Castrop-Rauxel. 60 Jahre lang versorgte der Kiosk “am Luftschacht“ die Menschen mit allem, was sie brauchten: Getränke, Snacks, Brötchen. Jetzt ist Schicht.
Akkurat schiebt Holger Lesny mehrere Packungen Marlboro in das Zigarettenregal. Im selben Moment öffnet sich die Eingangstür. Eine Kundin mit Kleinkind betritt den Laden. „Ein Brötchen, bitte“, sagt sie. Geschwind zückt Lesny Greifzange und Papierbeutel und tütet es ein. Es ist kurz nach elf. Für Lesny ist es bereits die fünfte Arbeitsstunde an diesem Tag. Und es ist für ihn zugleich der vorletzte Arbeitstag in seinem Kiosk am Luftschacht. Denn nach 60 Jahren endet dieses Kapitel an der Bodelschwingher Straße 2.
24 Jahre betrieb Lesny den Kiosk mit angeschlossenem Getränkehandel gegenüber dem Hammerkopfturm. Jetzt ist Feierabend. Heute, am 31. Januar, ist der letzte Verkaufstag. Das Ausliefern der Getränke würde aber bis zum 28. Februar fortgesetzt, sagt Lesny auf Nachfrage. So lange liefe der Mietvertrag noch. „Gerade die älteren Menschen brauchen doch diesen Service“, erklärt er. „Eigentlich“, so Lesny, „ist das Kioskgeschäft Teil meines Lebens, aber irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man nicht mehr kann.“
„Herr Lesny hat ordnungsgemäß und fristgerecht gekündigt“, sagt Grundstückseigentümerin Irmgard Trösken auf Anfrage unserer Redaktion.
Dieser Tag war für ihn der Anfang vom Ende
Dass es seine eigene Entscheidung war, die Brocken hinzuschmeißen, daraus macht Lesny keinen Hehl. Für ihn sei der 24. September 2014 der einschneidende Tag, an dem „das ganze Dilemma begann“. Seinerzeit habe ein Zeitungslieferant das Gebäude, in dem Lesny seinen Kiosk betrieb, mit seinem Wagen gerammt, sodass dieses hätte repariert werden müssen. Die Ausbesserungsarbeiten am Gebäude seien für vier bis sechs Wochen ausgelegt gewesen, berichtet Lesny. Für diesen Zeitraum wurde der Kiosk- und Getränkebetrieb in den angrenzenden Gebäudetrakt, der etwas rückwärtig im Hof liegt, verlegt. „Leider ist es dabei aber bis heute geblieben. Die Absprache war eine andere“, sagt Lesny. Das Problem: Er habe so Umsatzeinbußen von gut 20 Prozent, da die rückwärtige Lage weniger günstig sei. Viele Menschen würden den Kiosk und Getränkehandel schlicht übersehen.
Irmgard Trösken hingegen sagt: „Seinerzeit hatte ich mich zu diesem Schritt der Verlegung aus wirtschaftlichen Gründen entschieden und die Verkaufsfläche des Kiosks dem privaten Bereich zugeführt.“
„15 Jahre ging alles gut, und dann fing es an“
Verhärtete Fronten, die aber ohnehin nicht der einzige Grund für die Geschäftsaufgabe seien, wie Lesny sagt. Auch die Vielzahl der Einbrüche in den vergangenen neun Jahren hätte ihn dazu bewogen. „15 Jahre ging alles gut, und dann fing es an“, so Lesny. Nach dem dritten Einbruch sei er aus der Versicherung geflogen. „Und dann nimmt einen auch keine andere mehr“, hadert er. Auf durchschnittlich 7000 bis 8000 Euro beziffert Lesny den Schaden pro Einbruch. „Alleine die Zigaretten sind ja schon gut 4800 Euro wert“, sagt er. Darum lägen diese mittlerweile nachts in einem Panzerschrank. Verhindern ließen sich die Einbrüche aber nicht. Auch nicht mit funktionierender Alarmanlage, schließlich bräuchten die Täter ja nur wenige Minuten. „Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Mir blieb keine andere Wahl“, so Lesny, der nebenbei einen weiteren Kunden bedient. „Man muss hier immer mehrere Sachen parallel machen“, sagt er.
Ein weiterer Kunde betritt den Kiosk. Es ist Manfred Wolf. Er sagt zur Schließung: „Wir kennen uns schon sehr lange. Das hier war immer der Getränkehandel meines Vertrauens. Hier bekam man einfach alles, auch für die Feier. Das ist jetzt schon traurig.“ Eine weitere Kundin, die sich mittlerweile ebenfalls an den Verkaufstresen gestellt hat, aber nicht namentlich genannt werden möchte, sagt: „Das ist einfach nur ganz, ganz traurig. Ich kaufe hier seit 50 Jahren ein. Ich kann mir das noch gar nicht ohne Kiosk vorstellen. Ich komme morgen noch mal wieder, um mich zu verabschieden.“
Worte, die Lesny guttun. Das sagt er so. Es sei sogar schon vorgekommen, dass einst verzogene Stammkunden nach zehn Jahren noch mal vorbeigekommen wären, um extra bei ihm eine Packung Zigaretten zu kaufen. „Das ist doch ein tolles Gefühl“, so Lesny.
Und was kommt jetzt?
Wie es für ihn persönlich weitergehe, fragen wir Lesny. „Das weiß ich noch nicht“, entgegnet er und präzisiert: „In das Kioskgeschäft möchte ich nicht mehr zurück. Erstmal räume ich den Laden hier und genieße im Anschluss meinen Urlaub.“