Dortmund. Ihre Tür steht immer offen: Sozialarbeiterin Silvia Kix löst Probleme an einer Dortmunder Grundschule. Was ihr dabei helfen kann.

Weit vor Unterrichtsbeginn fährt Silvia Kix zur Libellen-Grundschule im Dortmunder Norden. Rennen die Kinder gut gelaunt auf den Schulhof? Oder schlurfen sie mit müden Augen und gesenktem Kopf in ihre Klassen? Haben sie Hunger? Sind sie auch bei Regen und Wind warm genug angezogen? Silvia Kix sieht alles und weiß, was zu tun ist. „Mir ist es wichtig“, sagt die 62-jährige Schulsozialarbeiterin, „morgens zu sehen, wie es den Kindern geht, wenn sie hier ankommen.“

Die Grundschule liegt in der Dortmunder Nordstadt, einem Viertel mit besonderen Herausforderungen. Im Stadtteil leben Menschen aus 75 Nationen, über 20 Sprachen sind hier zu Hause. Etwa 350 der rund 460 Schülerinnen und Schüler erhalten Sozialleistungen. Silvia Kix wird gebraucht, sie ist hier der heimliche Star. Doch von Problemlösern, wie die Schulsozialarbeiterin eine ist, gibt es viel zu wenige an Schulen in NRW, kritisieren Lehrkräfte, Eltern und Bildungsexperten.

Dortmunder Schulsozialarbeiterin: „Es gibt deutlich zu wenige Stellen“

Es ist neun Uhr, Kix schenkt sich gerade ihren zweiten Kaffee ein, als es an der Tür klopft. Ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren im Vorschulalter kommt herein und fragt höflich, ob Frau Kix wüsste, wann die Hilfen für ihre Schulmaterialien auf dem Konto ihrer Familie ankommen. Kix blättert in ihren Unterlagen. „Müsste bald kommen, ich hake nach“, sagt sie sanft und lächelt das Mädchen an. Das Kind strahlt und verlässt mit einem „Vielen Dank und schönen Tag noch“ das Büro.

„Für mich ist es das A und O, die Eltern im Boot zu haben“, sagt Schulsozialarbeiterin Silvia Kix von der Libellen-Grundschule in Dortmund.
„Für mich ist es das A und O, die Eltern im Boot zu haben“, sagt Schulsozialarbeiterin Silvia Kix von der Libellen-Grundschule in Dortmund. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Gleich zu Beginn macht Kix deutlich, dass sie das Gespräch mit dieser Redaktion kurz abbrechen müsste, falls sie irgendwo „zum Feuerlöschen“ gebraucht werden sollte – und schon klopft es erneut an der Tür. Ein aufgebrachter Vater möchte sie sprechen.

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Silvia Kix ist die einzige Schulsozialarbeiterin an der Libellen-Grundschule. An den zwei Schulstandorten kümmert sie sich um die Belange der rund 460 Kinder und ihrer Familien. „Es gibt deutlich zu wenig Stellen“, findet sie. „Es braucht mindestens eine Doppelbesetzung, lieber wäre mir ein Verhältnis von einer Fachkraft zu 100 Schülern.“ Sie ist nicht die einzige, die das so sieht.

„Für mich ist das A und O, die Eltern mit im Boot zu haben“

Die Herausforderungen an Schulen sind so hoch wie der Stapel an Unterlagen, der auf Kix’ Tisch liegt. Mehr Schulsozialarbeiter, mehr unbefristete, gesicherte Verträge, das fordern Lehrkräfte, Eltern und Experten seit Jahren. Die Landesförderung reiche an vielen Stellen nicht aus, bemängeln sie. Diese Forderung wird immer lauter angesichts der klaffenden Lücken im Bildungssektor.

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Dabei nehmen Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter eine wichtige Rolle ein, auch über den Alltag im Klassenzimmer hinaus. Für die Eltern gibt es morgens in der Schule einen offenen Empfang mit Kaffee oder Tee, man schnippelt gemeinsam Obst und schmiert Brote für das Frühstück von 150 Kindern. Kix spricht mit Müttern und Vätern über Kinderärzte in der Nähe oder hilft bei Kita-Anmeldungen von jüngeren Geschwistern. „Für mich ist es das A und O, die Eltern mit im Boot zu haben, die haben schließlich den größten Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder“, sagt Kix.

