Washington/Berlin. Die Bundesregierung pocht bei den USA auf Klarheit über Ausspähaktionen des Geheimdienstes NSA in Deutschland und der EU. Wenn sich das Ausmaß der Überwachung bestätige, sei es inakzeptabel, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin: “Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“ Notwendig seien vollständige Aufklärung. Das Befremden Deutschlands sei dem Weißen Haus übermittelt worden.

Die Bundesregierung hat mit Sorge auf Medienberichte über die Ausspähung europäischer Staaten durch den US-Geheimdienst reagiert. Die Regierung habe diese Berichte "mit Verwunderung, besser gesagt mit Befremden zur Kenntnis genommen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Dieses Befremden sei am Wochenende auch der US-Regierung übermittelt worden, die nun für Aufklärung sorgen müsse. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde in Kürze darüber mit US-Präsident Barack Obama sprechen, sagte Seibert. Bereits am Wochenende habe die Bundesregierung Kontakt mit Washington gehabt.

Das Auswärtige Amt lud nach Angaben eines Sprechers den US-Botschafter Philip Murphy in Berlin ein, um über das Thema zu sprechen. Eine förmliche "Einbestellung" sei dies jedoch nicht. Auch der Außenamtssprecher sprach von "Verwunderung und Befremden".

Seibert betonte, dass die Informationen bislang auf Medienberichten, nicht auf eigenen Erkenntnissen der Bundesregierung beruhten. Sollten sich die Berichte aber bestätigen, müsse es Konsequenzen geben. "Abhören von Freunden, das geht gar nicht, das ist inakzeptabel", sagte der Regierungssprecher. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Seibert deutete an, dass die Regierung schon jetzt das Vertrauensverhältnis als gestört ansehe. Die USA und die EU seien Freunde, "also muss Vertrauen die Basis unserer Zusammenarbeit sein", sagte er. "Vertrauen muss in dieser Angelegenheit wieder hergestellt werden."

Auswärtiges Amt stimmt Reaktion mit EU ab

Nach Seiberts Angaben stimmt das Auswärtige Amt derzeit mit den europäischen Partnern das weitere Vorgehen ab. Es müsse gegebenenfalls eine "sehr deutliche Reaktion" der EU geben. Über die richtige Balance zwischen den Sicherheitsinteressen der Geheimdienste und dem Schutz der Privatsphäre "müssen wir sehr ernsthaft mit unseren Partnern in Amerika sprechen".

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Laut einem Bericht des britischen "Guardian" spähte der US-Geheimdienst die diplomatischen Vertretungen Frankreichs, Italiens und Griechenlands in Washington und bei den Vereinten Nationen aus. Die NSA habe in den Botschaften und UN-Vertretungen unter anderem Wanzen installiert und Kabel angezapft. Am Wochenende hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf Unterlagen Snowdens berichtet, die NSA spähe gezielt auch Einrichtungen der EU in Brüssel, Washington und New York aus. Über Wanzen und den Einbruch in Computer-Netzwerke könnten die Geheimdienstler Besprechungen belauschen und auf E-Mails und vertrauliche Dokumente zugreifen. Die britische Zeitung "Guardian" berichtete am späten Sonntagabend zudem unter Berufung auf NSA-Unterlagen aus dem Jahr 2010, dass die Amerikaner auch eine Reihe von anderen US-Verbündeten ausspioniert hätten - darunter Japan, Mexiko, Südkorea, Indien und die Türkei.

Sicherheitsüberprüfung aller EU-Büros weltweit 

Nach den Berichten über eine massive Ausspähung durch US-Geheimdienste ist bei der EU von einem "Vertrauensbruch" Washingtons die Rede. "Wenn es wahr ist, dass die Amerikaner ihre Verbündeten ausgespäht haben, wird es einen politischen Schaden geben", hieß es am Montag aus EU-Kreisen in Brüssel. Die in Medienberichten beschriebenen Spähangriffe gingen "weit über die Anforderungen für die nationale Sicherheit hinaus", sagte der Diplomat. Die mutmaßlichen Aktionen des US-Geheimdienstes NSA könnten eine "ernste politische Krise" auslösen.

Die Europäische Kommission hat unterdessen eine Sicherheitsüberprüfung in allen EU-Büros weltweit veranlasst. Kommissionspräsident José Manuel Barroso habe eine "umfassende sofortige Sicherheitsüberprüfung" angeordnet, sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen am Montag in Brüssel. Die Berichte über Lauschangriffe auf die EU-Büros in Washington und New York seien "verstörend" und verlangten "volle Aufklärung".

