Gelsenkirchen. Merve Karamis ist Mutter und macht eine Vollzeitausbildung. Vor ihrem Umfeld muss sich die Gelsenkirchenerin häufig rechtfertigen. Ein Protokoll.

Vier Frauen aus dem Ruhrgebiet haben ganz unterschiedliche Lebensmodelle gewählt: Drei von ihnen haben Kinder und arbeiten in Vollzeit, in Teilzeit oder gehen keinen Beruf nach. Eine Frau hat sich gegen Kinder entschieden. Redakteurin Laura Lindemann hat protokolliert, welche Herausforderungen sie in ihrem Alltag bewältigen müssen, welche Vorurteile ihnen entgegen schlagen und was sie sich von der Politik wünschen. Lesen Sie hier das Protokoll einer jungen Mutter aus Gelsenkirchen, die in Vollzeit arbeitet:

Merve Karamis (29), Mutter, arbeitet in Vollzeit: „Wenn ich früher andere Mütter sah, wie sie ihre Kinder zur Kita brachten, hatte ich Tränen in den Augen. Ich habe mich schuldig gefühlt, weil ich das wegen meiner Vollzeit-Ausbildung nicht schaffe.

Weil mein Mann auch einen Vollzeit-Job hat, bringen die Großeltern unseren Sohn immer zur Kita und holen ihn auch ab. Obwohl es ein Spagat ist, erfüllt mich mein Vollzeit-Job. Dem Kleinen bringt es auch nichts, wenn ich unglücklich zuhause sitze – dann könnte ich nicht die beste Mama sein, die ich jetzt für ihn bin. (Weiterlesen: Wie Frauen noch heute benachteiligt werden)

„Als Frau ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung“

Zu meiner Arbeitsstelle pendle ich täglich hin und zurück jeweils eine Stunde. Mein Tag beginnt deshalb schon um fünf Uhr in der Früh. Da mache ich den Kleinen fertig für die Kita und bringe ihn zu seinen Großeltern. Bis ich ihn nach der Arbeit wieder abgeholt habe und wir zuhause sind, ist es schon 16.30 Uhr. Dann koche ich für alle, spiele mit meinem Sohn oder gehe mit ihm zur Turn- oder Musikgruppe. Und dann ist der Tag auch schon rum.

Als Frau ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Herausforderung. Während männliche Kollegen oft für ihre Kinder beglückwünscht wurden, wurde ich gefragt, wer denn jetzt auf mein Kind aufpasst. Von einigen Menschen in meinem Umfeld bekomme ich mitleidige Blicke und werde gefragt, ob ich meinen Sohn nicht vermisse.

„Ich möchte meinem Sohn finanziell etwas bieten“

Oft habe ich das Gefühl, mich dann rechtfertigen zu müssen, warum ich den Kleinen abgebe. Bei meinem Mann ist das nicht so: Für seine Kollegen ist es selbstverständlich, dass er als Vater in Vollzeit arbeitet. Warum werde ich als Mutter dafür verurteilt, wenn ich genauso viel wie mein Partner arbeiten will?

Hätte ich nicht so sehr an mich geglaubt, hätte ich die Ausbildung schon längst abgebrochen. Denn natürlich ist es anstrengend zu arbeiten und nebenbei Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Aber ich mache das auch, um meinem Sohn finanziell etwas bieten zu können und ihm ein gutes Leben zu ermöglichen. Außerdem merke ich, wie gut es ihm bei seinen Großeltern geht. Deshalb möchte ich auch nach meiner Ausbildung weiter in Vollzeit arbeiten.“