Sie ist nun auf dem Weg zum Sprachcafé, hier lernen geflüchtete Eltern Deutsch. Vor der Tür sitzt eine Mutter auf einem Stuhl, ihre drei kleinen Kinder stehen neben ihr, ziehen an ihrem Bein. „Meiner Tochter wurde das Fahrrad geklaut, Frau Kix“, sagt die Mutter und sieht die Schulsozialarbeiterin mit weit geöffneten Augen an. Beim Sprechen überschlägt sich ihre Stimme ein wenig. Silvia Kix bleibt stehen schaut der Mutter direkt in die Augen und verspricht ihr mit ruhiger, fester Stimme, nach einer Lösung zu suchen.

In der Dortmunder Libellen-Grundschule wird schon fleißig Weihnachtsdeko gebastelt.
In der Dortmunder Libellen-Grundschule wird schon fleißig Weihnachtsdeko gebastelt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Kix kennt viele Mütter seit deren Schwangerschaft, begleitet sie durch die Kita-Phase und die Grundschulzeit und unterstützt sie bei der Suche nach einer weiterführenden Schule. „Wir wollen mit den Familien zusammenwachsen, das ebnet den Weg für alles, was kommt.“ Ist die letzte Schulstunde vorbei, geht Kix nicht immer gleich in den Feierabend: Fehlt ein Kind länger, macht sie schon mal Hausbesuche bei den Eltern – „nicht, um mit erhobenem Zeigefinger auf die Eltern zuzugehen, sondern um zu schauen, ob sie Unterstützung brauchen“.

NRW-Schulministerium: 57,7 Millionen Euro zur Anstellung von Fachkräften

Über die Landesförderung werden den Kommunen jährlich 57,7 Millionen Euro zur Anstellung von Fachkräften zur Verfügung gestellt, heißt es vom NRW-Schulministerium auf Anfrage dieser Redaktion. Zudem stelle das Ministerium insgesamt rund 1600 landeseigene dauerhafte Stellen zur Verfügung, so ein Sprecher.

Silvia Kix bekommt in wenigen Wochen Verstärkung, einen neuen Mitarbeiter – allerdings ist dessen Stelle nur befristet. Ein Zeichen von fehlender Wertschätzung der Politik sei das, kritisiert die Kümmerin, die vor elf Jahren an die Libellen-Grundschule kam. Zuvor unterstütze sie in ihrem Job Ausbildungs- und Schulabbrecher bei Weiterbildungen. „Dort habe ich gemerkt, dass ich jungen Menschen helfen konnte, indem ich mir mit ihnen angeschaut habe, wie ihre Grundschulzeit war. Fast jeder kann sich noch gut an die eigenen Grundschullehrer erinnern.“

Daher fiel ihr die Entscheidung, an die Libellen-Grundschule zu gehen, leicht. „Mir war es wichtig, an eine Schule zu kommen, wo Bildung als etwas Gutes vermittelt wird. Nicht nur für Kinder, auch für Eltern“, sagt sie.

Schulsozialarbeiterin: „Schule war etwas Tolles für mich“

Kix selbst, ein Kind der 60er-Jahre, sei gern zur Schule gegangen. „Für mich war das etwas Tolles“, sagt sie und nippt an ihrem Kaffee. Die Anforderungen an die Einrichtungen haben sich seit ihrer Kindheit stark verändert. Lehrkräfte, Sonderpädagogen, Schulsozialarbeiter, Inklusionshelfer Seite an Seite, das alles gab es damals nicht. „Es gefällt mir sehr gut, dass wir mittlerweile in multiprofessionellen Teams arbeiten.“ Das Team stützt sie bei allem, gerade wenn’s mal viel wird. Passiert das häufig?

Sie überlegt, antwortet dann: „Was mich noch immer fordert, ist, wenn ich merke, dass ein Kind schwer in Not ist. Wenn es etwa um Missbrauch in der Familie geht.“ Mit nach Hause will sie die Probleme aber nicht nehmen, bei dem Beruf sei es wichtig, das zu trennen. Zum Abschalten mäht sie den Rasen. „Das ist für mich eine Form von Meditation, bei der ich runterkommen kann.“ Und am nächsten Morgen ist sie wieder vor allen anderen in der Libellen-Grundschule.

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