Duisburg. Der Duisburger Pascal Gemballa hat sich mit seinem Büdchen einen Lebenstraum erfüllt. Dass immer mehr Trinkhallen schließen, sorgt ihn nicht.
„Hallo Pascal!“, ruft ein Junge in schwarzem T-Shirt und lässt sein Mountainbike auf den Boden fallen. Er kramt in seiner Hosentasche. „Was kann ich mir davon kaufen?“ Ein riesiger Haufen bronzefarbener Münzen landet auf dem Zahlteller. „Was hättest du denn gerne?“ Schlümpfe, Cola-Kracher, … „und zwei von den Blauen“. Pascal fischt die Gummitiere mit der Zange aus dem Plastikbehälter und reicht die große Schnuckeltüte durch das kleine Fenster. Der Junge nimmt die Tüte, dreht sich um und läuft zu seinem Fahrrad. „Restgeld nicht vergessen!“, ruft Pascal ihm hinterher. „Und nicht alles gleich ausgeben!“
Es ist ein Lebenstraum, den sich Pascal Gemballa mit dem „Büdchen am Bergmannsplatz“ erfüllt hat. „So eine Bude wollte ich schon immer haben“, sagt der 36-Jährige. Die Trinkhalle sei lange geschlossen gewesen, habe aber nicht zum Verkauf gestanden. „Eines Abends habe ich den Betreiber einfach angerufen“, erzählt er. „Und ihn gefragt, ob er verkaufen will.“
Seit knapp einem halben Jahr steht Pascal Gemballa nun hinter dem Tresen. Jeden Morgen fährt er zum Bäcker, holt frische Brötchen für das „Malocher-Paket“: Mit Schinken, Salami oder Käse und einem Kaffee kostet es 2,50 Euro. Die allermeisten seiner Kunden können allerdings kaum über die Theke schauen: „90 Prozent meiner Kundschaft sind Kinder“, sagt Gemballa, der in der Duisburger Siedlung groß geworden ist. Direkt neben dem Büdchen ist ein riesiger Spielplatz, erst vor ein paar Jahren sei er neu gemacht worden. Nur ein paar Meter weiter steht eine Grundschule.
Budensterben im Ruhrgebiet: „Es liegt an mir, ob ich etwas daraus mache“
Das kleine Häuschen mit dem grünen Anstrich gehört zu einer ehemaligen Zechenkolonie, der denkmalgeschützten Siedlung Bergmannsplatz. Mitten in der Großstadt lebt man hier wie auf dem Dorf. „Am Wochenende kommen viele Menschen mit dem Fahrrad vorbei und machen Fotos“, erzählt Gemballa. „Die Bude“, sagt er, „gehört zum Ruhrgebiet einfach dazu“ – und zu einer typischen Bergmannssiedlung erst recht. Doch an jeder Ecke gibt es sie längst nicht mehr.
Trinkhalle, Bude, Büdchen, Kiosk – wie auch immer man die kleinen Lädchen für den schnellen Einkauf nennt, es werden weniger. Kaum ein Betreiber findet heute noch einen Nachfolger. Pascal Gemballa vermutet, dass das vor allem an den Supermärkten liegt, die selbst am Wochenende bis in die Abendstunden geöffnet sind. Der Betrieb lohne sich wirtschaftlich kaum noch.
Dennoch entscheidet sich der ehemalige Lkw-Fahrer für einen Neuanfang: „Ich habe immer gesagt: ‚Es liegt an mir, ob ich etwas daraus mache‘“, sagt Gemballa, der jeden Tag bis 22 Uhr in seiner Trinkhalle steht. Und dass die „Bude umme Ecke“ wieder geöffnet hat, freut auch die Nachbarschaft. „Hier ist es ruhig, grün und sehr familiär“, schätzt Reiner, der beinah täglich auf einen Kaffee vorbeikommt.
„Ruhrgebiet – meine Heimat“: Alle Folgen finden Sie hier
Dieser Text ist Teil unserer WAZ-Serie „Ruhrgebiet – Meine Heimat“, in der wir Menschen vorstellen, die sich dem Ruhrgebiet auf eine besondere Weise verbunden fühlen. Alle Geschichten finden Sie hier:
- NRW-Heimatministerin: Warum „Heimat“ im Ruhrgebiet besonders ist
- „Ein Stück Heimat“: Kumpel aus Essen bauen Möbel mit Kohle
- Urlaub in der Heimat: „Das Ruhrgebiet hat einiges zu bieten“
- Die Bude als Heimat: Wie ein Duisburger seinen Traum lebt
- Zugewanderte aus Osteuropa: „Wir leben hier ein gutes Leben“
- WAZ-Leserinnen und Leser: „Diese Idylle gibt es kaum noch“
Seit 70 Jahren ist das Büdchen am Bergmannsplatz ein beliebter Treffpunkt. „Früher gab es hier einen kleinen Milchladen, die Menschen haben dort mit ihrer Kanne frische Kuhmilch geholt“, weiß Pascal Gemballa aus Erzählungen. Auch frisch gebackenen Kuchen soll es damals gegeben haben. „Geld liegt auf dem Tisch!“, ruft plötzlich jemand von hinten. Es ist Klaus, der vor Sekunden noch auf einem der weißen Plastikstühle saß. Jeden Morgen trinkt der 56-Jährige hier seinen Kaffee, kommt am Nachmittag für „ein Malzbier und ‘ne Bockwurst“. „Anne Bude“, sagt er, herrsche endlich wieder Leben.
„Mal kurzerhand das ganze Leben umgekrempelt“
17.000 Euro hat Pascal Gemballa für das Stückchen Ruhrgebietskultur bezahlt. „Mitte Februar habe ich die Bude gekauft, zwei Wochen später wollte ich eröffnen.“ Mit einem Freund strich er die Fassade, bastelte einen Banner, denn viel verändern darf er an dem denkmalgeschützten Häuschen nicht. Um den Charakter der Siedlung zu wahren, ist genau festgelegt, wie Fenster und Türen auszusehen haben. Für Pascal Gemballa nichts Neues: „Ich wohne selbst in einem der Zechenhäuser“, sagt er. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass dort mal sechs Familien drin gewohnt haben.“
Und der neue Betreiber ist noch lange nicht fertig: Die uralten Regale habe er bereits rausgerissen und durch große Schubladen ersetzt. „Alles selbstgebaut“, erzählt er stolz. „Man muss mit Herz dabei sein“, ist Pascal Gemballa überzeugt und denkt an die vielen strahlenden Kinderaugen. Wenn die „kleinen Rabauken“ den Müll auf dem benachbarten Spielplatz aufsammelten, bekämen sie auch mal ein Eis umsonst.
Im Oktober erwarten Pascal Gemballa und seine Frau Sarah ihr erstes Kind: „Die Nachricht kam kurz nach dem Büdchenkauf“, erzählt der werdende Vater und lacht. „Mal kurzerhand das ganze Leben umgekrempelt.“
Siedlung Bergmannsplatz
■ Die Zechenkolonie Bergmannsplatz in Duisburg-Neumühl ist Teil der Route der Industriekultur. Die inzwischen mehr als 110 Jahre alte Siedlung wurde im November 1996 unter Denkmalschutz gestellt.
■ Es handelt sich um 479 Wohneinheiten an 16 Straßen. Sie waren nach den Plänen der Bauabteilung des Steinkohlenbergwerks Neumühl in den Jahren 1907 bis 1909 errichtet worden.