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"Klarheit und Transparenz ist es, was wir von unseren Partnern und Verbündeten erwarten, und das ist es, was wir von den USA erwarten", fügte die Sprecherin hinzu. Kommissionssprecher Michael Mann stellte heraus, dass die Enthüllungen auf das Jahr 2010 zurückgingen und die EU-Vertretungen in Washington und New York seitdem umgezogen seien. Mittlerweile sei "ein vollkommen neues Sicherheitssystem" in ihren Räumlichkeiten installiert worden.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte am Sonntag den Start der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen in Frage gestellt. Die USA müssten die Zweifel "sehr schnell ausräumen", sagte sie. Die Grünen im EU-Parlament verlangten, den Bankdatenaustausch mit den USA zu stoppen. Zurückhaltender reagierte bislang EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton. Sie rief US-Außenminister John Kerry auf, "schnellstmöglich zu klären", was an den Medienberichten dran sei, hieß es am Montag in Brüsseler Diplomatenkreisen.

Kerry: Sammeln von Informationen über Länder "nichts Ungewöhnliches"

US-Außenminister John Kerry hat das Sammeln von Informationen in anderen Länern als "nichts Ungewöhnliches" bezeichnet. Kerry reagierte damit am Montag als erstes Mitglied der US-Regierung offiziell auf Enthüllungen in einem mutmaßlichen Abhör- und Überwachungsskandal in europäischen Regierungs- und EU-Einrichtungen.

"Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört (das Sammeln) von allen möglichen Informationen", sagte Kerry am Rande des Treffens mit den Außenministern der Südostasiatischen Staatengemeinschaft (Asean). "Ich kann nur sagen: Das ist für viele Nationen nichts Ungewöhnliches." Konkret könne er sich zu den jüngsten Berichten erst äußern, wenn er alle Fakten in der Hand habe.

Grünen-Fraktionschef Trittin fordert Unterschlupf für Informant Snowden in der EU 

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hat unterdessen einen sicheren Aufenthaltsort für den Enthüller der Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, in Deutschland oder einem anderen europäischen Land gefordert. Zugleich sprach er sich am Montag im ARD-Morgenmagazin dafür aus, die existierenden Abkommen mit den USA über den Austausch von Bankdaten sowie von Fluggastdaten seitens der Europäischen Union aufzukündigen. Auch über Freihandel werde man nur sprechen können, wenn klar sei, dass die Regeln eingehalten würden. So müsse das Betriebsgeheimnis gewahrt werden und dürfe nicht ausspioniert werden. "Die Amerikaner führen sich genauso auf, wie sie es den Chinesen vorwerfen", sagte Trittin.

Snowden hält sich russischen Angaben zufolge weiter auf dem internationalen Flughafen in Moskau auf. In den USA soll dem 30-Jährigen, der umfangreiche Bespitzelungen amerikanischer und britischer Geheimdienste enthüllte, wegen Geheimnisverrats der Prozess gemacht werden.

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Snowden sollte in Europa und damit unter Umständen auch in Deutschland eine "sichere Unterkunft haben, denn er hat Europa einen Dienst erwiesen", sagte Trittin. Er habe einen massiven Angriff auf Bürger und Unternehmen in Europa offenbart. Es sei für die Demokratien eigentlich peinlich, "dass so jemand, der sich um die Demokratie ja verdient gemacht hat, der nach unserem Verständnis einen massiven Grundrechtsverstoß aufgedeckt hat, bei Despoten Unterschlupf finden muss, die selber mit den Grundrechten auf Kriegsfuß stehen", sagte Trittin. "Ich bin der Auffassung, so jemand wird geschützt. Das sagen wir sonst auch."

Steinbrück zu NSA-Skandal: Merkel muss sagen, was sie weiß

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, der Öffentlichkeit deutlich zu sagen, was sie über den Umfang des US-Ausspähprogramms in Deutschland wusste. Ihr bisher defensiver Umgang mit den Informationen verursache einen schalen Beigeschmack, sagte Steinbrück am Montag in Berlin. "Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist."

