghanaische Küche, wie zum Beispiel das Reisgericht Jollof. Es ist ein schönes Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. Auch, wenn sich vieles verändert hat.
Wie sind Sie in Ghana aufgewachsen?
Ich habe in Mampong gelebt, einem kleinen Dorf in der Nähe der Millionenmetropole Kumasi. Ich bin mit meiner Oma und meinen zwei Geschwistern aufgewachsen, weil meine Eltern sehr früh nach Deutschland gegangen sind. Ich hatte das Glück, dass meine Oma ein Restaurant hatte. Deshalb war immer genug Essen für uns da. Das war nicht selbstverständlich im Dorf. Man hatte nicht viel. Was man hatte, war Fußball.
Ich habe sehr, sehr viel Fußball gespielt. Mit sieben Jahren bin ich zusammen mit meinen Geschwistern zu meiner Tante in die Hauptstadt Accra gezogen. Dort sind wir alle auf ein Internat gegangen. Mit zwölf Jahren bin ich dann nach Deutschland geflogen, um endlich wieder mit meinen Eltern zusammenzuleben.
Wir haben Gerald Asamoah auf seiner Reise nach Ghana begleitet.
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War das Leben in Deutschland so, wie Sie es sich als kleiner Junge ausgemalt hatten?
Wie sieht Deutschland wohl aus? Das haben wir uns oft gefragt. Auf dem Dorf hatten wir keinen Fernseher. Meine Mama hat immer Otto-Kataloge mitgebracht, wenn sie zu Besuch war. Wir dachten: So wie auf den Bildern muss Deutschland aussehen. Als ich dann im November nach Deutschland kam, fand ich es erstmal viel zu kalt.
Es war generell eine große Umstellung. Das Essen war anders, die Städte waren anders und ich war anders als all die anderen Kinder. Und sie waren anders zu mir, weil ich anders aussah. Aber da gab es die eine Sache, die uns verbunden hat: den Fußball. Wir haben auf dem Schulhof gespielt. Das hat mir sehr geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Der Fußball hat mich gerettet.
323 Bundesliga-Spiele, 50 Tore, mit der Nationalmannschaft im Finale der Weltmeisterschaft 2002: Sie blicken auf eine erfolgreiche Karriere zurück. Eine Zeit lang wurde Fußball jedoch zur Bedrohung für Ihr Leben. Es stand nicht fest, ob Sie je wieder auf dem Platz stehen können.
1997 wurde nach einem Fußball-Spiel ein Herzfehler bei mir entdeckt. Das Spiel für Hannover 96 lief super, ich stand die kompletten 90 Minuten auf dem Platz. Aber nach dem Spiel habe ich mich schlapp gefühlt. Ich hatte Schweißausbrüche. Der Mannschaftsarzt hat mich untersucht. Da zeigten sich Auffälligkeiten im EKG. Ein Spezialist entdeckte schließlich eine chronische Herzmuskelverdickung. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich wollte die Diagnose nicht wahrhaben, holte mir eine zweite, eine dritte und dann eine vierte Meinung ein.
Erst eine Klinik in den USA konnte mir helfen. Sie war auf Herzfehler wie meinen spezialisiert und konnte nach mehreren Tests sicher sagen, dass das Risiko eines Herzstillstands für mich bei rund einem Prozent liegt. Dieses Risiko war ich bereit, einzugehen. Trotzdem wollte mich kaum ein Verein. Nur Rudi Assauer, der damalige Schalke-Manager, hat an mich geglaubt. „Ey Junge, es ist mir egal, was du am Herzen hast. Ich will dich haben“, hat er gesagt. Ich habe ihm und Schalke so viel zu verdanken. Im Ruhrgebiet habe ich mich auch sofort wohl gefühlt. Wenn du hier lebst, findest du immer einen Freund. Hier wurde ich zum ersten Mal so angenommen, wie ich bin.
Wie war es für Sie, wieder Fußball spielen zu können?