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Notfalls müsse der Beginn der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA verschoben werden. Er könne sich nicht vorstellen, zu verhandeln, wenn parallel wichtige EU-Gebäude abgehört würden, sagte Steinbrück. Sollte das Ausmaß der Überwachung durch den US-Geheimdienst stimmen, sei das ein absolut "inakzeptabler Vorgang", sagte der 66-Jährige. "Das ist in freundschaftlichen Beziehungen unvorstellbar." Zu einer möglichen Aufnahme des US-Informanten Edward Snowden in Deutschland sagte Steinbrück: "Dazu gebe ich keine Antwort aus der Hüfte heraus". Notwendig sei eine genaue Prüfung des Falls.

US-Regierung verspricht, EU über Überwachungen zu informieren 

Der oberste Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, hat am Sonntag (Ortszeit) die Aufklärung der Fragen um den mutmaßlichen Abhörskandal in europäischen Regierungs- und EU-Einrichtungen versprochen. "Die US-Regierung wird der Europäischen Union angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten", erklärte das Büro des Geheimdienstdirektors. Klärung werde es auch in dem beidseitigen Experten-Dialog über die Geheimdienste geben, den die USA vor Wochen angekündigt haben.

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"Wir werden diese Themen auch bilateral mit EU-Mitgliedsstaaten besprechen", so die Erklärung. "Während wir grundsätzlich bestimmte, mutmaßliche Geheimdienstaktivitäten nicht öffentlich kommentieren, haben wir klar gemacht, dass die USA ausländische Geheimdienstinformationen in der Weise sammeln, wie es alle Nationen tun." In Deutschland reißt die Empörung über die Datenspionage der US-Geheimdienste nicht ab. Berichten zufolge war die Überwachung der Bundesrepublik durch den US-Geheimdienst NSA offenbar viel umfangreicher als bislang angenommen. "Das geht weiter als die Vorratsdatenspeicherung und ist ein schwerwiegender Eingriff in unsere Grundrechte", sagte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, den "Ruhr Nachrichten". "Die USA muss restlos aufklären." Es müsse genau geprüft werden, ob die Meldungen stimmten. "Es ist beunruhigend, dass die US-Seite die Meldung nicht von sich gewiesen hat, sondern sich gar nicht äußert."

Monatlich rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen in BRD überwacht

Geheime Dokumente der NSA offenbaren nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", dass der Geheimdienst systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Monatlich würden in der Bundesrepublik rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen - Telefonate, Mails, SMS oder Chats - überwacht. Die dem Magazin vorliegenden Unterlagen bestätigten, "dass die US-Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin", schreibt "Der Spiegel".

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Datenschützer Schaar sagte den "Ruhr Nachrichten", wenn sich bewahrheite, dass Deutschland und andere EU-Staaten Ziel von Spähmaßnahmen gewesen seien, sei das nur mit dem Kalten Krieg vergleichbar. "Das wäre eine sehr schwere Vertrauenskrise zwischen Europa und den USA", sagte Schaar dem Blatt. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele erklärte, es scheine darum zu gehen, in Verhandlungen, aber auch generell, einen Informationsvorsprung zu haben.

Durch größtmögliche Transparenz wieder Vertrauen schaffen 

Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) kündigte an, er werde sich am Montag an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wenden, um ihm seinen Standpunkt darzulegen. "USA und GB müssen schleunigst über Hintergründe und Ausmaß ihrer Angriffe gegen Deutschland aufklären." Die Bundesregierung müsse den USA klarmachen, dass es an der Zeit sei, durch größtmögliche Transparenz wieder Vertrauen zu schaffen, damit das freundschaftliche Verhältnis nicht nachhaltigen Schaden erleidet".

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte dem "Kölner Stadtanzeiger": "Erklären kann ich mir das amerikanische Vorgehen nur vor dem Hintergrund des 11. September, weil ja die Terrorzelle in Deutschland gelebt hat." Dies sei aber weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung dafür, Daten zu speichern, die "ohne jede Sicherheitsrelevanz" seien. Er warnte zugleich: "Jetzt kommt es nicht auf Kraftmeierei an, sondern darauf, politisch-diplomatisch Druck auf die USA auszuüben, was nur dann geht, wenn Europa mit einer Stimme spricht."

Die massenhafte Ausspähung deutscher Kommunikationsverbindungen durch die NSA muss nach Meinung der SPD auch Konsequenzen für den deutschen Bundesnachrichtendienst haben. "Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der "Frankfurter Rundschau". "Das stellt unseren Geheimdiensten kein gutes Zeugnis aus." (afp/dpa/rtr)