Die Anfangszeit war sehr schwer. Sobald ich müde wurde, dachte ich: Jetzt kann wieder etwas passieren. Es war auch komisch zu wissen, dass wegen mir immer ein Defibrillator am Spielfeldrand stehen musste. Das hat mir aber auch eine gewisse Sicherheit gegeben, weil ich so im Notfall hätte wiederbelebt werden können. Aber vor allem war ich einfach glücklich, dass ich wieder spielen konnte. Damals hatte ich mir geschworen: Wenn ich jemals wieder Fußball spielen kann, werde ich etwas zurückgeben.
Deshalb haben Sie 2007 die „Gerald Asamoah Stiftung für herzkranke Kinder“ gegründet. Wie arbeitet Ihre Stiftung?
Bisher bestand unsere Arbeit vor allem darin, herzkranken Kindern aus dem Ausland eine Operation in Deutschland zu ermöglichen. Viele verschulden sich dafür. In Deutschland kostet eine OP außerdem durchschnittlich um die 30.000 Euro und da sind Kosten für Reise und Unterkunft noch gar nicht eingerechnet. Da kam uns die Idee, auch direkt im Ausland zu operieren. Für mich war es schon immer ein Traum, meinem Heimatland Ghana etwas zurückzugeben. Hier kostet eine OP viel weniger.
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Wir können mit dieser Mission mehr als 20 Kinder in nur einer Woche retten. Das ist eine große Herzensangelegenheit für mich. Ich bin der Organisation „kinderherzen e.V.“ aus Bonn, mit der wir diesen Einsatz gemeinsam umsetzen, und dem medizinischen Team aus Duisburg so dankbar, dass sie das möglich gemacht haben. Die Ärzte und die Pflegekräfte haben sich extra Urlaub genommen, um hier zu sein. Das Team ist überragend!
Für manche Kinder kommt allerdings jede Hilfe zu spät. Ihre Erkrankungen sind schon so weit fortgeschritten, dass auch die Ärzte aus Deutschland nichts mehr für sie tun können. Wie schaffen Sie es, damit umzugehen?
Das ist wirklich schwer zu ertragen und nimmt mich sehr mit. Für mich gibt es nichts Schöneres, als Kinder lachen zu sehen. Zum Glück konnten wir den meisten Kindern wie geplant helfen. Sie bekommen eine zweite Chance, wie auch ich sie bekommen habe. Sie können etwas aus ihrem Leben machen und ihren Traum leben. So wie ich meinen Traum leben konnte, Fußballer zu sein.
Trotzdem haben Kinder, die wie Sie in Ländern wie Ghana geboren werden, weniger Chancen als jene, die in Deutschland aufwachsen. Was müsste Ihrer Meinung nach dagegen getan werden?
Auch das tut weh und beschäftigt mich sehr. Ich habe natürlich leider auch kein Geheimrezept, um diese vielschichtigen Probleme zu lösen. Ich kann einfach nur an jeden appellieren, sich mit seinen Möglichkeiten zu engagieren und zu versuchen, die Welt ein Stück weit gerechter zu machen. Denn das ist wirklich nötig.
Der Kampf gegen Rassismus ist also für Sie ein weiteres Herzensthema?
Genau, der Kampf gegen Rassismus liegt mir sehr am Herzen. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt. Dieser Schmerz ist schwer zu beschreiben. Ich habe Affenlaute und das N-Wort gehört, ich bin nicht in Discos reingekommen. Wenn ich als Profi erkannt wurde, wurde ich gut behandelt. Ich weiß aber, dass es meinen Geschwistern in den gleichen Situationen nicht so geht.
Auch heute spüre ich immer wieder Ausgrenzung, es sind dann manchmal eher die kleinen Dinge und Blicke. All das sind Erfahrungen, die meine drei Kinder nicht erleben sollen. Das treibt mich an. Und solange wir 2023 noch immer über Rassismus sprechen müssen, weiß ich: Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Leider.
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